»Jeder Mann kann Kinder zeugen.« Haben Sie den Satz schon mal gehört? Nein? Ich auch nicht. Würde nämlich niemand sagen. Was dagegen sehr viele Menschen sagen: »Jede Frau kann Kinder gebären.« Ein schöner Satz einerseits, weil er diese besondere Kraft mitmeint, die dem Frauenkörper innewohnt, und mit der dieser Leben schaffen
kann. Ein unbarmherziger Satz, andererseits, weil er vielen Frauen das Leben so schwer macht. Und sie bekommen ihn häufig zu hören, von Hebammen, Ärztinnen und Ärzten, von anderen Müttern und Menschen, die selbst noch keine Kinder haben, aber schon wissen, wie es geht; sie können ihn in Blogs und Ratgeber-Büchern lesen.
Es ist zeitgeistig, die natürlichen Kräfte des weiblichen Körpers hervorzuheben, und aus dem dazugehörigen Instagram-Trend ist längst eine breitere Bewegung geworden. Das ist in den allermeisten Fällen auch gut und überfällig, im öffentlichen Umgang mit der Menstruation etwa. Doch wenn es um das geht, wofür der Frauenkörper angeblich da ist – nämlich das Gebären –, dann ist dieses Natürlichkeits-Postulat problematischer, als man auf den ersten Blick annehmen würde.
Über eine lange Zeit habe ich das nicht so empfunden. Während meiner zwei Schwangerschaften habe ich diesen Satz selbst mantraartig vor mich hingesagt, immer und immer wieder, um mir die Angst vor den Geburten zu nehmen, um mir Mut zu machen und mehr auf meine eigene Stärke vertrauen zu können. Und wie oft hatte ich diese Worte während der Monate vor den Geburten von anderen zu hören bekommen: »Jede Frau kann gebären.« Mach dir keine Sorgen, es wird schon werden, die Natur hat das alles gut eingerichtet, sollte das heißen.
Meine beiden Geburten verliefen ohne große Komplikationen. Beide Male habe ich eine sogenannte PDA bekommen, eine Periduralanästhesie, die die Schmerzspitzen der heftigsten Wehen abmilderte. Das half mir, und ohne einen Vergleich zu haben, würde ich sagen, dass die Geburten sehr okay waren. Und doch trage ich seitdem eine bohrende Frage mit mir herum: Wenn jede Frau gebären kann, warum habe ich es dann nicht ohne PDA geschafft? Bin ich zu schwach? Nicht Frau genug?
Meine Freundin L. hat keine Kinder, noch nicht, sie wünscht es sich mehr als alles andere auf der Welt. Aber es klappt nicht. Sie ist der Grund, weshalb ich mir wieder Gedanken über diesen Satz mache: »Jede Frau kann gebären.« L. hat ihn so oder so ähnlich auch schon gehört, von Freunden, Kolleginnen, die es immer gut meinen. Er soll ihr Zuversicht schenken; mach dir keine Sorgen, es wird schon werden, die Natur hat das alles gut eingerichtet.
»Aber was, wenn es eben nichts wird?«, fragt L. »Ich weiß nicht, ob ich ohne eigene Kinder glücklich werden kann im Leben. Denn das ist es doch, was alle von einer Frau erwarten: dass sie Kinder bekommt.« L. fühlt sich unter Druck gesetzt von den Erwartungen an ihren weiblichen Körper. Jede Frau kann das.
Freundinnen und Bekannte, die ihre Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt gebracht haben, kennen diese Zweifel auch, wie oft haben sie schon gehört oder gedacht: War das überhaupt eine richtige Geburt? Das ist so irre: Da hat ein Mensch zehn Monate lang einen anderen Menschen in sich wachsen lassen, hat ihn beschützt mit allem, was er hat, und ihm dann das Leben geschenkt – und muss sich trotzdem fragen: Bin ich stark genug?
Schwangerschaft und Geburt wurden in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr pathologisiert, zu einem Prozess erklärt, der ohne medizinische Intervention gar nicht mehr stattfinden kann. Über 30 Prozent aller Babys in Deutschland kommen heute per Kaiserschnitt zur Welt, dabei weisen selbst Ärztinnen und Ärzte immer wieder darauf hin, dass höchstens 10 bis 15 Prozent medizinisch wirklich nötig sind.
Dass die Angst vor Schmerzen und Kontrollverlust deutlich geringer wäre, gäbe es ausreichend Personal mit genügend Zeit für eine individuelle Betreuung – geschenkt
Nicht wenige Frauen würden sich einen Kaiserschnitt wünschen, heißt es von Seiten der Krankenhäuser, primär aus Angst vor den Schmerzen (die sie womöglich nicht hätten, wäre die Geburt nicht irgendwann zu einem intensivmedizinischen Ereignis erklärt worden). Was nicht gesagt wird: Erstens verdienen die Kliniken an einem Kaiserschnitt deutlich besser als an einer spontanen, natürlichen Geburt. Zweitens ist für eine Frau, deren Kind per Kaiserschnitt geboren wird, viel weniger Betreuung nötig. Eine Studie im Auftrag des Deutschen Hebammenverbandes aus dem Jahr 2015 ergab, dass kaum eine Hebamme in deutschen Krankenhäusern Zeit hat, eine Frau während der gesamten Geburt ungestört zu betreuen. Die Hälfte der über tausend Befragten betreut häufig drei Frauen, weitere zwanzig Prozent sogar vier und mehr Frauen gleichzeitig.
