»Los, Leute, hier geht’s lang«, ruft der Mitarbeiter der Plattenfirma, als er die Haustür von The Game öffnet. Er führt uns durch die Villa hindurch und hinten wieder hinaus, zum Pool, wo bereits einige Mädchen in der Sonne liegen. Eine trägt einen knappen Badeanzug mit Tigermuster, eine andere einen aus bunten Schnüren geknüpften Bikini, der ihren Körper nur an den allernötigsten Stellen bedeckt. Sie blinzeln kurz herüber, als wir kommen, und gucken dann sofort wieder weg. Magere Weiße – wie langweilig.
Es ist ein Sonntagnachmittag im September und der Rapstar The Game, ein ehemaliger Drogenhändler aus dem Armenviertel von Los Angeles, hat eine Handvoll Reporter – Deutsche, Engländer und einen schweigsamen Norweger – zu einer Poolparty in sein Haus in Los Angeles einge-laden, um die Fertigstellung seiner Platte The Doctor’s Advocate zu feiern. Oft verschoben, erscheint das Werk nun am 14. November, und schon jetzt wird in den Fachblättern vermutet, dass The Game mit dem neuen Album den Erfolg seines Debüts The Documentary übertreffen dürfte, das sich weltweit über 2,5 Millionen Mal verkaufte. Erstmals sollen heute einige Tracks des heiß erwarteten Albums zu hören sein, außerdem sind Grillfleisch, hübsche Mädchen und schwere Jungs angekündigt – eine typische Hip-Hop-Party im Stil der sonnigen Westküste.
Momentan ist vom Star allerdings noch nichts zu sehen. Die Bikini-Mädchen drücken gelangweilt auf ihren Handys herum, ein Koch wirft riesige Fleischlappen auf den Grill, der in einer überdachten Sitzecke am Ende des Grundstücks installiert wurde. Einige Freunde von The Game vertreiben sich die Zeit am Billardtisch oder vor dem schrankgroßen Fernseher im Wohnzimmer, an den eine Spielekonsole angeschlossen ist. Joey steht am Kamin, von dort hat er die Szenerie gut im Blick. Der stiernackige Muskelmann trägt sackartige Jeans, teure Turnschuhe und ein gestreiftes Polohemd; ein handtellergroßes Schmuckstück baumelt vor seiner Brust, eine Schmiedearbeit aus Silber, Platin und Brillanten. In der Mitte ist ein großes B zu sehen, umgeben von zwei gezackten Kränzen, in denen »The Black Wall Street« steht, der Name von Games Label, und der Slogan »Live for everything, die for nothing«. 15 000 Dollar kostet dieses Emblem, das der Rapper seinen treuesten Begleitern verehrt.
»Alle Typen, die du hier siehst, kennen Game schon sehr, sehr lange«, erklärt Joey. »Wir kommen alle aus dem Ghetto – aus Compton. Game hat es geschafft, da rauszukommen, und er versucht, seine Freunde mitzunehmen.« Joey erzählt, dass der Star ihm eine Ausbildung als Bodyguard bezahlt habe, und dass er nun hier für die Sicherheit zuständig sei. »Es gibt oft Kämpfe. Jeder glaubt, ihn zu kennen. Jeder will etwas von ihm.« Doch ein wenig sei The Game auch selbst schuld daran. »Er ist jemand, der gern gibt. Manchmal gibt er zu viel. Guck dich um: Das ganze Haus voller Leute, selbst Wildfremde wie du dürfen hier rein.«
Plötzlich entsteht ein Rummel an der Treppe. Der Hausherr kommt aus dem Obergeschoss herab und posiert unter seinem Kronleuchter für die Fotografen, schweigend. Er ist über und über tätowiert, selbst im Gesicht, und trägt ein rotes T-Shirt mit dem Black-Wall-Street-Logo, außerdem rote Louis-Vuitton-Pantoffeln. In seinem Song One Blood erwähnt er die französische Luxusmarke und erhielt dafür ein Dankesschreiben, das auf dem Kaminsims im Wohnzimmer bewundert werden kann. Ein Detail, das beispielhaft für seinen rasanten, geradezu traumhaften Aufstieg steht: The Game brauchte nicht einmal zwei Jahre, um vom Delinquenten zum Werbeträger für Luxuskonzerne zu werden.
