Der Sprach-Wertstoffhof (XII): Ein bisschen wundert es einen schon, welche Begeisterung die Idee des Sprach-Wertstoffhofs ausgelöst hat, interessante, aber nicht mehr benötigte Wörter anderen Menschen zur Verfügung zu stellen. Hat es mit der aktuellen Klima-Diskussion zu tun? Spart Kohlendioxid, wer Wörter wieder verwertet? Oder haben wir es hier nur mit einer Ausformung deutscher Sprach-Leidenschaft zu tun? Die ich in diesem Fall eben besonders nett finde, weil sie sich nicht in den anderswo beliebten Falsch-Richtig-Kategorien äußert, sondern in neue Sprach-Dimensionen vorzudringen sucht. Sich also fragt, wie sehr eine Sprache vielleicht gerade durch das Falsche bereichert wird.
Bevor wir in dieser Richtung weiterdenken, ein Wort zur erwähnten Leidenschaft, die Sprache betreffend. Herr B. aus Konstanz schickte dazu einige sehr schöne Wörter nicht nur aus einem Restaurant in Mittelbergheim/Elsass, wo es zum Beispiel das Gericht »Vom Fuss Schwein, Vinaigrette im Rechtsanwalt« gibt (Croustillant de pied de porc, Salade mesclun à l’huile avocat), sondern auch aus einem Lokal in Barr/Bas-Rhin, wo man einen Gratin de fruits de mer verspeisen kann, das ist laut Speisekarte in unserer geliebten Landessprache, bitte sehr: »Überbackener Oberbegriff für Schalen- und Krustentiere«.
So etwas liebt der Sprach-Gourmet. Überbackene Oberbegriffe! Geröstete Substantive! Ein Soufflé von Verben! Pochierte Präpositionen!Noch mehr aber liebt er das Besondere. Und hier haben wir nun die ganz exquisite Einlieferung von Herrn E. aus Reichertshausen/Ilm, nämlich das German Phrase Book des US War Department vom 30. November 1943, mit dessen Hilfe sich amerikanische Soldaten bei der Eroberung Nazi-Deutschlands mit der ansässigen Bevölkerung verständigten. In diesem Büchlein lernen wir unsere geliebte Landessprache auf eine ganz neue Weise kennen, in der Lautschrift nämlich, nach der Amerikaner sie sprechen sollten. Und plötzlich hat das Deutsche etwas, wie soll man sagen: Koreanisches?
Wir sehen Wörter wie: ZEE-sik-kai-ten, VAI-sa REE-ben, VA-ser-m’lo-na, AHP-g’kawkh-tess VA-ser. KAWN-yahk. (Das ist, in dieser Reihenfolge: Süßigkeiten, Weiße Rüben, Wassermelone, abgekochtes Wasser, Kognak.)
Wir sehen andere Wörter: ba-O-bahkh-toongss-FLOOK-tsoyk und ma-SHEE-nen-g’vayr-sheet-sa. (Das Beobachtungsflugzeug und der Maschinengewehrschütze.)
Und wir lesen Sätze wie: Ist heer in der NAY-ha dahss paw-lee-TSAI-ahmt? Sowie auch: VEL-shess ist dee HERSHST-g’shvin-dikkait? (Ist hier in der Nähe das Polizeiamt? Welches ist die Höchstgeschwindigkeit?)Anderthalb Jahre vor der Kapitulation der Deutschen, so schreibt E., hätten die Amerikaner diese bis in Kleinste sprachlich schon vorbereitet gehabt: er-GAY-ben zee zish! Aber auch: MA-khen zee ess zish B’KVAYM!Wie fremd und schön und aufregend einem da die eigene Sprache vorkommt! Und wie klein die heutigen Versuche, diese Sprache dem internationalen Gebrauch zu unterwerfen.
Herr H. aus Huglfing berichtet von einem solchen. Er ging seine Büropost durch und fand auf der Rückseite einer Versicherungsrechnung folgende Sätze: »Um die international erfolgreiche Marke ›Zurich‹ zu stärken, verzichten wir auf die im deutschen Sprachgebrauch üblichen Ü-Punkte in der Schreibweise: aus Zürich Versicherung Aktiengesellschaft (Deutschland) ist jetzt Zurich Versicherung Aktiengesellschaft (Deutschland) geworden. Für Sie ändern sich dadurch weder die Vertragsinhalte noch Ihr Betreuer vor Ort.«
H. fragt, ob nun demnächst auch München zu Munchen werde, dann Nurnberg und
Furth folgen würden, ah, wurden – oder ob es noch Hoffnung für die Umlaute gebe…Ich glaube es nicht, Herr H. Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, als wir das Öktöbärfäst feierten? Alles dahin, nur um die internationale Marke zu starken: Oktoberfest. Voll von umlautfreien Amerikanern, Italienern, Australiern.
Für die Umlaute ist es, wie die amerikanischen Soldaten zu sagen pflegten, doch schon FINF nahkh TSVERLF.
Illustration: Dirk Schmidt