Skifahren mit Marc Girardelli

Ein rasanter Tag auf der Piste mit dem Weltmeister, der in seinem Leben oft stürzte - aber dafür nie Gefahr lief, abzuheben.

Kurz nach dem Mittagessen demonstriert Marc Girardelli, vierfacher Skiweltmeister und fünffacher Gewinner des Gesamtweltcups, zuletzt 1993, dass er nichts von seiner Schnelligkeit und Aggressivität eingebüßt hat: Einer der besten Skifahrer aus Girardellis Truppe, der Günther aus Dachau, ist mit einem groß gewachsenen Mann zusammengerumpelt, kurz vor der Talstation der Zwölferkogelbahn in Hinterglemm. Günther blutet aus einer Schürfwunde an der Stirn, seine Skibindung ist im Eimer, klarer Fall für Girardelli: Der andere war schuld. Er hätte erst schauen müssen, bevor er losfährt und den Hang quert, »erste Skifahrerregel«. Günther, der von oben kam, »hatte doch keine Chance auszuweichen«.

Girardelli, der mit seinem gelben Anorak und schwarzen Helm ziemlich bullig wirkt, stürmt sofort auf den Mann zu, der schon wieder seine Ski anschnallen will. »Ganz langsam«, sagt er und erklärt ihm erst einmal, was er alles falsch gemacht hat. »Was geht dich das an, mit dir rede ich nicht«, knödelt der Mann mit niederländischem Akzent zurück. Ein paar Minuten später ist ein Polizist auf der Piste, den Girardelli verständigt hat, damit er den Unfall aufnimmt. Ein alter Bekannter übrigens, »der Stefan, mit dem bin ich früher Rennen gefahren«. Langsam dämmert es dem Skifahrer aus dem flachen Norden, dass er sich besser einen anderen Unfallgegner ausgesucht hätte. Mit Stürzen kennt sich Girardelli aus, Konflikten ist er noch nie aus dem Weg gegangen.

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Ein Skitag mit einem der weltbesten Rennläufer aller Zeiten. Frühmorgens um neun haben sich acht Teilnehmer des exklusiven Schnupperkurses getroffen. Kosten: 580 Euro, Liftpass inklusive. Die Tour be-ginnt an der Asitzbahn in Leogang, wird nach Saalbach und Hinterglemm führen, einem der schönsten und größten Skigebiete Österreichs, und abends gegen 17 Uhr enden, wo sie begonnen hat. Es sind sportliche Skifahrer mittleren Alters, die meisten bekamen diesen Tag vom Ehepartner oder Freunden geschenkt. Girardelli hat gleich zu Beginn klargemacht: »Ich bin kein Skilehrer.« Einer der wenigen Tipps, die er im Laufe des Tages geben wird, gilt einer der beiden Frauen aus seinem Kurs: Sie solle nicht so viel auf ihre Skispitzen schauen, sondern 20, 30 Meter nach vorne, »dann fährst du automatisch nicht so gebückt, sondern aufrechter«.

Sein Vater, der ihn während seiner aktiven Zeit trainierte, sagte über die Anfänge seines Sohns einmal: »Er wollte nie Bogen fahren, immer nur Schuss.« Heute ist Girardelli 50, und die mittlerweile stark taillierten Carving-Skier zwingen selbst ihn zu weiten Bögen. Dennoch sucht er immer auch die Falllinie, den direkten Weg nach unten. Gleich bei der ersten Abfahrt zeigt sich, dass er, einmal in Fahrt gekommen, so bald nicht wieder abbremst. Der Geschwindigkeitsrausch endet meist erst am Lift, wo Girardelli, dann doch ein bisschen Skilehrer, nachzählt, ob sein Kurs noch komplett ist.

Die Liftfahrten sind der unterhaltsame Teil des Tages. Marc Girardelli hat einiges erlebt, ist viel herumgekommen, kennt Gott und die Welt. Kürzlich traf er den früheren Abfahrtsweltmeister Franz Klammer, der seinen 60. Geburtstag feierte. Auch den Klammer Franz kann man für einen privaten Skitag mieten, wenngleich in den USA und für ein paar Tausend Dollar mehr als Girardelli in Österreich. Girardelli sagt, er habe eher Asien im Blick, die Inder und erst recht die Chinesen, »da gibt es einige, die Geld haben und Ski fahren wollen«. Auch den bulgarischen Skiverband hat er beraten und dem Land geholfen bei der Austragung von Weltcup-Rennen in Bansko, nahe der Grenze zu Griechenland. Und er hat Ski-Events für verschiedene Firmen veranstaltet, wengleich solche Spaßexkursionen zuletzt durch die neuen Compliance-Regeln der Firmen erstickt wurden.

Musikanten stoßen auf den Girardelli Marc an, »auf den Österreich stolz ist, weil er so ein legerer Typ ist«.

