Vor Gericht sind alle gleich – zumindest theoretisch. Ob das im Falle von Prozessen mit beziehungsweise gegen prominente Angeklagte beziehungsweise Kläger immer zu 100 Prozent stimmt, sei an dieser Stelle offen gelassen. Worin sich jedoch ganz unbestritten nicht alle gleichen, ist ihre Prozessgarderobe.
Was Celebrities im Gericht tragen, bleibt im Zeitalter ständiger Paparazzi-Verfolgung und Social-Media-Präsenz niemals unbemerkt und bedarf deshalb sorgfältiger Planung. Unschuld, Reue, Stärke, Schwäche – welche Emotion auch immer es gilt, den Medien, Followern und selbstverständlich auch den vorsitzenden Richtern zu vermitteln, sie lässt sich bekleidungstechnisch unterstreichen.
Wir haben aufgrund der Dichte an prominent besetzen Anklagebänken der letzten Wochen beleuchtet, welche textilen Codes dahinterstecken:
Anna Sorokin, aka Anna Delvey
Der Fall: Die teilweise in Deutschland aufgewachsene Anna Sorokin kam 2013 nach New York und erschwindelte sich hier unter dem Namen Anna Delvey als angeblich reiche Erbin mit Ambitionen, eine Kunst-Stiftung zu gründen, den Weg in die High Society. Wegen Betrugs von Kreditinstitutionen und Privatpersonen in Höhe von 275.000 US-Dollar wurde sie in New York am 9. Mai 2019 zu vier bis zwölf Jahren Haft verurteilt.
Das Outfit: Als die an (unbezahlte) Designerkleidung gewöhnte Sorikin von der Richterin bei einer Anhörung gezwungen wird, einen Jogginganzug zu tragen, beginnt sie zu weinen. Weil auch ihr Anwalt befürchtet, ein solches Outfit könne einen schlechten Eindruck auf die Richter machen, engagiert er die Celebrity-Stylistin Anastasia Walker, die sonst für Namen wie Madonna oder Kanye West im Einsatz ist, um ihr angemessene Gerichtskleidung auszuleihen. Zu den weiteren Anhörungen erscheint Sorokin daraufhin mit kastiger Celine-Hornbrille, schwarzen Choker-Ketten und Designer-Looks von Michael Kors, Miu Miu, Saint Laurent und Victoria Beckham, die auf eine textile Klischeewerdung irgendwo zwischen »unschuldiges Schulmädchen« (weißes, ausgestelltes Minikleid) und »kompetente Bürofachkraft« (schwarze Bügelfaltenhose und Bluse) plädieren. Sorokins »Court Looks« werden im Netz fleißig dokumentiert, unter anderem auf einem eigenen Instagram-Account.
Die Aussage: Der Court ist mein Catwalk. Die sozialen Medien lieben meine Auftritte, schreibt besser schon mal mein Netflix-Drehbuch, wenn ich hier rauskomme, machen wir echtes Geld.
Sonstiger Trageanlass: Teils Erstkommunion, teils Vorstellungsgespräch bei der Bank.
Cardi B:
Der Fall: Wegen ihrer Verwicklung in eine gewalttätige Auseinandersetzung mit zwei Barkeeperinnen in einem New Yorker Stripclub im Sommer 2018 muss sich Cardi B vor Gericht behaupten. Bei der Anhörung im letzten Monat lehnte sie eine Einigung ab, sie und ihr Anwalt plädieren auf Unschuld.
Das Outfit: Für die Verhältnisse der Rapperin, die sonst gern möglichst wenig Stoff und möglichst viel Farbe trägt, eine absolut züchtige Outfit-Wahl – dass es sich bei der Trägerin um eine Diva handelt, wird dennoch unmissverständlich deutlich. Zu Gericht erschien Cardi B Mitte April in einer komplett weißen Kombination aus Stehkragen-Kleid über ausgestellter Bügelfaltenhose des amerikanischen Modedesigners Christian Siriano, dazu kombinierte sie weiße Stilettos, eine verspiegelte Sonnenbrille, lange, gelbe Kunstfingernägel und eine Birkin-Bag von Hermès –immerhin die vielleicht sagenumwobenste aller Handtaschen, an die man normalerweise nur über lange Wartelisten kommt. Als handele es sich um einen ganz normalen Red-Carpet-Auftritt postete sie ein Bild des Looks denn auch gleich mit entsprechender Designer-Vertaggung auf Instagram mit der Unterschrift »COURT FLOW @csiriano X Birkinpussy«
Die Aussage: Ich bin unschuldig, aber sehr erfolgreich. All diese Leute wollen einfach etwas von meinem Reichtum abhaben.
