• 21. September 2022
  • Mode

Verblassende Solidarität

Ob Annalena Baerbock in Kiew, Tilda Swinton in Venedig oder Ursula von der Leyen im EU-Parlament: Auch sieben Monate nach Russlands Angriff auf die Ukraine kleiden sich Prominente noch demonstrativ blau-gelb. Aber wie lange wirkt Solidaritäts-Dressing? Und was wäre eine Alternative?

Sehr sichtbare Solidarität. Aber würden Worte nicht auch reichen?

Fotos: dpa/ Getty Images

Erinnert sich noch jemand? Zu Beginn des Krieges sah man die Nationalfarben der Ukraine plötzlich überall, auch da, wo sie einem vorher nie aufgefallen waren: Marge Simpson, Küchenschwämme, Ikea, die Vereinsfarben der Fußballkids aus den Teufelskicker-Büchern. Das ist lange her, dafür taucht die Kombination nun vermehrt an anderen Stellen auf. Die Schauspielerin Tilda Swinton erschien bei den Filmfestspielen von Venedig mit deutlich gelbgefärbten Haaren, einmal zu bläulichem Kleid, einmal zu hellblauer Bluse. Sie erklärte, es sei ihr eine Ehre, die halbe ukrainische Flagge zu tragen. Das Gelb steht in der Fahne übrigens für reife Kornfelder, das Blau für den leuchtenden Himmel, nur dass der gerade häufig von schwarzem Rauch verhangen ist.

Als Annalena Baerbock Anfang September in die Ukraine reiste, trug sie blaue Jeans (kommt oft vor) und einen leuchtend gelben Mantel (kommt nicht so oft vor). Vergangenen Mittwoch hielt Ursula von der Leyen eine Rede vor dem EU-Parlament – dabei trug sie einen gelben Blazer über einem blauen Oberteil – und sagte: »Die Solidarität Europas mit der Ukraine ist unerschütterlich.« Einen Tag später besuchte sie Kiew, dann farbverkehrt im blauem Blazer über gelbem Oberteil. Vor Ort gab sie zudem Bild-Reporter Paul Ronzheimer ein Interview, redete über Kampfpanzer für die Ukraine und trug weiter demonstrativ Blau-Gelb, wohl für all jene Zuschauer, die erst bei dieser Sendung zuschalten.

Die Botschaft dahinter ist immer klar: Solidarität zeigen, Farbe bekennen im wahrsten Sinne des Wortes. Die Frage ist: Geht das heute nur noch so plakativ? Bei John F. Kennedy reichte 1963 noch ein solidarisches »Ich bin ein Berliner«, um in die Geschichte einzugehen. Er trug dazu kein Schwarz-Rot-Gold, kein Motto-T-Shirt mit Brandenburger Tor. Allerdings gab es damals nur ein paar Sender, Zeitungen und kein Social Media. Wörter waren mindestens so stark wie Bilder. Die im März verstorbene amerikanische Außenministerin Madeleine Albright betrieb zu ihrer Zeit eine knallharte Broschendiplomatie, die so smart wie gefürchtet war. Auch die Queen kommunizierte gern durch die Blume: Nach Beginn der Brexit-Verhandlungen trug sie einen knallblauen Hut mit blau-gelben Seidenblüten – der aus der Ferne verdächtig nach EU-Fahne mit Sternenbanner aussah. Aber womöglich ist so viel Understatement genauso überholt wie die Monarchie.

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In Sachen Solidaritäts-Dressing hat sich jedenfalls einiges getan. pinkfarbene Schleifen als Zeichen für den Kampf gegen Brustkrebs, wahlweise Lila oder Weiß für den Feminismus, Regenbogenfarben für die LGBTQ-Community – der eine oder andere braucht allmählich ein Glossar. Auf politischer Ebene vorgemacht haben es vor allem die Amerikaner. Die »State of the Union«-Ansprache des Präsidenten sei schon immer großes Theater gewesen, schrieb die New York Times kürzlich, allmählich hätten die Abgeordneten auch die entsprechenden Kostüme dazu. Schwarz anlässlich von #MeToo, rote Anstecknadeln in Gedenken an Recy Taylor, eine Schwarze, die 1944 als Kind von einer Gang weißer Männer vergewaltigt wurde, die nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Dann Weiß für den Feminismus, zuletzt war auch hier Blau-Gelb zu sehen. Solche modischen Botschaften lassen sich gut twittern, posten, weiterleiten. Je schneller etwas »funktioniert«, desto besser.

Das Problem ist nur: Je häufiger ein Effekt bemüht wird, desto schneller nutzt er sich ab, irgendwann könnten die Kleider zur reinen Staffage verkommen. Und so sehr Nationalfarben ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln mögen – als wandelnde Flaggen verkleidete Menschen erinnern unweigerlich an Fußballfans oder gar Maskottchen. Nicht mal im Wahlkampf tragen die meisten Politiker heute noch den Fan-Schal der eigenen Partei, weil das zu sehr nach altmodischer Vereinsmeierei aussieht.

Wer die Macht hat, Solidarität nicht nur zu zeigen, sondern auch mit entsprechenden Maßnahmen zu demonstrieren, braucht sie vielleicht gar nicht so offensiv zur Schau zu stellen. Falls es demnächst mal wieder etwas subtiler zugehen soll: Die ukrainische Designerin Svitlana Bevza entwirft Ohrringe und Ketten, deren Glieder goldenen Weizenähren nachempfunden sind und dabei so hübsch wie elegant aussehen. Versteht dann vielleicht nicht jeder sofort. Aber die Erklärung kann man ja hinterher twittern.

Typischer Instagram-Kommentar: »Das wird mir jetzt zu bunt.«
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