Name: César Dezfuli
Alter: geboren 1991 in Madrid
Wohnort: Madrid
Website: cesardezfuli.com
Ausbildung: Fotojournalismus in der Universitat Autònoma von Barcelona
SZ-Magazin: Wie haben Sie als Spanier überhaupt von »Jugend Rettet« erfahren?
César Dezfuli: Mein Bruder lebte damals in Berlin, er erzählte mir von der Organisation. Ich arbeitete zu dem Zeitpunkt an einer Reportage über Flüchtlinge auf der Balkanroute, war also schon ein bisschen in dem Thema drin. Besonders interessant fand ich, dass dieses Projekt von einem 19-Jährigen und anderen jungen Leuten auf die Beine gestellt wurde.
Beeinflussen auch Ihre persischen Wurzeln Ihr Interesse an Flüchtlingsthemen?
Ich denke schon. Wie sehr wir uns in diese Thematik hineinversetzen können, hängt immer auch von unserem sozialen und kulturellen Kontext ab. Mein Vater musste selbst aus dem Iran emigrieren und diesen Einfluss trage ich natürlich in mir. Ich glaube, dadurch finde ich auch besser einen Draht zu den Flüchtlingen, egal ob vom Balkan, aus Afrika oder Syrien.
Was war das für eine Stimmung an Bord?
Anfangs war ich etwas skeptisch, zumal wir kein einziges Mal irgendwo an Land gingen. Aber wir verstanden uns wirklich sehr gut, obwohl wir alle aus unterschiedlichen Welten kamen: ein ehemaliger Bänker, Studenten, ein Arzt oder der Kapitän als besondere Vertrauensperson. Vereint hat uns alle der Wunsch, zur Rettung von Flüchtlingen beizutragen: Jeder packte an Bord mit an und die Tage vergingen sehr schnell – in unserer Freizeit spielten wir, lasen oder machten gemeinsam Musik.
Wie genau sah denn ein Rettungseinsatz aus?
Immer zwei von uns haben im Schichtdienst nach Flüchtlingsbooten Ausschau gehalten – auch nachts. Die Rettungsaktionen selbst begannen dann gegen fünf Uhr morgens und dauerten oft bis in den Nachmittag: Wir versuchten, immer möglichst viele Menschen auf unser Schiff zu holen – einmal waren es sogar fast 450! Glücklicherweise sprachen fast alle Flüchtlinge Englisch, einer aus unserer Crew konnte aber auch Arabisch und Französisch, dadurch hat die Kommunikation auch bei der medizinischen Erstversorgung sehr gut geklappt. Allerdings hatten wir leider nicht immer genug Kapazitäten, um alle Flüchtlinge auf der »Iuventa« unterzubringen. Dann gaben wir ihnen Rettungsdecken und warteten, bis andere Hilfsorganisationen sie bergen konnten und nach Italien brachten.
Haben Sie mit den Flüchtlingen auch über ihre Geschichte gesprochen?
Ja, sehr viel. Ich wollte verstehen, wer sie sind, und was sie zur Flucht bewegt hat. Alle sind von Libyen aus Richtung Europa geflohen – aber die meisten waren Migranten aus anderen afrikanischen Ländern oder aus Bangladesch: Sie waren schon vor längerer Zeit nach Libyen gekommen, weil es dem Land vor der Revolution wirtschaftlich recht gut ging und sie sich dort Arbeit erhofft hatten. Tatsächlich waren sie in Libyen dann aber sehr schlimmen Arbeitsbedingungen und Rassismus ausgesetzt: Sie wurden wie Sklaven behandelt und sogar angeschossen, wenn sie nach ihrem Lohn fragten.
Welche Momente sind Ihnen besonders nahe gegangen?
An einem Tag hatten wir zwei Tote und viele Verletzte an Bord. Beim Abendessen haben wir lange darüber gesprochen, und wie man in einer solchen Risikosituation besser hätte handeln können. Niemand von uns war je in einer solchen Lage gewesen und es war nicht leicht zu verarbeiten. Die positiven Momente haben viel Schlimmes kompensiert. Wenn die Geretteten überglücklich auf unser Schiff kamen, uns dankten und umarmten, war das auch für uns ein großes Gefühl der Freude. Mein Lieblingsfoto ist eines, auf dem ein kniender Mann die Arme dankend zum Himmel streckt – er war so froh! Viele Flüchtlinge hatten eingeschweißte Zettel mit Telefonnummern oder Handys in Plastikfolien dabei, um nach ihrer Ankunft in Italien sofort ihre Familien anzurufen. Ein Junge aus Bangladesch fragte panisch, sobald er auf unserem Schiff war, ob wir Wlan hätten – er müsse dringend seine Mutter kontaktieren. Ähnlich ein 15-jähriger Nigerianer, der mir erzählte, dass er seit Jahren heimlich sparte, um die riskante Flucht zu bezahlen. Die meisten sind minderjährig und reisen alleine, darum sind sie den Schleppern besonders ausgeliefert.
Hatten Sie manchmal Skrupel beim Fotografieren?
Ich habe natürlich immer versucht, die Flüchtlinge mit viel Respekt und Achtung zu fotografieren, zum Beispiel habe ich sie nie direkt vor den Leichen fotografiert. Wenn möglich, holte ich mir immer auch ihr Einverständnis, ob schriftlich oder mündlich. Allerdings war es mir ja wichtig, die Verfassung der Flüchtlinge aufzuzeigen – manchmal muss man dann abwägen, wie sehr man ihre Privatsphäre verletzen darf, um in einer Reportage auf diese schlimmen Zustände aufmerksam machen zu können. Trotzdem war ich bei diesem Projekt natürlich besonders achtsam.
Eine 360-Grad-Reportage über die Arbeit von »Jugend rettet« sehen Sie hier.
Fotos: César Dezfuli