Als ich einer Freundin vor kurzem erzählte, dass ich für das kommende Jahr schon auf vier Hochzeiten eingeladen sei, antwortete sie trocken: »Hoffentlich bleibt der Todesfall aus.« Das tat er, vergangene Woche wurde ich auf die fünfte Hochzeit eingeladen und irgendwie habe ich das Gefühl, dass um Weihnachten oder Silvester noch was Dickes auf mich zukommt.
Dass sich Hochzeiten im Freundes- und Bekanntenkreis häufen, wenn man selbst auf die Dreißig zugeht, ist nichts, was typisch für meine Generation, also der um 1990 Geborenen, wäre. Das Gefühl, innerhalb von zwei, drei Jahren auf so vielen Hochzeiten eingeladen zu sein, dass sich eine gewisse Erschöpfung einstellt, hat Mike Newell in seinem Film Vier Hochzeiten und ein Todesfall bereits vor einem Vierteljahrhundert beschrieben: Du wirst dreißig und alle fangen an zu heiraten. Alle.
Den Hochzeitsstau, der sich über mehrere Jahre erstreckt, kennen auch Kollegen, Freunde oder Verwandte, die heute zwischen 50 und 60 Jahre alt sind. »Das war bei uns auch so«, sagen sie. Und: »Genießt es, danach kommt lange nichts mehr, bis zu den fünfzigsten Geburtstagen.«
Es ist nicht so, als würde ich ungern auf Hochzeiten gehen oder auch nur darüber nachdenken, an einer der Hochzeiten, auf denen ich eingeladen bin, nicht teilzunehmen. Hochzeitseinladungen sind immer eine kleine Ehre. Und das nicht nur, weil sie – schon in ihrer physischen Form – eine Freude sind: Sie gehören zu den wenigen Briefen, die noch in Papierform im Briefkasten landen und die nicht von der Bank oder der Versicherung verschickt wurden.
Aber diese Aneinanderreihung von Hochzeiten Ende Zwanzig, Anfang Dreißig ist mir ein Rätsel. Ja, die Mehrzahl meiner Freunde hat studiert und einen ähnlichen Lebenslauf. Und im Zuge dessen muss dann halt irgendwann geheiratet werden, glauben viele. Ein Konformitätsdruck entsteht, ähnlich den anderen Vorstellungen über all die anderen Dinge, die man unbedingt noch vor diesem oder jenem Lebensjahr erreicht haben muss. Dreißig Länder zu bereisen vor dem dreißigsten Geburtstag etwa oder der unbedingte Karriereaufstieg vor Mitte 40.
Natürlich tun die allermeisten das höchstfreiwillig: Ehe ist nicht mehr die Institution, die Frauen zwingt, ihre Rechte abzugeben, zumindest in Deutschland nicht. Und niemand von meinen Freunden heiratet mehr, weil sie vor Gott den Bund der Ehe besiegeln wollen oder weil sie ihr Kind sonst »Bastard« nennen müssten. (Wie wahnsinnig froh man bei diesen Gedanken wird, im hier und heute zu leben!)
Jedes Paar hat seine Gründe zu heiraten, ob Liebe oder Steuer oder Vaterschaftsanerkennung oder Sicherheit im Todesfall (oder alles zusammen). Aber, und das ist, was ich nicht verstehe, auch bei den jungen Paaren heute wird Ehe noch als Bund fürs Leben wahrgenommen. Vor hundert Jahren wusste man noch, »ein Leben lang« kann mit Anfang fünfzig vorbei sein. Da war man mit Mitte sechzig alt. Heute hat jeder zweite Neugeborene eine Lebenserwartung von über hundert Jahren: »Ein Leben lang« ist unserer Zeit also wirklich lang. Warum so früh beginnen? Warum machen sich junge Paare so einen künstlichen Stress mit dem Heiraten und legen einen Zeitpunkt fest, an dem sie gerade erst sicher im Berufsleben stehen oder sich Gedanken über Kinder machen wollten?
Eine Folge dessen, dass große Hochzeiten bei meiner Altersgruppe so angesagt sind, ist die Preissteigerung. Das Business boomt, die Feiern werden immer mehr zum Event. Wie die Mieten in Großstädten, wird auch das Heiraten von Jahr zu Jahr teurer. Die Location einer Hochzeit, auf der ich vor vier Jahren eingeladen war, hat ihre Preise mittlerweile verdoppelt, habe ich vor Kurzem herausgefunden. Warum heiratet also niemand mit Mitte 40, wenn eine Hochzeit kein kratergroßes Loch in die eigenen Finanzen reißt? Oder mit Mitte 50, wenn man gemeinsam die Midlife-Crisis überstanden hat?
Mir kommt es vor, als seien Hochzeiten ein Wettbewerb geworden. Die eigentliche Errungenschaft – dass man sich in der heutigen Zeit, obwohl es keinen gesellschaftlichen Imperativ gibt, freiwillig entschließt, sein Leben mit jemandem verbringen zu wollen – wird durch den selbstgesetzten Druck ersetzt, unbedingt in einem gewissen Alter geheiratet zu haben. Als wäre da was in trockene Tücher zu bringen, als wäre man danach tot und der Partner auch. Und das ist doch nun wirklich kein Gedanke, mit dem im Kopf man sich das Ja-Wort geben sollte.
»Miassn duad ma goa nix, außer sterm«, lautet eine bayerische Weisheit. Es gibt genügend Herausforderungen im Leben, die sich nicht gut vorhersehen lassen und die man auch zeitlich schlecht planen kann. Und dann gibt es auch wieder die, die die Natur so vorhergesehen hat, die man finden kann, wie man möchte, aber an denen sich wenig ändern lässt. Alle anderen schaufeln wir uns selbst noch obendrauf, süchtig danach, Vorgaben zu erfüllen, die uns niemand auferlegt hat.
Außer wir selbst. Hiermit verspreche ich meinen Freunden, dass ich erst heirate, wenn der Hochzeitsboom vorbei ist. Und sie mir diesen Text verziehen haben.