Der Erfolg von Uli Hoeneß beruht auf der Unbestimmbarkeit seines Temperaments: Der Bayern-Manager ist heiß- und kaltblütig zugleich. Leidenschaft und Machtkalkül überlagern sich fortwährend in seinem Auftreten. Man kennt die beeindruckenden Zornausbrüche in den Fernsehinterviews: Da sitzt einer, der auch nach einem Vierteljahrhundert noch mit Begeisterung bei der Sache ist. Wenn Hoeneß, Sportinvalide mit 26, die fortschreitende Technokratisierung der Bundesliga beklagt; wenn er bekennt, dass er jederzeit seinen Schreibtisch geräumt hätte, wäre eine Heilung des kaputten Knies möglich gewesen: Dann zeigt sich, dass hinter dem Manager immer noch der Fußballer steht, der große Romantiker, für den das reine Spiel unendlich beglückender ist als die Anhäufung von Profit. Doch das ist nur die eine Seite. Um die andere sichtbar zu machen, müsste man einfach die lange Reihe seiner Opfer befragen, die Aussortierten und Abgeschossenen des FC Bayern: von Otto Rehhagel bis Andreas Herzog, von Alain Sutter bis Giovane Elber, dessen Vertragsverlängerung Hoeneß in der vergangenen Saison für eine »Geisteskrankheit« hielt. In diesen Momenten kühlt das Herzblut des Gemütsmenschen schlagartig ab und pegelt sich auf der Betriebstemperatur des kompromisslosen Geschäftsmannes ein, dem es um nichts anderes als das ökonomische Wohl des Vereins geht. Wer fragt, warum Hoeneß’ Heißblütigkeit niemals als mangelnde Souveränität, sondern immer als besondere Glaubwürdigkeit wahrgenommen wurde, der muss sich die Funktionsweise des Betriebs FC Bayern München ansehen: Obgleich sich der Verein zu einem weltweit operierenden Konzern entwickelt hat, wird er von Hoeneß als eine Art Familienunternehmen geführt. Er steht für das Wohl der Gemeinschaft ein, umsorgt die Problemkinder und maßregelt die Selbstzufriedenen. Auch in einer Zeit also, in der sich die Marke FC Bayern global verstreut, kommt es ihm darauf an, ein klar bestimmbares Zentrum des Vereins zu bewahren. Dieses Bedürfnis nach Verortung zeigt sich vor allem am Umgang mit dem eigenen Kapital, an der Vehemenz, mit der sich Uli Hoeneß etwa gegen einen Börsengang des FC Bayern wehrt. Dieser Schritt hieße, das Geld in die anonymen Kanäle des Wirtschaftssystems einzuspeisen und die Kontrolle über die Vermögensverhältnisse nicht mehr dem eigenen Geschick, sondern einem abstrakten Kreislauf zu überlassen.Gerade von der Finanzpolitik des FC Bayern her wird das Prinzip Uli Hoeneß anschaulich: Es ist das Prinzip der gedeckten Verhältnisse.Man muss nur darauf achten, wie häufig er die stabile wirtschaftliche Position des FC Bayern den waghalsigen Geldtransfers der Konkurrenten entgegenhält. Er selbst, so die Rede des Managers, würde es niemals zulassen, dass der FC Bayern sein »Tafelsilber«, das etwa Real Madrid 2003 in Gestalt seines Trainingsgeländes verkauft hat, aus den Händen geben würde. Das Bild des »Tafelsilbers« ist bewusst gewählt. Denn das ist Hoeneß’ ganzes Credo: dass bei aller Risikobereitschaft immer eine letzte Sicherheit, für die man selbst zu bürgen hat, bestehen bleiben müsse. Und dieses Beharren auf dem Fundament beschränkt sich bei Uli Hoeneß nicht allein auf ökonomische Handlungsweisen, sondern wird mehr und mehr zu einer allgemeinen Weltanschauung. Dies zeigt sich an seinen zunehmenden gesellschaftskritischen Einlassungen zur Oberflächlichkeit der modernen Welt. Seine Verachtung für das Ungedeckte umfasst alle Gebiete.Wenn Uli Hoeneß also mit der ganzen Fülle seines Körpers für das Wohl des FC Bayern einsteht, muss man das merkwürdig große Medieninteresse für seine Abmagerungskur um die Jahreswende gerade in diesem Zusammenhang sehen. Warum werden ganzseitige Zeitungsinterviews über den Verlust von 16 Kilogramm Gewicht geführt? Genau aus dem Grund, weil Uli Hoeneß mit dem FC Bayern identisch ist, weil die Substanz seines Fleisches die wirtschaftliche Gesundheit des Vereins repräsentiert. An das Schwinden dieser Substanz ist nicht nur die Befindlichkeit eines Privatmenschen gebunden, der seinen Gürtel wieder enger schnallen kann, sondern der Zustand des Vereins selbst.