Ich finde es interessant, dass Nilpferde, tauchen sie außerhalb ihrer afrikanischen Heimat auf, stets sofort Namen bekommen. Das erste Hippo, das in Europa je zu sehen war, hieß Obaysch, nach der Nilinsel, auf der man es gefangen hatte. Es gelangte 1850 in den Londoner Zoo, wo es zur Sensation wurde. Täglich kamen 10 000 Menschen, um das ungeschlachte Wesen zu betrachten. Vier Jahre später gesellte man ihm eine Gefährtin namens Adhela zu. Die beiden zeugten 1872 ein Flusspferdchen, das man Guy Fawkes nannte, warum auch immer. (Fawkes war jener Offizier, der 1605 ein Attentat auf den englischen König und das Parlament versuchte, weil er und seine Mitverschwörer einen katholischen König auf den Thron bringen wollten.) Später entdeckte man, dass Hippo-Fawkes ein Weibchen war. Es wurde in Miss Guy umgetauft und starb kinderlos.
In Berlin gab es mal ein Nilpferd, das 1977 als erstes Zootier auf einer Briefmarke abgebildet wurde: Knautschke, ein Bulle, der 1943 im Zoologischen Garten zur Welt gekommen war, den Krieg überlebte und später in Berlin so weltberühmt wurde wie Harald Juhnke und Bubi Scholz. Knautschke zeugte mit einer Leipziger Gefährtin namens Grete mitten im Kalten Krieg Sohn Schwabbel und Tochter Bulette. Doch nicht genug: Mit Bulette, der eigenen Tochter, wie gesagt, hatte er dann eine Vielzahl von Kindern und schreckte nicht davor zurück, auch Enkelinnen zu Müttern zu machen - bis er vom eigenen Sohn Nante im Rahmen einer »ödipalen Tragödie« (Karen Duve und Thies Völker im Lexikon berühmter Tiere) besiegt wurde und verletzt, resigniert, zahnlos, abgemagert, krank starb.
Nante ehelichte Mutter Bulette, die eigene Halbschwester.
Ja, Flusspferde sind tabulos wie griechische Götter und auch sonst nicht zu unterschätzen. Im Guardian war vor Jahren der Bericht eines Mannes zu lesen, der bei einer Sambesi-Bootstour von einem namenlosen Hippopotamus verschluckt worden war; wir verdanken ihm, da er überlebte, den einzigen Bericht aus dem Inneren eines Hippos.
»Dort herrschte«, lesen wir, »ein schrecklicher, schwefelartiger Gestank, wie nach verfaulten Eiern, und ein enormer Druck auf meine Brust.« Er wisse nicht, wie lange er gefangen gewesen sei, »die Zeit vergeht sehr langsam in einem Hippo-Maul«, wir alle kennen dieses Gefühl von manchen Tatort-Folgen oder der Lektüre von Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften. Aber er habe sich, so unsere Gewährsperson, weil seine Beine draußen waren und er heftig mit den Armen ruderte, tatsächlich befreien können. Heute fehle ihm nichts, außer, nun ja, dem linken Arm.
Dies alles gilt es zu bedenken, wenn wir zu einer Meldung von Associated Press kommen, der zufolge in einer sumpfigen Gegend Südmexikos ein Nilpferd entdeckt wurde. Es heißt Tyson, nach »Iron Mike« Tyson, dem Boxer, der 1997 Evander Holyfield ein Stück rechtes Ohr abbiss. Niemand weiß, woher das Tier stammt, es gibt wilde Nilpferde nur in Afrika und dann noch in Kolumbien, wo sie der Drogenboss Escobar im Privatzoo züchtete. Aus dem brachen sie nach Escobars Tod aus.
Aber wenn ein Nilpferd in einer so entlegenen Gegend Mexikos auftauchen kann, wo nie zuvor ein Tier dieser Art gesehen wurde: Kann Derartiges dann nicht überall und jederzeit passieren? Wird uns also heute ein Flusspferd aus dem Kleinhesseloher See, der Alster oder der Müritz entgegensteigen, schlecht gelaunt, nach faulen Eiern riechend, in seinem Bauch nichts als langsam vergehende Zeit, hungrig also, nun auf der Suche nach Nahrung oder seinen Enkelinnen? Wird es in der U-Bahn aus dem Boden wachsen? Was soll man tun? Nach dem Namen fragen? Den Weg zum Zoo weisen? Ihm daheim die Briefmarkensammlung mit dem 1977er-Knautschke-Exemplar zeigen?
Warum tut die neue Regierung nichts in einer so bedrohlichen Lage?
Illustration: Dirk Schmidt