Die Verschiebung der Olympischen Spiele um ein Jahr, unterirdische Zustimmungswerte in der japanischen Bevölkerung, eine Austragung vor leeren Tribünen: Die Sommerspiele in Tokio 2020/21 gehören schon jetzt zu den denkwürdigsten Sportereignissen überhaupt. Und so passt es nur ins Bild, dass auch die dort herrschenden Kleidungsvorschriften für Diskussionsstoff sorgen. Darunter: Das wenig inklusive Verbot von speziell für natürliches Afro-Haar designten Badekappen, der Ausschluss von Badeanzügen mit Bärenmotiv für die unter neutralem Status antretenden russischen Synchronschwimmerinnen (»zu russisch«), die erfreuliche Erlaubnis einer Binde in Regenbogenfarben für die deutsche Hockey-Spielführerin Nike Lorenz.
Was bei Olympia getragen wird, ist politisch – auch die Auswahl der länderspezifischen Olympia-Uniformen und derer, die diese entwerfen. In diesem Jahr kommen die besten erfrischenderweise weder von den ganz großen sportlichen Nationen, noch von denen, die klassischerweise zahlungskräftige Modekompetenz für ihre Looks verpflichten (wie Armani für Italien, Lacoste für Frankreich, Ben Sherman für Großbritannien). Wir haben einen Blick auf die interessantesten Designs geworfen.
Telfar für Liberia
Telfar Clemens ist einer der derzeit angesagtesten Modedesigner überhaupt. Besonders die »Shopping Bags« aus Kunstleder des Designers werden seit Jahren von Bella Hadid, Dua Lipa, Oprah Winfrey und jedem, der sonst noch etwas in der Modewelt auf sich hält, rauf und runter getragen und haben dem Modell deswegen den Kosenamen der »Bushwick Birkin« eingebracht (in Anspielung auf den hippen Stadtteil von Brooklyn, wo Telfar ansässig ist).
Nun hat der liberisch-amerikanische Designer die Ausstattung der liberischen Olympiateams übernommen - das größte externe Investment, welches seine noch immer aufstrebende Firma je getätigt hat. Das Ergebnis? Unisex-Entwürfe wie ein Tanktop mit Spaghettiträgern, eine bodenlange Basketball-Tunika mit passender Palazzo-Hose oder ein asymmetrisches Oberteil mit freier Schulter. Liberia tritt in Tokio mit gerade einmal einer Läuferin und zwei Läufern an und zählt zu den ärmsten Ländern dieser Erde, den Titel für die coolsten Olympia-Outfits überhaupt kann dem westafrikanischen Staat aber niemand mehr nehmen.
Wird getragen von: Fluiden Brooklynern der Gen-Z, bald modisch Informierten weltweit
Wird getragen ohne: BH, alteingesessene Gender-Vorstellungen
Kim Kardashian für die USA
Die offiziellen Outfits für das US-Olympiateam stammen seit 2008 von Ralph Lauren und sehen exakt so aus, wie man es erwarten würde: Preppy, amerikanisch, wie gemacht für eine Vorstellung am Elite-College oder auf dem Golfplatz. Interessanter ist da die Ausstatterin der Unterwäsche und Schlafanzüge für das Team USA - dafür zeigt sich nämlich 2021 niemand anderes als Kim Kardashian mit ihrer Shapewear-Marke Skims verantwortlich. Die Designs sind typisch Skims: Eng anliegend, in eher zurückhaltenden »Greige«-Tönen und mit dezenten Prints gestaltet, zeitgeistig inszeniert. Natürlich nutze Social-Media-Pro Kardashian die Ankündigung für eine emotional aufgeladene Geschichte auf Instagram (ihr Stiefvater Bruce Jenner gewann 1976 Gold im Zehnkampf, über ihn verstand sie angeblich die Hingabe von Olympioniken und Olympionikinnen) und natürlich kann man die Teile auch über den Marken-Onlineshop direkt erwerben – aber ist das nicht irgendwie auch Teil des (modernen) amerikanischen Traums?
