Die Deutschen machen aus allem eine Wissenschaft. Aus dem Würstchengrillen, dem Fußballspielen und sogar aus dem Reisen. Prädestiniert fürs Verkomplizieren sind Sachen, die von Natur aus eigentlich ziemlich einfach sind. Weil es die allereinfachste Sache der Welt ist, in den Urlaub zu fahren, gibt es dazu gleich mehrere Denkschulen. Tagsüber losfahren oder mitten in der Nacht? Bei Stauansage den Weisungen des Navis folgen und von der Autobahn abfahren – oder gerade nicht? Pausen machen auf dem Weg nach Süden oder die Strecke einfach aussitzen? Fragt man abends in einer Kneipenrunde, ist jeder plötzlich Experte.
Natürlich gibt es für Urlaubsfahrten auch einen echten Experten. Er heißt Michael Schreckenberg und forscht an der Universität Duisburg-Essen. Schreckenberg beschäftigt sich hauptberuflich mit Straßen und Autos. Nach ihm und seinem Kollegen Kai Nagel ist sogar eine physikalische Formel benannt, die erklärt, wie man schneller ans Ziel kommt: Das NaSch-Modell. Die beiden Forscher haben herausgefunden, dass vor allem die Variable p entscheidend ist – p bezeichnet die Trödelwahrscheinlichkeit. Wenn p=0 ist, dann ist alles gut. Wenn aber p≠0 ist, also Leute trödeln, dann hat das für alle auf der Autobahn Konsequenzen: Denn Trödler müssen überholt werden, und je mehr Spurwechsel es gibt, desto mehr muss gebremst und beschleunigt werden. Der Fahrfluss ist dahin.
Doch die ganze Rechnerei fußt auf einem Denkfehler. Ziel all dieser Gleichungen ist es immer, möglichst schnell am Urlaubsort anzukommen. Variablen für Entspannung, Fahrspaß und gute Aussicht gibt es in diesen Formeln gar nicht erst. Aber ist das nicht widersinnig? Gestresst in den Urlaub? Erfolgsdruck auf dem Weg zur Entspannung? Das große Loslassen an Uhrzeiten festmachen?
Wenn schon Formel, dann richtig. Als Ziel der Gleichung wird die totale Urlaubsfreude festgelegt: U. Danach sollte sich alles ausrichten. Die Trödelwahrscheinlichkeit p sollte unbedingt ungleich 0 sein. Je größer die Abweichung, desto besser. Jeder Weitblick auf die Alpen steigert die Fahrfreude um Faktor f, Freiheitsgefühl. Und f steigt exponentiell bei Einwirkung der Variablen b für Bergluft, und e für italienisches Eis im Becher. Dabei ist ganz wichtig, dass e>v ist, also die Menge an Eis größer als der Verstand. Jede Kurve am Berg erhöht dann noch mal um den Faktor bk wie Bauchkribbeln. Grundsätzlich gilt: Je enger die Kurve, desto größer j, die Jauchz-Wahrscheinlichkeit. Wer es nicht so wissenschaftlich mag, für den noch mal in aller Klarheit: Trödeln Sie unbedingt rum, meiden Sie Tunnel und essen Sie zu viel Eis.
Fotos: Stefan Bogner / Delius Klasing Verlag
Fotos: Stefan Bogner