»Kaum etwas ist schwieriger, als einen überzeugenden Protestsong zu schreiben«

Folksängerin Suzanne Vega über die Unverwüstlichkeit der akustischen Musik, Alltagsbeobachtungen in New York und die Entstehungsgeschichte ihres berühmtesten Songs.

Foto: Cooking Vinyl/Indigo

Suzanne Vega, auf Ihrem neuen Album Close Up, Vol 3: States Of Being  sind die meisten Songs ganz simpel arrangiert – nur mit akustischer Gitarre. Warum ist dieser altbekannte Sound in Ihren Augen weiterhin aktuell?
Zur Gitarre ein Lied zu singen, ist immer aktuell. Akustische Musik liegt mal mehr und mal weniger im Trend, ist aber auf ihre Weise immer modern, denn das Format hat einfach etwas kraftvolles, spirituelles. Es erinnert an vergangene Zeiten, als fahrende Sänger Neuigkeiten verbreitet haben. Mich hat die akustische Gitarre schon ganz zu Anfang zur Musik hingezogen – der schöne Klang der Saiten, die Resonanz des Holzes. Und so ist es immer noch.

Wollten Sie die Folkmusik der Sechziger fortführen, als Sie in den späten Siebzigern anfingen, mit Ihrer Gitarre in New Yorker Clubs aufzutreten?
Ich war natürlich beeinflusst von Leonard Cohen und Bob Dylan. Und von Lou Reed, der auch manchmal akustische Gitarre spielt, obwohl man ihn eher als elektrischen Gitarristen kennt. Ich sah die Folkmusik allerdings nichts als einen Trend aus den Sechzigern, sondern als etwas viel älteres. Ich hatte zum Beispiel eine Platte mit Gewerkschaftsliedern und Protestsongs aus den Dreißigern. Die habe ich zwar nicht nachgesungen, aber ich fühlte mich auf jeden Fall als Teil der Folk-Tradition.

Dennoch wurden Sie in der New-Wave-Szene akzeptiert.
Nun, ich fühlte mich modern. Ich lebte in der Gegenwart und wollte die akustische Gitarre mit technischen Neuerungen mischen. Noch heute verbinde ich den Klang der akustischen Gitarre mit der Technologie, die gerade angesagt ist. Meine neue Platte ist zwar etwas einfacher produziert, aber es ist keine rein akustische Aufnahme. Ich benutze auch Loops und Effekte. Das macht die Sache für mich interessant.

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Wie schätzen Sie Ihre Fähigkeiten auf der Gitarre ein?
Genauso wie meine Fähigkeiten als Sängerin: einfach, aber effektiv. Ich bin technisch nicht überragend, aber ich denke, ich habe einen eigenen Stil, der dadurch geprägt ist, wie ich die Saiten anschlage und wie ich die Songs gliedere. Jemand hat dafür das Wort »flinty« benutzt, das fand ich treffend. Mein Gitarrenspiel hat etwas hartes, spitzes, mineralisches.

Gerade Virtuosen scheitern oft daran, einen eigenen Stil zu finden.
Ja, Beschränkungen können auch von Vorteil sein. Wenn man alles spielen kann, ist es schwieriger, den Weg zu finden. Unsere Grenzen definieren uns.

In Ihren Songs geht es um Alltagssituationen und Charaktere, die aus dem Leben gegriffen sind. Sind Sie bei der Wahl dieser Thematik auch von der Folktradition beeinflusst worden?
Eigentlich eher von Lou Reed, der sich im New York der Siebziger umgeschaut und über alles gesungen hat, was er interessant fand. Das hat mich sehr inspiriert. Das ist ein konfrontativer Weg, Songs zu schreiben. Einige meiner bekannteren Songs sind so entstanden,»Luka« zum Beispiel.

Ich habe den Eindruck, dass man solche Songs heute nicht mehr so häufig hört. Wie sehen Sie das?
Ich denke schon, dass es gerade einige interessante Songwriter gibt. Ich mag zum Beispiel Josh Ritter. Seinen Song »Annabelle Lee« finde ich faszinierend, der handelt von einem Matrosen, der mit Kolumbus nach Amerika gefahren ist. Auch Laura Marling schreibt interessante Songs.

Fällt es Ihnen leicht, neue Songs zu schreiben?
Das werden wir später im Sommer sehen, wenn ich mich wieder mit meiner Gitarre hinsetze. In letzter Zeit habe ich an einem Theaterstück gearbeitet. Das war etwas ganz anderes. Aber auch dafür habe ich einige Songs geschrieben.

Ich hänge an der romantischen Vorstellung, dass man als Songwriter die Straße runtergeht, plötzlich von der Inspiration gepackt wird, nach Hause rennt – und ein Meisterwerk schreibt.
Ja, manchmal ist es so. Zum Beispiel bei »Tom’s Diner«. Ich war gerade in dem Restaurant gewesen, ging die Straße hinunter und hatte auf einmal diese Melodie im Kopf. Es wurde einer meiner langlebigsten Songs.

Erzählen Sie mal vom letzten Song, den Sie geschrieben haben.
Das war vor ungefähr sechs Wochen, ein Song für mein Theaterstück. Er heißt »Lover Beloved« und basiert auf dem Werk der Schriftstellerin Carson McCullers. Ich musste mit ihrer Philosophie kämpfen und die irgendwie in dem Song unterkriegen.

Könnten Sie sich vorstellen, einen politischen Song zu schreiben?
Kaum etwas ist schwieriger, als einen überzeugenden Protestsong oder politischen Song zu schreiben. Wenn ich jetzt einen Song über die Tea Party schreiben würde – wer weiß, ob das Thema in zwei Jahren noch relevant wäre. Ich denke, der beste politische Songschreiber ist immer noch Bob Dylan. Lieder wie »Masters Of War« oder »It’s Alright Ma (I’m Only Bleeding)« sind kaum zu übertreffen. Wenn ich einen politischen Song schreiben würde, hätte ich das Ziel, etwas ähnlich gutes zu machen; gleichzeitig weiß ich, dass mir das wohl kaum gelingen wird. Da lasse ich es lieber gleich.

Eines finde ich an Dylans politischen Songs besonders faszinierend: Selbst Lieder wie »The Lonesome Death Of Hattie Carroll«, die auf ganz konkreten Ereignissen beruhen, haben eine zeitlose Wahrhaftigkeit.
Absolut richtig. Das zeichnet Dylan aus. Vielleicht versuche ich, für mein nächstes Album eine Geschichte zu finden, die etwas über unsere Zeit erzählt, ohne klischeehaft und furchtbar zu sein.

Letzte Frage: Ich habe vor einiger Zeit selbst mit dem Gitarrespielen angefangen. Haben Sie vielleicht einen Tipp für mich?
Sie müssen vor allem versuchen, regelmäßig zu spielen. Wenn Sie die Hornhaut an den Fingern verlieren, ist es schwierig, sie wiederzubekommen. Mein Bassist sagt immer, dass man mindestens zwanzig Minuten am Tag spielen sollte. Es ist ja auch schön, Zeit mit seiner Gitarre zu verbringen. Halten Sie sie in den Armen, spielen Sie regelmäßig – irgendwann wird es fließen, und dann ist die Gitarre Teil Ihres Lebens.