Wird getragen von: Allen Mitgliedern des Kardashian/Jenner-Klans und somit sehr bald deren Millionen Followern
Wird getragen mit: Viel Make-up (auch aus eigenem Hause), Extensions, Protein-Shakes
Denim für Kanada
Ja, man nennt die Kombination aus Jeansjacke und -hose auch »Canadian Tuxedo«, aber deshalb gleich das eigene Olympia-Outfit aus dem blauen Stoff gestalten? Super Idee, dachte man sich beim kanadischen Einzelhändler Hudson’s Bay, der sich offiziell für die Ausstattung des olympischen Teams verantwortlich zeigt, und kam mit einer Streetwear-artigen Kollektion inklusive Levi’s-Jeansjacke mit Graffiti-Print um die Ecke. »Tokio ist bekannt für seine Streetart und Mode. Dem zollen wir mit dem Must-have der Kollektion Tribut – der ewig coolen Jeansjacke«, hieß es in der offiziellen Erklärung zum Launch im vergangenen Sommer. Besonders die sehr gewollt wirkenden Kritzeleien stießen im Internet auf wenig Begeisterung (»Mit dieser Jacke hat Kanada die Olympiade bereits verloren«, hieß es unter anderem). Jugendkultur zum Aufdrucken in Serie hat eben selten gut funktioniert.
Wird getragen von: Britney Spears & Justin Timberlake 2001, Fußballern im Ibiza-Urlaub
Wird getragen mit: Prolliger Luxusuhr, Dsquared2-Cap, Banksy-Drucken im Wohnzimmer
Bermudas für Bermuda
Das Motto »Aushängekleidungsstück der Nation« sehr viel geschmackvoller umgesetzt für Olympia hat Bermuda. Das britische Überseegebiet mit gerade mal rund 64.000 Bewohnenden ist weltweit am besten für die dort auch als Geschäftskleidung getragenen kurzen Hosen bekannt. Zum Einmarsch bei den Olympischen Spielen (auch den Winterspielen) tragen die Athletinnen und Athleten üblicherweise rote Bermudas. In Tokio zeigten sich die männlichen Sportler jetzt in modischen Modellen in Hellrosa (auch ein textiles Zeichen für mehr Queerness?), gepaart mit Kniesocken, Schnürschuhen und dunkelblauem Sakko mit Hemd und Krawatte und sahen damit aus, wie frisch vom Thom-Browne-Laufsteg gehüpft. Und auch die sportliche Ausbeute kann sich sehen lassen: So holte die Triathletin Flora Duffy vor wenigen Tagen das erste olympische Gold überhaupt in der Geschichte Bermudas.
Wird getragen von: Thom Browne, Pharrell Williams, Ella Emhoff, Schuluniform tragenden Schülern im Sommer
Wird getragen mit: Strammen Waden
Alle zusammen für Japan
Dass das IOC sein altes olympisches Motto »citius, altius, fortius«, also »schneller, höher, weiter« gerade um das Wort »communis«, also »gemeinsam« erweitert hat, scheint vor dem Hintergrund jüngster Kritik (das rigorose Durchsetzen der Spiele in Tokio gegen den Willen der örtlichen Bevölkerung, die intransparente Vergabe der Austragungsorte) vor allem wie eine Geste, die erst einmal mit Leben gefüllt werden muss. Zumindest in bekleidungspolitischer Hinsicht wurde in Japan aber schon mal ein Schritt zur Inklusion gegangen. Zwar sind die olympischen Outfits von Aoki, einem der größten Bekleidungshändler des Landes, optisch eher unspektakulär (eine Kombi aus hellem Blazer mit Hose, Rock oder Culotte in Rot), dafür gibt es für die olympische und paralympische Mannschaft Japans erstmals die exakt selben Uniformen. Ein schöner Schritt auf dem Feld der adaptiven und barrierefreien Mode.
Wird getragen von: Ausnahmslos allen japanischen Teilnehmenden der olympischen und paralympischen Spiele
Wird getragen mit: Rollstuhl, Prothese - oder ohne