Es sind harte Zeiten für Fans des gepflegten Leuteguckens. Die Innenstädte sind leer, die Restaurants geschlossen und an Partys kann sich nur erinnern, wer Kim Kardashian heißt und für seinen 40. Geburtstag mal eben eine Privatinsel mieten kann. Für alle anderen bleibt als einzige Möglichkeit, ein paar fremde Gesichter zu sehen, der Spaziergang. Doch wer dieser Tage mit Abstand zwischen Isar und Elbe flaniert, dem eröffnet sich ein tristes Bild: Wo man hinschaut, erblickt man bodenlange Daunenmäntel. Diese sind eher locker geschnitten, nicht tailliert und dazu breit gesteppt; sie kommen zumeist in Schwarz, Mutige trauen sich auch an Oliv-, Dunkelblau- oder Anthrazit-Töne. An den gerade so aus dem tragbaren Schlafsack herausschauenden Körperenden sieht man oft Ugg-Boots und Kaschmirmützen in gefälligen Nichtfarben. Das einzig Auffällige an dem Look ist seine Frequenz. Er wird von Nachbar*innen ebenso getragen wie von Infuencer*innen wie Caro Daur und Pernille Teisbaeck, von Model Irina Shayk oder Schauspielerin Demi Moore.
Wenn das Spazierengehen in Pandemie-Zeiten doch die letzte Gelegenheit ist, sich (und seinen Geschmack) irgendjemandem zu präsentieren – ob der Chefin oder seinem Tinderdate – warum tragen dabei dann alle das Gleiche?
Einerseits dürfte sich ein nicht unerheblicher Teil der Bundesrepublik im Herbst 2020 überlegt haben: »Dieses Jahr kaufe ich mir endlich eine RICHTIG warme Jacke.« Schließlich zeichnete sich Draußensein – ohne Glühweinstand – schon früh als einzig bleibende Form der sozialen Freizeitgestaltung ab. Wenn schon nicht zusammen unter einem Heizpilz stehen, dann wird man wenigstens selbst einer.
Bei der Wahl der Modelle musste etwas Neues her. An der »leichten Daune« und der bunt-pragmatischen Funktionsjacke haben sich selbst die Aktivbürger*innen langsam sattgesehen – und dass Parkas mit Fellbesatz an der Kapuze in Mitteleuropa vollkommen unangebracht sind, hat sich fast bis nach Eppendorf durchgesprochen. Und siehe da: Es kamen kreative Gegenvorschläge.
Der italienische Daunenjacken-Spezialist Moncler lanciert seit Jahren unter seiner »Genius«-Sparte eine Art tragbare Dauenkunst – in Kooperation mit wechselnden Designer*innen. Die auffälligen Interpretationen mit bunten Allover-Prints im Sixties-Stil aus der Kooperation mit Richard Quinn wurden schon von Céline Dion oder Dua Lipa getragen, das bodenlange Ganzkörper-Daunencape von Valentino-Designer Pierpaolo Piccioli für Moncler sorgte unter anderem an Schauspieler Ezra Miller für Begeisterung.
»Cocooning« bezeichnet eigentlich den Wohntrend des Zuhause-Einigelns. Überwerfen, einmummeln und wohlfühlen – das geht jetzt aber auch draußen
In der aktuellen Wintersaison springen nun (Corona-bedingt?) immer mehr Luxusmarken auf den Outdoor-Zug auf. Besonderer Gewinner dabei: der US-Hersteller The North Face. Er brachte erst mit MM6 Maison Margiela eine gemeinsame Linie an kreisrund geschnittenen Daunen- und Fleecejacken heraus, die sogar von Bella Hadid und Hailey Bieber getragen wurden. Und dieser Tage leckt sich die Modewelt die Finger nach den verträumten Entwürfen aus der Kooperation von Gucci und The North Face, mit denen jeder Camping-Trip zum Wes-Anderson-Film wird.
Dass derartige Designs nicht das sind, was die breite Masse trägt, liegt nicht nur an ihren Preisschildern – schließlich kann auch der minimalistisch-schwarze Daunenmantel seinen Preis haben. Es geht dabei vielmehr um einen anderen Trend. Die Pandemie hat die Art, wie wir uns kleiden, stark verändert. Alles muss gemütlich sein, darf nicht zwicken und muss höchstens ab Brusthöhe nach irgendetwas aussehen. (Wobei die Kolleg*innen auf Zoom da auch immer unkritischer werden.)
»Cocooning« bezeichnet eigentlich den Wohntrend des Zuhause-Einigelns. Überwerfen, einmummeln und wohlfühlen – diesem Anspruch wird nun auch die lange Einheits-Daunenkluft für draußen absolut gerecht. Da kann ein zu lautes Muster oder ein nicht sofort verständlicher Schnitt schon zu viel sein. Sind ihre TrägerInnen also (Mode-)faul und gemütlichkeitsliebend? Oder aber einfach uninspiriert? Beides ließe sich in diesen Wochen bestens nachvollziehen. Einzig die Frage, wie viele Tiere (auf teils grausame Art) ihre Federn lassen müssen, damit sich halb Deutschland in Daunenstepp hüllen kann, bereitet uns weiterhin Kopfschmerzen.
Wird getragen von: InfluencerInnen, Models, Schauspielerinnen, jedem zweiten Menschen auf der Straße
Wird getragen mit: Ugg Boots, Leggings, Kaschmir-Beanie in gefälliger Nichtfarbe, Half-Moon Bag
Nicht verwechseln mit: Schlafsack