Wie es sich anfühlt, wieder daheim einzuziehen

Unsere Autorin zieht für ein Praktikum zurück in ihr altes Kinderzimmer. Sie hofft auf Rundumversorgung und Nestwärme – landet aber plötzlich selbst in der Mutterrolle.

Draußen die aufregende Freiheit, drinnen das gemütliche Hotel Mama. 

Foto: lechatnoir / istockphoto (Symbolfoto)

Vor sieben Jahren bin ich daheim ausgezogen – mit den selben Koffern und Tüten wie damals bin ich jetzt wieder bei meiner Mutter eingezogen. Für ein Praktikum lohnte es sich nicht, eigens eine Wohnung zu suchen. Ich kehre also zurück in die Straße, in der ich schon so oft den Schlüssel im Fahrradkorb versteckt habe und heimlich rauchend vor der Tür stand. Der damals schon sehr beliebte Mann vom Feinkostladen unterhalb unserer Wohnung grüßt mich wieder jeden Tag und warnt meine Mutter »die Tochter, die nicht zahlt, war wieder da.« Ich schlafe wieder im selben Zimmer, in der Ikea-Einrichtung, die ich als Vierzehnjährige ausgewählt hatte. Aus dem weißen Regal quellen alte Schulhefte in blau und rot, an der Wand hängt noch das fünfzehn Jahre alte Lebkuchenherz mit der übrigen Aufschrift »I mo d«. Es fühlt sich nach Heimat an und löst nostalgische Gefühle in mir aus.

Damals konnte der Auszug für mich nicht schnell genug kommen: Endlich Chips als Vorspeise essen, auch wenn es den anschließenden Hunger versaut. Das T-Shirt von Vorgestern ein paar Tage auf dem Boden liegen lassen. Bei Minus-Temperaturen die dünne Jacke anziehen, einfach weil sie besser aussieht. Endlich wirklich frei sein. Niemand kommentierte, wenn ich mir um vier Uhr nachts Spaghetti Bolognese aufwärme oder lieber Spezi zum Frühstück trinke als Tee.

Meinen Eltern fiel die Trennung schwerer. Denn beim Auszug des letzten Kindes – in diesem Fall mir – entstand eine Lücke. Ihr jahrzehntelang morgens, mittags und abends nach uns Kinder getaktetes Leben war vorbei.

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Doch dann drehten sich Gefühlslagen unerwartet: Nach einer Weile des Alleinwohnens freute ich mich auf wenig so sehr wie auf die Wärme und Unbeschwertheit des alten Zuhauses. Ich schätzte Dinge wieder, über die ich davor noch nicht mal nachgedacht habe. Nachdem ich das Weite suchte, suchte ich nun die Nähe. Die Welt da draußen ist toll und aufregend – aber die Welt hier drinnen war auch nicht so schlecht.

Nach sieben Jahren war es also nun für mich so weit: Ich zog im Herbst 2019 wieder zu Hause ein. Und freute mich darauf: Endlich nicht mehr einkaufen gehen, denn der Kühlschrank wird wie durch Zauberhand mit allen Lieblingsprodukten gefüllt. Keine Wäsche mehr machen, das Problem der ungebügelten Bluse gehört der Vergangenheit an. Der Vorrat der Klopapierrollen, Zahnpasta und Shampoos unendlich. Wenn man nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt, steht das warme Essen schon auf dem Tisch. Die zusprechende, mütterliche Stimme sagt »alles wird gut« und in diesem Moment ist man sich plötzlich auch ganz sicher, dass das stimmt. Die Vorstellung mit meiner Mutter zu zweit zu wohnen kam also für mich ziemlich nah an Perfektion ran.

Schon mein Bruder hatte für ein Praktikum eine Zeit lang wieder Zuhause gewohnt. Nach seinem zweiten Auszug folgte meine Schwester. Sie blieb für ihre Arbeit eineinhalb Jahre daheim wohnen. Ich war also kein Einzelfall. Nur: Das Nest ist nicht mehr so warm wie früher.

Meine Mutter meint, ich könnte doch auch einkaufen gehen, schließlich arbeiteten wir gleich lang. Außerdem müsse man als Erwachsener seine Wäsche selbst machen sonst lernt man es nie. Dienstag und Mittwoch kann sie nicht, da ist sie verabredet. Und ich beschwere mich, dass sie sich nie Zeit für mich nimmt. So merkt man also, dass man erwachsen geworden ist. Dabei hatte ich gehofft, dass man zu Hause immer Kind bleibt.

Melancholisch schaue ich auf die Schublade in der Küche. Die Süßigkeiten haben so viel besser geschmeckt als sie noch illegal waren. Die Anziehsachen meiner Schwester möchte ich auch nicht mehr klauen – meine passen dann doch besser. Ich liege in meinem Bett und schaue bis zwei Uhr Nachts meine guilty pleasure »Bachelor in paradise«. Aber meine Mutter motzt nichts mehr von wegen Volksverblödung. Wie lange ich wach bin wird höchstens mit einem »selbst Schuld« belächelt, wenn ich am nächsten Morgen wieder auf die Kaffeetasse starre. Die Einzige, die sich nach einer langen Nacht über den Kater ärgert, bin ich selbst.

Währenddessen lebt meine Mutter eine ganz neue Jugend aus. Sie empfiehlt mir ein neues panasiatische Restaurant mit integrierten Nachtclub, zu dessen Musik »man echt gut tanzen kann«. Heimlich raucht sie auf dem Balkon und tut so, als würde sie die Pflanzen gießen, nur damit meine Schwester es nicht sieht. Mein Bruder regt sich, als er zu Besuch ist, über die Unordnung in der Küche auf. Und einmal saßen wir nachts zu dritt besorgt im Wohnzimmer und haben die »Find My Iphone«-App meiner Mutter aktiviert, weil sie später nach Hause kam als verabredet.

Die neue Entwicklung meiner Mutter fasziniert mich. Zu gerne sitze ich abends mit ihr und einem oder zwei Glas Wein in der Küche und höre ihren aufregenden Geschichten zu. Wie es eigentlich dazu kam, dass sie neulich mit dem Hollywoodschauspieler Gerard Butler beim Abendessen war. Oder warum sie mit ihren Tod's-Schuhen aufs AC/DC Konzert gegangen ist. Auch wenn ich einsehen muss, dass ich wohl eher in einer WG mit meiner Mutter wohne als in einem Hotel – zumindest langweilig wird es nicht.