Im November 1979 als Jayceon Taylor geboren, wuchs er in desolaten Familienverhältnissen auf: Mutter, Vater und diverse Verwandte waren als Drogenhändler tätig oder selbst abhängig. Mit sieben kam er in ein Kinderheim, mit 15 war er zurück bei seiner Mutter – und folgte seinem älteren Bruder in die Cedar Block Piru Bloods, eine berüchtigte Straßengang. Bald dealte er selbst mit Crack und Marihuana. Sein Schicksal schien sich zu wenden, als er ein Stipendium fürs Basketball-Team der Washington-State-Universität bekam, doch noch bevor das erste Semester begann, flog er von der Uni, weil er auf dem Campus mit Drogen erwischt wurde.
Am 1. Oktober 2001 klopfte es an seiner Wohnungstür. Beim Blick durch den Spion erkannte Game einen ihm bekannten Junkie, doch als er die Tür öffnete, stürmte eine verfeindete Bande in die Wohnung und streckte ihn mit fünf Schüssen nieder. Er lag zwei Tage im Koma und kam nur knapp mit dem Leben davon. Im Krankenhaus reifte in ihm der Entschluss, es in Zukunft wohl besser mit einer anderen Tätigkeit zu versuchen: Rap. Er produzierte ein Demotape, das auf verschlungenen Wegen in die Hände des Hip-Hop-Moguls Dr. Dre gelangte. Dre nahm The Game unter Vertrag, brachte ihn mit 50 Cent und Eminem zusammen, machte ihn zum Star. Die brutale Ausweglosigkeit des Ghetto-Alltags wurde, wie so oft im Hip-Hop, zum Fundament einer wundersamen Karriere. Nach dem Erfolg seines Debüts, das im Januar 2005 erschien, legte The Game eine eigene Turnschuhmarke auf und verlobte sich vorübergehend sogar mit der Tochter eines US-Kongressabgeordneten. Gleichzeitig überwarf er sich mit seinem Förderer 50 Cent; im Februar 2005 kam es in New York zu einer Schießerei zwischen den beiden verfeindeten Lagern. Im November 2005 ließ The Game das Ghetto schließlich hinter sich und zog in eine Drei-Millionen-Dollar-Villa in Glendale, weit entfernt von den Straßen, in denen er aufwuchs.Der Einrichtungsstil: neureich-gleichgültig.
Auf dem Kaminsims stehen große Elefanten aus Elfenbein; ein antiker Globus verstaubt in der Ecke; die lange, mit chinesischen Einlegearbeiten verzierte Speisetafel ist mit goldenem Besteck und goldenen Tellern eingedeckt; und in der Diele überrascht ein mit Kugeln und Girlanden geschmück-ter Weihnachtsbaum ganzjährig die Besucher. Am gemütlichsten ist es im Billardzimmer und in der Küche, wo der Koch gerade ein üppiges Buffet aus diversen Grillwaren, Nudeln, Kartoffeln und Gemüse aufbaut. »Ey Church, wie geht’s, Mann, alles klar«, ruft The Game, der in einer kleinen Sitzecke direkt neben dem Küchentresen Platz genommen hat. Der Koch grinst. Auch er ist ein alter Freund aus dem Ghetto, The Game hat ihm die Kochschule bezahlt. Die ersten Gäste häufen sich die Teller voll, doch der Hausherr stärkt sich auf andere Art: Vor ihm auf dem Couchtisch liegt ein Beutel mit Marihuana, den er mit geübten Handgriffen zu einem Joint weiterverarbeitet.
Draußen am Pool liegen die Mädchen wie bestellt und nicht abgeholt. Keine rührt die fettige Nahrung an, alle warten darauf, dass sich The Game endlich zeigt. »Er ist ein großer Junge«, erzählt Danielle, eine 18-jährige Tänzerin. »Als ich zum ersten Mal hier war, hat er mich mitsamt dem Stuhl, auf dem ich saß, in den Pool geworfen.« Auf diesen erfolgreichen Einstand ist sie immer noch stolz. »Tausende Mädchen träumen davon, zu einer Party wie dieser hier eingeladen zu werden!« Ihre Freundin Mya dreht sich herüber. »Ach ja? Für genauso viele Mädchen wäre das aber ein Albtraum«, sagt sie. Spätestens seitdem das Edelgroupie Karrine Steffans ein detailliertes Enthüllungsbuch über ihre Erfahrungen in der Rapszene veröffentlicht hat, gilt es für viele als ausgemacht, dass jede Hip-Hop-Party in einer Orgie endet.