Bei meiner zweiten Geburt kamen wir um 21.30 Uhr in der Klinik an, ich wurde untersucht, wir durften in den Kreißsaal – und dann sah ich bis etwa 4 Uhr morgens so gut wie niemanden mehr. Ich war Zweitgebärende, alles schien unproblematisch, also musste man sich um mich offenbar nicht weiter kümmern. Ich würde schon Bescheid geben, wenn es soweit wäre. Bescheid gab ich dann aber erst, als ich von den Wehen so erschöpft war, dass ich am frühen Morgen wenigstens kurz ruhen wollte, um Kraft für die letzten Meter zu haben. Ich bekam die PDA. Und frage mich heute manchmal: Hätte ich sie bei besserer Begleitung vielleicht nicht gebraucht? Je mehr ich darüber nachdenke, desto stärker habe ich das Gefühl: Dieses »Sie macht das schon, die kann das« war mehr eine Ausrede des Klinikpersonals für zu wenig Fürsorge als eine aufrichtige Bestärkung.
Das ist das große Problem, das ich an dem Satz »Jede Frau kann gebären« sehe: Andere Menschen ziehen sich damit aus der Verantwortung. Sie überlassen es der Frau, es irgendwie hinzubekommen, schließlich ist sie »dafür gemacht«. Wenn eine Geburt dann nicht läuft wie erhofft, scheint auch schnell klar, warum: Die Frau war »zu verkrampft«, konnte sich nicht richtig »öffnen«. Dass die Angst vor Schmerzen und Kontrollverlust deutlich geringer wäre, gäbe es ausreichend Personal mit genügend Zeit für eine individuelle Betreuung – geschenkt.
Es objektiviert den weiblichen Körper einmal mehr, der ja nie einfach sein darf, sondern immer auf die eine oder andere Weise funktionieren soll
Und die Frauen müssen damit klarkommen, dass man ihnen erst eingeredet hat, sich mit einer Schwangerschaft auf eine lebensgefährliche Mission begeben zu haben – und dass sie nun selbst dafür sorgen müssen, diese Horrorszenarien wieder aus dem Kopf zu bekommen und Vertrauen in den eigenen Körper zurückzugewinnen. Hebammen beklagen diesen Zustand schon seit Jahren, einerseits wollen sie die Frauen in ihrem Wunsch nach einer natürlichen Geburt bestärken, andererseits wissen sie, dass die Voraussetzungen dafür in den Krankenhäusern sehr häufig nicht gegeben sind. In Geburtshäusern oder bei Hausgeburten ist das anders, beide zeichnet eine intensive und vertrauensvolle Betreuung der Frau während, aber auch schon Wochen vor der Geburt aus. Doch im Schnitt kommen weniger als 2 Prozent der Kinder in Deutschland außerhalb von Kliniken auf die Welt, was sowohl an der Angst vor Komplikationen als auch am Hebammenmangel an sich liegt.
Der wirkt sich im Übrigen auch oft auf die Zeit nach der Geburt aus. Wie viele junge Mütter leiden zu Beginn unter der Still-Situation, weil es nicht so reibungslos läuft, wie ihnen vorher prophezeit wurde? »Jede Frau kann stillen.« Klar, die Nachsorgehebammen zeigen einem, wie man das Kind richtig anlegt und haben Tipps wie Quarkwickel bei Brustentzündung oder Wollfett bei wunden Brustwarzen. Doch was sie in den allermeisten Fällen nicht haben, ist ausreichend Zeit, um wirklich auf alle Sorgen und Probleme der Frauen eingehen zu können. So bleiben die oft verunsichert zurück und haben als fühlbarsten Maßstab Aussagen wie: »Stillen ist das Natürlichste der Welt!« Ein unguter Nebeneffekt ist, dass sich viele junge Mütter deshalb nicht trauen, darüber zu sprechen, wie es ihnen wirklich geht, über all das, was sich eben nicht »ganz normal und natürlich« anfühlt – und bei Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind, andersrum oft nur ein geschöntes Zerrbild sehen.
Ich finde es gut und wichtig, dass wir als Gesellschaft versuchen, bei all diesen Themen rund um Geburt und Kinderkriegen zu mehr Natürlichkeit zurückzukommen. Aber das darf nicht zulasten der Frauen passieren. Sie, die im wahrsten Sinne des Wortes ohnehin am schwersten zu tragen haben in der Situation, dürfen nicht mit unrealistischen Vorstellungen allein gelassen werden: »Jetzt reißt euch mal zusammen, euer Körper ist dafür gemacht.« Das hat nichts mit Selbstermächtigung zu tun, sondern es objektiviert den weiblichen Körper einmal mehr, der ja nie einfach sein darf, sondern immer auf die eine oder andere Weise funktionieren soll. Und es schiebt die Verantwortung denjenigen zu, die es auch später, wenn die Kinder eine Weile auf der Welt sind, nie richtig machen können. Die sich so häufig aufreiben zwischen all den Ansprüchen, die an sie gestellt werden, von der Familie, von Vorgesetzten, von Fremden, die ihnen mal eben an der Supermarktkasse erklären, wie man eine gute Mutter ist.
Solange die Rahmenbedingungen sich nicht ändern, klingt »Jede Frau kann gebären« wie Hohn in den Ohren derjenigen, die vor, unter und nach der Geburt nicht die Unterstützung bekommen haben, die ihnen zusteht, um sich selbstbestimmt und stark erleben zu dürfen. Und es klingt wie Hohn in den Ohren derer Frauen, deren Körper nicht nach Schema F funktioniert, die nicht schwanger werden können. Keine Frau sollte sich als Gebärmaschine sehen müssen, die versagt hat, wenn alles nicht so läuft, wie sich die Gesellschaft das eben so vorstellt. Der Satz müsste anders deshalb lauten: »Die meisten Frauen können gebären – wenn sie es wollen und die richtige Unterstützung bekommen.«