Mimi Hecht, links, und Mushky Notik, die Gründerinnen von Mimu Maxi. (Alle Fotos: www.instagram.com/mimumaxi)
SZ-Magazin: Mit Ihrem Modelabel Mimu Maxi haben Sie sich auf »sittsame« Mode spezialisiert. Was soll das sein?
Mushky Notik: Sittsamkeit ist ein Gebot des Judentums. Das bedeutet für eine Frau zunächst einmal, dass Ellbogen, Schlüsselbein und Knie bedeckt sein müssen. Die Form des Beins oberhalb des Knies sollte nicht erkennbar sein. Das heißt: Keine Hosen, keine Shorts und keine Tanktops. Verheiratete Frauen tragen eine Perücke. Das sind die Grundregeln.
Fällt es Ihnen schwer, auf die Regeln zu achten, wenn Sie Ihre Mode entwerfen?
Mimi Hecht: Die Regeln geben uns einen klaren Rahmen. Das ermöglicht eine andere Art von Kreativität: Wenn wir einen Trend sehen, der uns gefällt, überlegen wir, wie wir ihn für uns umsetzen können. Wir sehen zum Beispiel ein tolles Shirt und überlegen: Wie wird daraus ein Kleid? Man kann das tragen, was man will, ohne seine Prinzipien zu verletzen. Wir wollen uns nicht von unserer Religion gefangen fühlen.
Notik: Wenn wir etwas entwerfen, soll es nicht aussehen, als wäre es absichtlich »sittsam«.
Lassen sich Religion und Mode trennen?
Hecht: Jede Religion hat ihre Uniform. Das gilt besonders für orthodoxe Juden. Aber deswegen müssen wir nicht alle gleich aussehen oder Mode als materialistisch abtun. Mode bestimmt, wie man sich fühlt.
Notik: Ich würde sogar soweit gehen: Wenn ich etwas trage, in dem ich mich nicht wohl fühle, belastet mich das. Ich fühle mich nicht frei. Sich wohl fühlen und im Reinen sein mit sich - diese positive Einstellung ist Teil von Religion. Der Geist muss frei sein. Ganz egal, ob man religiös ist, oder nicht: Wenn man etwas trägt, das einem nicht entspricht, fühlt man sich unwohl.
Sie haben Ihr Label Mimu Maxi erst 2012 gegründet, als Quereinsteigerinnen mit nur 1000 Dollar Startkapital. Heute beliefern Sie Kundinnen in der ganzen Welt. Überrascht Sie Ihr Erfolg?
Hecht: Es ist eine verrückte Zeit. Wir haben beide zwei Kinder, Mushkys jüngster Sohn ist gerade sechs Wochen alt. Wir arbeiten von zu Hause aus, weil wir unser Büro temporär zum Lager umfunktionieren mussten. Eine Woche vor der New Yorker Fashion Week haben wir einen Pop-Up-Store in Crown Heights eröffnet. Die Leute standen Schlange bis auf die Straße. Wir können in unserer Gemeinde nicht mehr vor die Tür gehen, ohne eines unserer Kleidungsstücke zu sehen. Damit hätten wir nie gerechnet.
Nicht nur in ihrer Gemeinde sind sie bekannt. Vor kurzem wurden Sie in der Vogue erwähnt.
Notik: Das fühlt sich schon irreal an! Wir haben beide keine Erfahrung in der Modebranche. Am Anfang wollten wir einfach nur einen Rock machen, der uns gefällt. Zum Termin in der Fabrik hatten wir noch nicht mal eine Zeichnung dabei. Wir haben einfach einen Stoff mitgebracht und unsere Idee erklärt. Damals haben wir uns über eine Bestellung am Tag gefreut - letzte Woche waren es 500. Wir können nicht glauben, dass sie wirklich alle unsere Sachen haben wollen. Aber so langsam glauben wir es doch.
Sie verkaufen ausschließlich online und in Pop-Up-Stores, sind sehr aktiv auf sozialen Netzwerken wie Instagram und Facebook. Kann ein junges Label dadurch unabhängiger von der Modewelt sein?
Hecht: Definitiv. Die Modeindustrie ist auf der einen Seite sehr exklusiv und konkurrenzgetrieben. Aber auch kleine Labels können es heutzutage schaffen. Wir haben bis jetzt kein Geld für Werbung ausgegeben, das lief alles über die sozialen Netzwerke und unsere Gemeinde. Wir haben eine starke Online-Gemeinschaft, die hinter uns steht. Wir lieben Instagram!
Wieso das?
Hecht: Auf Instagram können wir uns vernetzen und austauschen. Wir haben einen gemeinsamen Account und schicken uns laufend Screenshots von Dingen, die uns gefallen. Wir werden dort entdeckt und geteilt. Wir finden dort so viel Inspiration! Auf sozialen Netzwerken nehmen wir eine starke Position ein: Wir stehen als Privatpersonen für unser Label und vertreten dort unsere Werte. Das ist ungewöhnlich in unserer orthodoxen Gemeinde.