Ein paar Meter weiter nippen Mirtha, eine blonde Belgierin, und Mellany, eine Latina mit langen dunklen Locken, an ihrer Cola light. Beide beäugen die anderen Mädchen – inzwischen knapp dreißig – eher misstrauisch. Wem wird es heute gelingen, den Star auf sich aufmerksam zu machen? Mellany trägt einen Einteiler mit durchlöchertem Strickoberteil und Hotpants. Sie erzählt, The Game bereits vor zwei Jahren in Miami getroffen zu haben, wo er nach dem Erfolg seines ersten Albums wilde Partys zu feiern pflegte. Was dabei genau passierte, möchte sie allerdings nicht verraten, und lächelt nur vielsagend. Lieber spricht sie über den Charakter des Stars. »Er ist kein Arschkriecher«, sagt sie, »im Gegensatz zu den meisten anderen Typen in L.A. Es ist sehr angenehm, wenn du in dieser Stadt mal jemand triffst, der echt geblieben ist.«
Hinten am Grill unterhalten sich drei stämmige Typen über die Mädchen, die man bei den Partys von The Game treffen kann. »Sie kommen in allen Geschmacksrichtungen«, sagt der eine mit Kennermiene, »so wie die Farben des Regenbogens.« Sein Nebenmann grinst und entblößt dabei beeindruckende Grillz, aus Gold und Diamanten geschmiedete Verzierungen der oberen und unteren Schneidezähne. Der dritte stellt sich als G’Bralta vor, seinen Namen hat er auf den rechten Unterarm tätowiert. G’Bralta hofft auf eine Rapkarriere, arbeitet aber bis zum Beginn derselben bei der US-Navy. Als Soldat war er in Stuttgart stationiert, dort hat er seine Frau kennengelernt. Deren 17-jähriger Bruder habe das Paar kürzlich in San Diego besucht, mit ein paar deutschen HipHop-CDs im Gepäck. »War nicht totaler Müll, das Zeug, aber doch ziemlich lahm«, urteilt G’Bralta. »Der wahre Hip-Hop kommt halt von der Westküste, verstehst du, Mann! Hier haben wir die besten MCs und die fettesten Beats, Alter!«
Wie zur Bestätigung wird jetzt, gegen fünf Uhr nachmittags, die Musik lauter, die aus vier übers Gelände verteilten Lautsprechern tönt. Weitere Joints werden entzündet und an der Bar geht der Vorrat an Heineken-Bier zur Neige, sodass jemand fortgeschickt wird, um Nachschub zu holen. The Game hat sich, zum Verdruss der Mädchen, wieder ins Obergeschoss zurückgezogen, dafür taucht sein Manager Jimmy Rosemond an der Terrassentür auf. Der kleine Mann mit der großen Narbe auf der Stirn wirkt nicht so, als wolle er sich heute noch amüsieren. Offensichtlich fühlt er sich verpflichtet, auch bei heißen Partys einen kühlen Kopf zu bewahren.
Jimmy Rosemond ist im US-Hip-Hop eine berühmt-berüchtigte Figur. Schon Tupac erwähnte den damals noch als Jimmy Henchmen (»Jimmy Handlanger«) bekannten Impresario in einem Song, von 1996 bis 2000 saß er wegen eines Waffenvergehens im Gefängnis. Zuletzt wurde Rosemond Anfang Juni zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er nach einem Radio-Interview von The Game den DJ angegriffen haben soll.
