Die Gewissensfrage

»Für das Finale der Handball-WM habe ich vor zwei Jahren Karten zum zehnfachen Preis ersteigert. Der Verkäufer war wohl kein Schwarzmarkt-Profi; er verkaufte die Karten spontan nach dem Finaleinzug der deutschen Mannschaft. Nun denke ich anlässlich der Fußball-EM darüber nach, ob der Verkäufer in solchen Fällen moralisch verwerflich handelt. Mein Vater meint, ja; ich aber fühlte mich damals keineswegs ausgenutzt, das Dabeisein war mir den Preis wert. In meinen Augen profitierte der Verkäufer lediglich von den Gesetzen der Marktwirtschaft. Was meinen Sie?« SEBASTIAN W., MÜNCHEN

Zunächst unterscheiden sich die beiden Fälle in einem wichtigen Punkt. Anders als bei der Handball-WM ist der Kartenweiterverkauf bei der Fußball-EM laut den Bedingungen des Veranstalters untersagt. Allerdings stellt dies zunächst nur die, zudem umstrittene, rechtliche Seite dar. Wir tun also gut daran, die Frage losgelöst davon in ethischer Hinsicht zu betrachten.

Bei der von Ihnen beschriebenen Versteigerung kommt es zu einem freien Spiel der (Markt-)Kräfte. Die Karten erhält, wer am meisten zahlen kann oder will. Das kann man positiv sehen, denn der Markt ist nicht nur ein freier und demokratischer Ort – jeder kann teilnehmen –, sondern er führt, worauf viele Wirtschaftsethiker hinweisen, auch zu »Tauschgerechtigkeit«: Der letzt-lich erzielte Preis findet die Zustimmung beider Partner. So auch hier, Ihnen ist das »Dabeisein« den hohen Betrag wert. Diese Marktwirtschaft beinhaltet jedoch die Gefahr, unsozial zu werden. Sie benötigt moralische Grenzen, weil sonst der Schwache zu wenig geschützt wird. Dies könnte hier der Fall sein, weil es nur eine begrenzte Zahl von Karten gibt und derjenige, der welche hat, sich somit in einer stärkeren Position befindet. Allerdings handelt es sich bei Finalkarten trotz aller Fußballbegeisterung um kein essenzielles Gut und Sie selbst schließen aus, ausgenutzt zu werden.

Der Markt könnte hier also tatsächlich zu einem befriedigenden Ergebnis führen, würde man dabei nicht eines übersehen: die Schwäche der anderen Marktteilnehmer. Auch wenn die Karten nicht lebensnotwendig sind, es gibt zu wenige, und wenn knappe Güter einzig nach Geld verteilt werden, kommt es zu einer systematischen Benachteiligung der finanziell Schwächeren, am Ende zu deren Ausschluss. Das ist immer schlecht, gerade auch beim Sport, bei dem ja oft die gesellschaftlich einigende Funktion betont wird.

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Illustration: Jens Bonnke