Warum hat es so lange gedauert, bis ein Modelabel mit Ihrem Ansatz Erfolg hat?
Hecht: Es ist ein langwieriger Prozess, religiöse Traditionen mit der modernen Gesellschaft in Einklang zu bringen. Zwei Dinge spielen sicherlich eine Rolle: Es ist die richtige Zeit für Frauen, Unternehmen zu gründen und die Führung zu übernehmen. Und die Modewelt ist empfänglicher für Sittsamkeit als Trend. Es gibt mittlerweile viele bekannte Frauen, die sich auch ohne religiösen Hintergrund zurückhaltend kleiden: Kate Middleton oder die sehr bekannten Zwillinge Mary-Kate und Ashley Olsen. Sie sind nicht im klassischen Sinn sexy, aber trotzdem stylish.
Es dürfte nicht so angenehm sein, im heißen New Yorker Sommer mit Perücke und langen Ärmeln herumzulaufen.
Notik: Deswegen verwenden wir leichte Stoffe und simple Schnitte.
Hecht: Auf den ersten Blick mag es wirken, als würde man mit Sittsamkeit Weiblichkeit unterdrücken, aber wir sind der Meinung, dass wir sie damit schützen. Das ist für mich auch Feminismus: Was mir gehört, gehört nur mir. Die Macht darüber zu haben, mit wem man diesen Aspekt der Sexualität teilen möchte, empfinde ich als sehr positiv. Deswegen sprechen wir auch Menschen an, die einen völlig anderen kulturellen Hintergrund haben, als wir: Mormoninnen oder Muslima zum Beispiel.
Von einigen Mitgliedern Ihrer Gemeinde wurden Sie scharf kritisiert, als Sie vergangenen Sommer ein Foto einer muslimischen Bloggerin in einem Ihrer Röcke posteten. Ihnen wurde vorgeworfen, Ihr Verhalten sei »unsensibel« und »schockierend« im Hinblick auf den Gaza-Konflikt.
Hecht: Natürlich ist es berechtigt, vor dem politischen Hintergrund in diesem Punkt sensibel zu sein. Aber es ist kein Grund, einander zu verurteilen. Ich denke, viele haben erst durch unsere Stellungnahme verstanden, was an ihren Reaktionen falsch war. Wir haben uns nicht einschüchtern lassen.
Notik: Für uns sind Offenheit und Nächstenliebe religiöse Werte.
In Ihrem offenen Brief auf Instagram schreiben Sie, dass Sie auf dem Foto Ihre jüdischen Werte der Sittsamkeit wieder erkennen. Sind sich Muslima und orthodoxe Jüdinnen also gar nicht so unähnlich?
Hecht: Wir erleben tatächlich teilweise das Gleiche: Wir versuchen, wir selbst zu sein und unserem Glauben treu zu bleiben, während wir in einer modernen Gesellschaft in den USA leben. Dieser Spagat ist nicht immer einfach. Je früher wir Gemeinsamkeiten erkennen, desto einfacher wird es für uns. Und da gibt es einige: den Monotheismus, die klare Trennung der Geschlechterrollen, die Heiligkeit des weiblichen Körpers und den hohen Stellenwert der Familie.
Notik: Früher hatten wir keine muslimischen Freundinnen, aber inzwischen ist Mimu Maxi zu einer Plattform für den kulturellen Austausch geworden. Dafür sind wir dankbar! Es kommt in unserem normalen Leben so selten dazu. Wir sind oft schon früh durch die Schulen getrennt, leben in unseren eigenen Vierteln.
Worüber sprechen Sie mit ihren muslimischen Kundinnen?
Hecht: Wir haben ähnliche Probleme. Auf den ersten Blick sieht man uns an, welcher Religion wir angehören. Überall, wo man hingeht, fällt man auf - das kann schwierig sein.
Notik: Wenn man klar identifizierbar ist, hat man auch oft das Gefühl, nicht dazuzugehören. Muslima kennen das Gefühl. Und sie haben auch ähnliche Probleme mit den modischen Grauzonen: Was genau ist knielang? Muss man die Knöchel bedecken? Steht hier noch ein Haar raus?Es ist toll, gemeinsam über sowas lachen zu können. Als Frauen, die Spaß an Mode haben.
Sprechen sie auch über den politischen Konflikt?
Hecht: Natürlich gehen uns die Ereignisse in Israel nah. Aber beide Seiten sollten einander ohne Vorurteile gegenübertreten. Durch die Mode können wir uns auf neutralem Boden begegnen.
Beim Einkaufen sind also alle gleich?
Notik: Ja. Wir alle lieben Mode. Dieses Gefühl verbindet uns. Mode ist, wie sich zu verlieben - man hat Schmetterlinge im Bauch und denkt: Das muss ich sofort haben!
Hecht: In drei verschiedenen Farben!