Sonstiger Trageanlass: Ankunft am Flughafen Nizza vor den Filmfestpielen von Cannes. Oder zur der Art Basel Miami.
Felicity Huffman
Der Fall: Die Desperate Housewives-Schauspielerin soll 15.000 US-Dollar Schmiergeld gezahlt haben, um ihrer Tochter durch eine nachträgliche Verbesserung derer Ergebnisse beim Einstufungstest einen Platz an einer Elite-Uni zu verschaffen. Mitte des Monats bekannte sie sich vor einem Bostoner Gericht schuldig, das Strafmaß soll im September bekannt gegeben werden.
Das Outfit: Zu ihrem Schuldgeständnis erschien Huffman in einem ausgestellten grauen Faltenkleid, beigem Strickcardigan, schwarzen Ballerinas und schwarzem Blazer. Die Designertasche durfte zwar nicht fehlen (außerdem ihre wichtigste Begleitung: Ihr Bruder Moore Huffman Jr. fest an der Hand), trotzdem war das Ganze ein absolutes Egal-Outfit. Keins der Teile stach irgendwie ins Auge und könnte sowohl Stangen- als auch Designerware sein, alles war ein bisschen unmodern, die Silhouette ein bisschen unglücklich, weder zum Hin- noch Weggucken.
Die Aussage: Ich bin eine verantwortungsbewusste, sorgende Mutter. Ich bereue zutiefst (irgendwann vielleicht auch diese unmoderne Kleiderwahl).
Sonstiger Trageanlass: Verstecken spielen, Elternsprechtag
David Beckham
Der Fall: Anfang des Monats wurde David Beckham in London verurteilt, weil er Ende letzten Jahres am Steuer seines Bentleys auf sein Handy geschaut hatte – und dabei von einem fleißigen Beobachter fotografiert wurde. Das Resultat: Sechs Monate ohne Führerschein und eine Geldstrafe von 750 Pfund.
Das Outfit: Zur Verkündung erschien Beckham gewohnt »sharp«: Im körperbetonten dunkelgrauen Maßanzug mit passender Krawatte, weißem Hemd und glänzenden Lederboots.
Die Aussage: Ich nehme das hier alles sehr ernst und erweise dem Gericht den nötigen Respekt, vor allem aber habe ich einen Ruf als Beau der Nation, dem ich nachkommen muss – ab jetzt dann eben von der Rückbank meines Fahrers. Kann ich für die Strafzahlung meine Krawatte hierlassen? Könnte sich ungefähr ausgehen.
Sonstiger Trageanlass: Roter Teppich, Beerdigung
Cathy Hummels
Der Fall: Wegen angeblicher Schleichwerbung wurde Cathy Hummels, Influencerin und Frau des einstigen Nationalfußballspielers Mats Hummels, vom Verband Sozialer Wettbewerb (VSW) verklagt. Auslöser war ein nicht als Werbung markierter Instagram-Post, auf dem sie einen blauen Stoffelefanten zeigt, dessen Markenlogo klar zu erkennen ist. Die Anklage wurde abgewiesen.
Das Outfit: Zur Verkündung des Urteils Ende April vor dem Münchener Landgericht kam Hummels trotz wartender Medien nicht persönlich vorbei, zu ihrem Sieg äußerte sie sich später lieber auf ihrem bevorzugten Terrain: Instagram (mit Foto in Skinny Jeans, Sneakers und Glitzergürtel). Und auch bei der Anhörung im Februar hatte sie es bekleidungstechnisch ganz im Sinne der sozialen Plattform gehalten: Ihr Outfit aus enger »distressed« Jeans, schwarzen Ankle Boots und einem pinken Blazer »als Highlight« ließ sie sich vorher von ihren Fans auf Instagram absegnen, vor Gericht kam dann noch die passende pinke Chanel-Kettentasche hinzu.
Die Aussage: Ich bin total authentisch. Mir etwas insta-taugliches anzuziehen und mit meinen Followern zu kommunizieren ist bei mir etwas ganz Natürliches, #sponsored oder nicht.
Sonstiger Trageanlass: Store-Openings, Produktlaunches und sonstige Alltagsaktivitäten im Leben eines Influencers.