Probleme mit Kondomen gibt es immer wieder, und dabei ist nicht das Öffnen der Verpackung gemeint oder ihr Erwerb im Nachbarschafts-Drogeriemarkt, sondern die Anwendung. Fast die Hälfte aller dieser Probleme werden durch zu spätes Anziehen des Kondoms verursacht: Huch, da war doch was. Warte mal kurz. Warum? Weil zu wenige vorfreudig darauf warten, endlich das Kondom anziehen zu können.
Das Kondom ist nicht jedermanns Lieblingsdetail beim Sex. Fast ein Drittel aller Männer berichten über Erektionsprobleme bei den letzten drei Kondom-Anwendungen (sagt das McKinsey-Sexforschungsinstitut), und nur fünf Prozent aller Männer weltweit tragen überhaupt Kondome. Beim Sex. Oder sonst. Egal. Möglicherweise liegt das, sagen wir, gespannte Verhältnis zum Kondom daran, dass dieses Utensil fast hundert Jahre alt ist. Also, nicht konkret jenes, das so mancher »für alle Fälle« in der Brieftasche trägt, sondern das Kondom als »Ding an sich« (Immanuel Kant). 1920 brachte die amerikanische Firma »Trojan« ein Latex-Kondom auf den Markt, das dem Kondom, wie es heute verwendet und oft nicht geschätzt wird, im Grunde entspricht. Seitdem hat sich das Kondom also so gut wie nicht weiterentwickelt. Es gibt vier Arten mit zusätzlich höchstens ein bisschen Noppen und hier und da einer Extragröße, und das war’s: Latex, Polyutheran, Polyisopren und Schafsdarm. Passend je nach Allergie, mit Sex-Praktiken hat das nichts zu tun. Man stelle sich vor, das Telefon, das Auto oder der deutsche Fußball hätten sich seit 1920 nicht weiter entwickelt: Man kann sich ausmalen, wie unbeliebt sie heute wären. Aber im Gegensatz zu diesen Konsumgütern hat man das Kondom sich selbst überlassen, paradoxerweise werden die Dinge offenbar umso egaler, je näher wir sie an unsere Geschlechtsteile lassen.
Das Seltsame daran ist, dass das Unbehangen am Kondom hauptsächlich im Kopf stattfindet. Ob Paare in wissenschaftlichen Untersuchungen ihren Sex als »gut« oder »geht so« bewerten, hat statistisch nichts damit zu tun, ob sie ein Kondom verwendet haben: die Werte sind gleich. Um das schlechte Image des Kondoms zu verbessern und mehr Menschen weltweit von den Vorteilen der Infektions- und Empfängnisverhinderer zu überzeugen, vergibt die Stiftung von Bill und Melinda Gates 100.000-Dollar-Stipendien an jeden, der versucht, ein »besseres Kondom zu erschaffen« (»Microsoft« wäre übrigens ein super schlechter Name für ein Kondom). Das klingt großzügig, aber Bill Gates’ Vermögen beträgt etwa 70 Milliarden Dollar, die Bedeutung, die er dem Kondom-Problem beimisst, bewegt sich also im Bruchteil-Promille-Bereich.
Vielleicht würde es die Beliebtheit von Kondomen mehr steigern, wenn man sich vor Augen führte, dass sehr wohl eine Evolution männlicher Verhütung stattgefunden hat, zumindest in den letzten 3000 Jahren, und das wir davon profitieren: Wegen der nachgewiesenen spermiziden Wirkung rieben die alten Ägypter sich ihre Penisse mit Krokodil-Dung ein.
Illustration: Eugenia Loli