Verfolgungsjagd in Paris
Thomas war immer vorne dran, nicht nur im Grafik-Design, in der Graffiti-Kunst und beim Collagieren von Platten-Covern. Ganz besonders vorne dran war Thomas in Paris. Er kannte die Stadt extrem gut und raste jedes Mal los wie ein bestens gelaunter Straßenköter, wenn wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen unterwegs waren. Ich sah seine wippende Ich-bleibe-immer-jung-Frisur meistens nur von hinten und hatte größte Mühe, den Anschluss an unseren enthusiastischen Fremdenführer zu halten. Thomas lotste uns durch die Stadt, ihre Cafés, ihre Galerien, ihre Museen, ihre Bars – in eine ließen wir uns sogar mal über Nacht einschließen, um die Sperrstunde zu umgehen; von zwei bis sechs Uhr morgens saßen wir mit bester Laune fest, und es wurde keinen Moment langweilig mit Thomas und seinen warmherzigen Erzählungen, bis dann irgendwann der Rollladen wieder hoch ging und wir ins frühe Tageslicht traten.
Meine schönste Paris-Erinnerung an Thomas ist geprägt von Dankbarkeit und Angstschweiß. Er nahm einmal die Verfolgung eines Fahrraddiebes auf, der sich auf mein Miet-Bike gesetzt hatte und mich noch ein bisschen ärgern wollte, indem er vor meiner Nase mit dem Rad auf und ab fuhr. Da trat Thomas auf den Plan – und in dieser kleinen Begebenheit stecken viele seiner guten Eigenschaften. Er fasste sich selbstlos ein Herz für einen Freund und Kollegen und nahm die Verfolgung des Diebes auf. Thomas war nicht schneller, aber schlauer. Er kannte alle Abkürzungen im Viertel, und wie in einer gut gefilmten Kino-Komödie fuhren die beiden in einer wilden Verfolgungsjagd kreuz und quer durch den dichten Samstagsverkehr. Ich hatte fürchterliche Angst, dass Thomas in seinem Jagdeifer von einem Auto erfasst werden oder unter einen Bus schlittern würde, aber mit unglaublicher Geschicklichkeit entging er einem Verkehrsunfall. Am Ende entkam der Dieb – aber für mich war Thomas trotzdem der Sieger. Tausend Dank fürs Kämpfen, mein lieber Freund. – Timm Klotzek
Sommerabend-Treffen
Ich fing gleich nach der Journalistenschule als Redakteurin beim SZ-Magazin an. Alles war wahnsinnig aufregend und manchmal auch einschüchternd für mich, 26 Jahre alt, erster Job, große Redaktion. Zum Glück traf ich aber auf Kolleginnen und Kollegen wie Thomas. Ich weiß noch, was für ein gutes Gefühl er mir gab, wie hilfsbereit er war, wie integrierend, wie offen. Wir wohnten damals beide in Haidhausen. An Sommerabenden traf ich ihn oft zufällig, wenn ich gerade nach Hause lief und er gerade nach Hause radelte. Als ich kürzlich wieder durch Haidhausen lief, war da sofort dieser Stich – weil mir klar wurde, dass ich Thomas nie wieder auf seinem Fahrrad gut gelaunt nach Hause sausen sehen werde. – Dorothea Wagner
Disco-Bässe und Cola-Flaschen
Kartsolis (viele von uns haben ihn komischerweise immer beim Nachnamen genannt) war ein echter Künstler, einer, der Themen oft aus völlig unerwarteter Richtung dachte, von Grafik-Standards und Standard-Grafik auf beste Weise weit entfernt. Und er war einer der lustigsten Menschen, die je beim SZ-Magazin gearbeitet haben. Er konnte Geschichten so erzählen, dass man schon nach wenigen Sätzen vor Lachen weinte, lang bevor er überhaupt zur Pointe kam (Lieblingsgeschichte: die vom wichtigen Geschäftstermin, bei der sein Kollege mit dem Finger in einer Colaflasche steckenblieb und die ganze Verhandlung nur unter peinlichen Verrenkungen weiterführen konnte). Nach einer echten Kartsolis-Geschichte ging man gut gelaunt zurück an den Schreibtisch, er fuhr in seinem Büro am anderen Ende des Gangs wieder die Musik hoch, und durchs ganze Stockwerk dröhnten die fettesten Disco-Bässe, die dieser graue Turm am Stadtrand je zu hören kriegte. Das Lachen, das Dröhnen, die Unberechenbarkeit – all das fehlt uns sehr. – Max Fellmann
Besuch an der Wand