Er organisiert gern, das hat er schon als Sportler gelernt: Weil sich sein Vater früh mit dem österreichischen Skiverband überwarf und den talentierten Sohn bald unter der Flagge der Skizwergnation Luxemburg antreten ließ, stand Vater und Sohn keine Infrastruktur zur Verfügung, sie mussten jeden Trainingsslalom selbst stecken.

Er ist sich für nichts zu schade; als er seine Gruppe frühmorgens trifft, erkundigt er sich sofort nach ihren Ski: Ob er vielleicht die Kanten schleifen soll, »ich hab immer eine Feile dabei«. Obwohl er kein Entertainer ist wie Hansi Hinterseer, findet er schnell einen Draht zu seinen Kursteilnehmern, er duzt sie und merkt sich die Vornamen, was nicht einfach ist, wenn er an mehreren Tagen hintereinander neue Gruppen hat. Bei Frauen könne er zur Not auch »schöne Frau« sagen, »die meisten freut das«. Anderweitige Annäherungsversuche unterlässt er, auch in dieser Beziehung hält sich Girardelli vom Skilehrer-Klischee fern. Ein bisschen gesellig mag er es aber schon, beim Mittagessen auf der Breitfußalm setzt er seine Gruppe an zwei Holzbänke direkt neben den Lautsprecher, aus dem die beiden Musikanten vom Pinzgauer Duo singen: »Lebt wohl, ihr Berge, sonnige Höhen, Bergkameraden sind treu«, Girardelli gibt ihnen zur Belohnung einen Birnenschnaps aus, und die Musikanten stoßen auf den Girardelli Marc an, »auf den Österreich stolz ist, weil er so ein legerer Typ ist«.

Besonders leger geht Girardelli mit seinen Niederlagen um, er hält Vorträge zum Thema »Scheitern als Chance«, da sei er hochkompetent. Er eröffnete in Vorarlberg ein Hotel, das niederbrannte, und mit ihm die meisten seiner Medaillen und Pokale. Er eröffnete im Ruhrgebiet die größte Indoor-Skihalle der Welt, die ihn beinah sein Vermögen kostete, bevor er 2004 ausstieg. Und seine Verletzungsgeschichte – eine Bilanz des Schreckens: 18 Operationen, elf davon am Knie, »sechs links und fünf rechts«. Schon mit 20 Jahren wurde er Teil-Invalide, als sich bei einem Sturz sein linkes Knie um 360 Grad verdrehte und praktisch alle Bänder rissen, die im Biologiebuch an dieser Stelle zu finden sind. Zu Beginn seiner Karriere, erzählt er, heilten die Blessuren relativ schnell, doch je älter er wurde, umso langsamer regenerierte er. »Am Schluss hatte ich keine Verletzungen mehr, sondern nur noch Schmerzen.« Vor drei Jahren halfen keinen Tabletten mehr, Girardelli konnte kaum eine Treppe hochsteigen, ohne sich wie ein alter Mann am Geländer abzustützen. Seine Rettung war ein Therapiegerät, das mit elektromagnetischen Impulsen Beschwerden lindert und das Immunsystem stärkt. Inzwischen ist er Werbebotschafter der Herstellerfirma, typisch Girardelli: Invalidität als Chance.

Abends um halb fünf, auf der Terrasse des Berggasthofs »Alte Schmiede« versinkt die Sonne, Marc Girardelli gibt ein letztes Getränk aus. Die Kursteilnehmer sind zufrieden und müde, die Smartphones zeigen an, dass sie knapp 50 Kilometer zurückgelegt haben. Wahrscheinlich ist keiner von ihnen jetzt ein besserer Skifahrer. Aber ein früherer Weltmeister hat ihnen einen Einblick gewährt in sein bewegtes Leben und die fast schon buddhistischen Weisheiten, die er daraus gezogen hat: Seine vier Kinder, erzählt er am Schluss, wollten alle nicht Skifahren lernen. Und er hat sie nicht dazu gezwungen. Girardelli hat nämlich gelernt, dass sich Erfolge vielleicht erzwingen lassen. Aber sein Glück muss jeder selbst finden.

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 46 Weltcuprennen hat Marc Girardelli im Laufe seiner Karriere gewonnen, die 1980 begann und Ende 1996 mit einer schweren Knieverletzung endete. Er gehört zum exklusiven Kreis der alpinen Rennläufer, die in allen fünf Disziplinen siegten. Auch bei den legendären Abfahrten in Kitzbühel und Wengen stand er ganz oben auf dem Podest. Inzwischen vertreibt er eine eigene Kollektion für Skikleidung, veranstaltet Kurse, vermarktet weltweit den Skisport - und immer auch sich selbst.

»Carven mit Marc Girardelli«, über www.jochen-schweizer.de

Fotos: Myrzik und Jarisch