Ausgerechnet die beliebtesten Halloween-Kostüme sollen in diesem Jahr tabu sein. Wenn es nach der mächtigen Gewerkschaft Screen Actors Guild (SAG-AFTRA) geht, dürfen sich Prominente, also vor allem Schauspieler und andere Filmschaffende, in diesem Jahr nicht als Barbie verkleiden, nicht als Ken oder Oppenheimer, ja nicht mal als Elvis Presley oder Wednesday Addams. Die Mitglieder der Gewerkschaft, die seit Monaten für bessere Honorare streiken und damit Hollywood lahm legen, sollen mit Figuren aus aktuellen Filmen nicht auch noch Werbung für ihren Gegner, die Filmindustrie, machen, heißt es in einer Mitteilung. Für Eltern kann an dieser Stelle Entwarnung gegeben werden: Mit ziemlicher Sicherheit wird niemand einer 10-Jährigen im rosa Kostüm auf der Halloween-Party in Neuperlach sagen: »Streikbrecherin! Gebt ihr Saures!«
Sensible Eltern fragen sich ja schon seit Jahren, welche Verkleidungen an Karneval und Halloween überhaupt noch tragbar sind. Der Federschmuck des Squaw-Kostüms aus der eigenen Kindheit wurde in den Giftschrank verbannt, das Sheriff-Outfit – obwohl für Mädchen eigentlich wertvoll, weil frühes Genderbending – gleich mit: Schusswaffen sind vielerorts tabu. Vor Jahren bekam der eigene Vierjährige ein Totenkopf-Dress angezogen, nur um in der Kita von einer Erzieherin belehrt zu werden, dass das ja ein direkter Verweis auf die mexikanische Tradition des Feiertags »Dia de los muertos« am 2. November sei, an dem den Vorfahren gedacht werde. Aus dem Kita-Fundus wurde ihm flugs ein Hui-Buh-Laken übergestülpt. Das Kind verstand die Welt nicht mehr.
»It’s a culture, not a costume«, heißt eine Parole aus den USA, die als gute Orientierung taugt, welche Verkleidungen tabu sein sollten. Wer diese Haltung weiterdenkt, sortiert wahrscheinlich auch alle Bezüge auf marginalisierte oder Gewalt verherrlichende Gruppen aus, und lässt irgendwann selbst von der sexy Krankenschwester die Finger. Was dann überhaupt noch übrig bleibt? Immerhin das gesamte, klassische Grusel-Repertoire: Spinnen, Vampire, Teufel, Zombies und Hexen gelten allein schon wegen fehlender realer Lobbygruppen als einigermaßen »safe«. Außerdem entsprechen sie maximal dem Halloween-Brauch. Denn wer hat eigentlich damit angefangen, zu diesem Anlass als gänzlich ungruseliger Superheld zu gehen? Wahrscheinlich war der Übergang von den noch latent furchteinflößenden Figuren wie Batman, Black Widow und Darth Vader zu Sympathieträgern wie Ironman und Wonder Woman fließend, außerdem ist es natürlich viel billiger, einfach das Karnevals-Kostüm für Halloween zu recyceln.
Großer Nachteil der klassischen Old-School-Gewänder: In unserer nach Individualität und Novität strebenden Gesellschaft ist das vielen zu oll, zu generisch. Als Vampir auf einer Party plötzlich vor einem anderen Vampir stehen? Wo kommen wir denn da hin? Zum Beispiel in die Merchandising-Hölle. Vor zwei Jahren waren die Kostüme aus der Netflix-Serie »Squid Game« der Renner, letztes Jahr begegnete man an jeder Ecke einer »Wednesday Addams«, dieses Jahr wären Barbie und Ken dran. Auf den Speichern dieser Welt lagern deshalb überall Tüten mit rudimentär angemalten Plastik-Accessoires und billigsten, elektrisch aufgeladenen Polyester-Overalls, die man kaum waschen und eigentlich nie wieder anziehen geschweige denn weitervererben kann. Eigentlich ist das das wahre Grauen von Halloween.
Total vorhersehbar, welcher Lösungsansatz jetzt kommen muss: Alles wieder selbst machen! Wie früher! Handwerklich begabte Menschen sind da klar im Vorteil. Andererseits lassen sich für Kinder Kostüme wie »Marienkäfer« (für Halloween in der Gothic-Version mit viel Kunstblut auf den Flügeln) oder »Brombeere« (schwarze Mütze, schwarzes T-Shirt mit kleinen schwarzen Luftballons daran) selbst von Bastel-Nullen mit ein bisschen Mühe umsetzen.
Die meisten Erwachsenen behelfen sich dieser Tage mit viel Schwarz, Spinnweben, Kunstblut, Vampirzähnen und mehr oder weniger elaboriertem Make-up. Damit lassen sich viele Kostüme leicht auf »Grufti« drehen – zum Beispiel ein typischer Bridgerton-Look mit Korsage, nur eben in dunklem Lila und mit dunklem Lippenstift. Messer sind ebenfalls ein gutes »Accessoire aus der Hölle«: Legendär ist die Verkleidung von Kendall Jenner aus dem letzten Jahr, die als Anspielung auf ihr Unvermögen, eine Gurke zu schneiden (zu sehen in einer Folge von »The Kardashians«), zu Halloween als Gurkenscheibe ging und dazu ein langes Messer in der Hand hielt.
Oder man verkleidet sich als gruseliger Charakter aus dem aktuellen Zeitgeschehen. Trump ist da seit Jahren ein dankbares Motiv, ebenso wie Kris Jenner. Für den praktischen Partnerlook bietet sich die Neunzigerjahre-Version von Victoria und David Beckham an, komplett in schwarzem Leder wie sie gerade noch einmal in der Beckham-Doku zu sehen waren. Wer ganz dick auftragen möchte, versucht sich an Heidi Klum als Ekel-Wurm anno Halloween 2022. Das Kostüm ist garantiert unverfänglich, scham- und jugendfrei. Man braucht halt nur einen Angler dazu, um als fieses Kriechtier vom Fleck zu kommen.
Typischer Instagram-Kommentar: »Uhhhh, scary!«
Das sagt Heidi Klum: »Nach Halloween ist vor Halloween«
Passender Film: Die Hexen von Eastwick