»Die Wand« war immer das Herzstück der Grafik, der Ort, wo die Layouts der kommenden Ausgaben als Miniaturen hingen, so dass man alle Geschichten und Seiten auf einmal sehen und gegebenenfalls hin- und hertauschen konnte. Wann immer ich von meinem Schreibtisch in die Grafik geschlendert kam – mal mit guten Gründen, mal einfach so –, schaute ich mir die Layouts Deiner Abteilung an. Und Du stelltest dich fast immer dazu, zum Plaudern, zum Witzeln, Du erklärtest Eure Arbeit und was sich dahinter für Ideen verbargen, was noch fehlte und was Du besonders mochtest. In den Corona-Jahren verwaiste die Wand. Vieles fand nur noch digital statt, und im Homeoffice wird heute auch viel weniger geschlendert und geplaudert. Die Wand fehlt, und noch viel mehr: Du. – Annabel Dillig
Athen
Meine ersten Tage als Redakteurin beim SZ-Magazin im Jahr 2018 waren ein bisschen einsam. Wer aber gleich am ersten Tag bei mir im Büro stand, war der Artdirector: Thomas Kartsolis. Mich hat das damals wahnsinnig gefreut und da ich zu der Zeit gerade an einer Reportage gearbeitet habe, die in Griechenland gespielt hat, der Heimat seiner Eltern, hatten wir sofort ein Gesprächsthema. Thomas kannte sich wahnsinnig gut aus in Athen, hatte total Lust auf die Geschichte und hat gleich angefangen, Layouts für mich zu bauen, was ich als große Ehre empfunden habe. Die Reportage war eine meiner ersten Covergeschichten fürs SZ-Magazin und das ist ganz bestimmt auch Thomas und der flirrenden Energie zu verdanken, mit der er diese damals visuell aufgeladen hat. – Mareike Nieberding
Das große Schwärmen
Gerne erinnere ich mich an mein erstes Gespräch – mein Bewerbungsgespräch – mit dir: im Sommer auf einer Parkbank in Haidhausen mit einem To-Go-Kaffee. Es war vor allem ein Schwärmen von der Arbeit und dem Team dahinter. Dieser Sommer ist bald sieben Jahre her, und der Sommer, der kommt, wird der erste ohne dich. – Michaela Rogalli
Reisen und Experimente
Gespräche über besuchte Ausstellungen, Illustratoren, Künstler, Bildbandfunde. Gemeinsame Reisen nach Paris, um Neues zu entdecken und das jährliche Fotofestival dort anzuschauen. Das Schwelgen zu allem, was wir in New York gesehen oder gehört hatten. Zusammen Ideen zu testen und zu experimentieren im Heft. Thomas war immer voller Inspiration, und seine Leichtigkeit und seine Liebe zu dem, was wir beide jeden Tag beim Magazin gemacht haben – das fehlt sehr. – Birthe Steinbeck
Auf den Hund gekommen
Wenn ich an Thomas denke, denke ich an laute Musik aus der Grafik. Und ich denke an eine Weihnachtskarte mit einem echten Hund und einem Hund aus Schnee darauf. So lustig, dieser fast mühelose Humor. Thomas war einer der zwei witzigsten Menschen, die ich kenne. Und der am wenigsten nachtragende. – Gabriela Herpell
Krabbencocktail mit Frau Hofrat
Thomas hatte ein Herz für fast jedes Thema. So erzählte ich ihm mal von der anstehenden Live-Übertragung des Wiener Opernballs. Wenige Tage später saßen wir zusammen, aßen Krabbencocktail vom Käfer und lachten uns schief über »Frau Hofrat«, »Mascherl« und den »Edelstatisten«. – Jonas Natterer
Typo-Genie
Thomas war ein warmherziger Mensch, und hatte eine unglaubliche Begeisterungsfähigkeit mit kindlichem Schalk im Nacken. Seinetwegen bin ich überhaupt hier beim Magazin gelandet. Wenn wir mal wieder ein typografisches Cover machen wollten, hat er Papier, Tusche, Pinsel und Farben auf dem Boden seines Büro ausgebreitet und in einer messerscharfen Konzentration Typoentwürfe rausgehauen. Und wenn man dann eine Stunde später ins Zimmer ging, hing eine komplette Wand mit den besten Handletterings voll – und Thomas sah aus wie der glücklichste Mensch auf der Erde. – Anna Sullivan
Auf dem Rad zur Isar
Im Sommer nach der Arbeit zusammen direkt an die Isar radeln. Das werde ich sehr vermissen. – Ralf Zimmermann
Sein Abend in der Villa Stuck