Rosemond ist es gewohnt, seinen Schützling zu verteidigen. Aussagen von 50 Cent, dass er selbst einen Großteil der Raps auf The Documentary geschrieben habe, haben die Glaubwürdigkeit von The Game schwer beschädigt. Und dann tauchte vor einigen Monaten ein Mitschnitt aus einer Dating-Show im US-Fernsehen auf, in der sich The Game – vor Beginn seiner Rapkarriere – keineswegs als Gangster, sondern als sensibler Liebhaber präsentierte. Das neue Album, darin ist sich die Szene einig, wird zeigen, ob The Game als Rapper Bestand hat, ob er dort oben hingelangt, wo Snoop Dogg und Eminem ihre Kreise ziehen. »The Doctor’s Advocate wird alle Kritiker zum Verstummen bringen«, glaubt jedenfalls Jimmy Rosemond. »Es wird eine neue Ära einläuten und die Musik nach dem Streit der vergange-nen Jahre wieder darauf zurückführen, was jemand am Mikrofon kann.« In diesem Moment drückt sich The Game an Rosemond vorbei und geht nach draußen zum Pool. »Wir werden schon in der ersten Woche eine Million Platten verkaufen, wart’s nur ab«, sagt der Manager noch, bevor er seinem Klienten folgt.
Hinten in der Grillecke wird The Game sofort von einer Menschentraube umringt. Seine Freunde reichen ihm die erhobenen Hände zum Gruß, die Journalisten sind aufgesprungen, die Mädchen drängen her-an, um sich mit dem Star fotografieren zu lassen. Game macht alles mit, verzieht aber keine Miene dabei, nicht einmal als eine langbeinige Mexikanerin mit aufgeknöpften Hotpants ihren Po an seiner Hüfte reibt. Ein Typ mit einer übergroßen Tequila-Flasche drängt sich durch die Menge, ge-folgt von einem zweiten, der Cognac ausschenkt. Dann legt The Game endlich die CD mit den fünf Songs von The Doctor’s Advocate ein.
Was die Anwesenden nun zu hören bekommen, steht in deutlichem Kontrast zur entspannten Stimmung einer Poolparty in der kalifornischen Abendsonne. Schrill wie das Gebell eines Kampfhundes dröhnen die Worte von The Game aus den Lautsprechern, unterstützt von Beats im Breitwandformat. Die fünf Songs klingen wie eine Generalabrechnung mit allen und jedem und dem ganzen Scheiß noch dazu, getragen vom Selbstbewusstsein eines Über-lebenskünstlers, der dem Tod ins Gesicht geblickt hat. Rohe, unpolierte Musik. Mühelos entwickelt The Game eine emotionale Kraft, wie sie im Rock kaum noch zu finden ist. Auch ein Grund, warum Rap Gitarrenmusik kommerziell an den Rand gedrängt hat.
Die CD läuft zum zweiten Mal durch. Immer wieder erwähnt The Game in den Stücken seinen Mentor Dr. Dre, auf den sich auch der Albumtitel bezieht. Wie ist es, mit Dre zu arbeiten? »Wie ein Engel im Himmel zu sein«, schwärmt The Game. »Wie mit Jesus zu arbeiten! Dr. Dre ist der beste Produzent in der Geschichte des Pop.« Was ist Dres Geheimnis? »Das hat noch keiner rausgekriegt, obwohl er schon zwanzig Jahre dabei ist. Keiner weiß, warum seine Platten so fantastisch klingen. Das ist wie ein altes chinesisches Geheimnis – nur dass wir keine Chinesen sind.«
The Game macht den Eindruck eines Mannes, dessen Charakter im Feuer einer ungewöhnlichen Biografie hart geschmiedet wurde. Er sieht sich als Kämpfer – und als Sieger. »Was auch immer kommt, ich werde damit fertig«, sagt er. »Ich wehre alle Angriffe ab. Ich kann richtig von falsch unterscheiden, und ich halte meinen Rasen kurz, damit ich die Schlangen sehe, die auf mich zu gekrochen kommen.« Zweimal pro Woche geht er auf den Schieß-stand, um mit seiner Lieblingspistole, einer Glock 9, zu trainieren. »Du weißt nie, wann du mal wieder ein Ziel treffen musst.«
Inzwischen sitzt The Game auf einem weißen Plastikstuhl am Pool, zusammen mit zwei Freunden und zwei Mädchen. Wie wird die Party weitergehen? »Oh Mann, wir holen die großen Bierflaschen raus und das gute kalifornische Gras. Das wird wieder eine dieser Partys werden, du verstehst …« Und die Mädchen? »Die wollen alle mit mir ins Bett. Da wird aber nichts draus, weil ich eine Freundin habe. Aber es sind ja noch andere Männer hier.«
The Game zwinkert. Dann müssen die Journalisten gehen – damit die Party beginnen kann.