Denke ich an Thomas, sehe ich seinen Home-Bildschirm mit mindestens einhundert Dokumenten darauf, die zu einem kreisförmigen Cluster geballt waren. Ich erinnere mich auch an einen Tag, ich kam in sein Zimmer, es war nix los, er schenkte mir eine Tasse Griechischen Bergtee ein, ein Fußballspiel lief auf seinem Rechner, ich schob mir einen Abfalleimer unter den Hintern, und so guckten wir. Ich erinnere mich an sein Snoopy-Cover für das Designheft zum Thema Schlafen. Und ich denke sehr gern an den Abend in der Villa Stuck, wir standen draußen, weil es drinnen so voll war, weil alle Thomas' Plakatkunst für Gomma und Toytonics sehen wollten. Er war stolz, zeigte es aber nicht und wirkte irgendwie glücklich. – Thomas Bärnthaler
Geblättert
Ich kannte ihn lang. Nicht ewig, aber sicher 15, 16 Jahre. Wann immer wir uns unterhielten, blätterte er in irgendwas. Selbst wenn ich fand, es lag so gar nichts zum Blättern rum, fand er trotzdem irgendwas. Und blätterte. Schnell, und genau so lang, wie wir uns unterhielten. Hoffentlich hat ihm jemand einen schönen Katalog ins Grab getan. – Susanne Schneider
Das nächste Spezi geht auf Dich
Ein Abend im Biergarten an der Muffathalle. Ich gerade Praktikant beim SZ-Magazin, kenne dort eigentlich noch niemanden. Aber ihn erkenne ich gleich, zwei Tische weiter, den Artdirector. Thomas. Mit an seinem Tisch: zwei andere, bekannte Artdirectoren, ein ebenso bekannter Fotograf, Münchner Halb-Prominenz. Ich schleiche mich vorbei zur Theke, bloß in die andere Richtung gucken, bloß nicht rüberstarren. Da ruft Thomas meinen Namen. Er spricht ihn sogar richtig aus, wie fast niemand sonst in München. »Setz dich doch mal her, ich stell dich vor.« Das war meine erste Erfahrung mit Thomas. Und irgendwie ist es immer so geblieben: Thomas erschien manchmal unnahbar, fast immer in seinen eigenen Projekten versunken. Aber wenn er konnte, dann half er. Dann unterstützte er. Dann versuchte er, alle einzubinden. An dem Abend im Biergarten hat er den anderen dreien am Tisch plötzlich erzählt, an welcher Geschichte ich grade arbeite – als sei es das normalste der Welt, dass der Grafik-Chef sich merkt, was ein Praktikant in der Konferenz vorschlägt. Später holte er mir ein Spezi. Machs gut, Thomas, das nächste Spezi trinke ich auf dich. – Wolfgang Luef
Fremdfreude
Wie er sich gefreut hat, als ich ihm erzählte, dass ich endlich mal nach Griechenland fahren würde. Für mich hat er sich gefreut. – Lars Reichardt
Zauberei
Alltagsproblem in der Magazin-Redaktion: Wir haben einen guten Text – aber keine Ahnung, wie der Text bebildert werden könnte. Solche Probleme löst die Grafik-Abteilung, ihr steht eine Ardirectorin oder ein Artdirector vor. Und immer wieder wirkt die Arbeit dieses großartigen Teils der Redaktion auf mich wie Zauberei: Kaum wird der Text vorgestellt, liefert die Grafik Weltklasse-Einfälle für eine optische Umsetzung. Wie machen die das nur? Woher nehmen sie all ihre fantastischen Ideen? Möglicherweise ist es Zauberei. Thomas war über viele Jahre hinweg der Chef-Zauberer beim SZ-Magazin. Ich erinnere, dass einmal der wirklich zwingende Einfall für eine Bebilderung ausblieb, eine tolle Geschichte über das gefährliche Leben von Amateur-Schiedsrichtern hatte keine Fotos. Die Zeit zum Andruck war knapp. Aber gute Artdirectoren erkennt man daran, dass sie nicht notwendigerweise teure Fotoproduktionen brauchen, um ein außergewöhnliches Layout zu produzieren. Man erkennt sie daran, dass sie Ideen haben. Thomas schob sich die langen Haare hinters Ohr. Am nächsten Morgen lagen die fertigen Arbeiten vor – originell, wild, einzigartig. Was mir wie Zauberei vorkam, war einfach der Zauber einer Gabe: seiner phänomenalen Kreativität. Die schönen Polarlichter am Himmel vor ein paar Tagen, leuchtend bunte Wunder? Ein Naturphänomen, sagt die Wissenschaft. Aber ich bin mir da nicht sicher. Vielleicht war es auch Zauberei. – Michael Ebert