Fast hätte ich Ihren Brief auf den Stapel »Gehört nicht hierher« gelegt, nachdem ich den letzten Satz gelesen habe. Das hier ist schließlich eine Moralkolumne und kein Etikette-Ratgeber als Nächstes möchte jemand von mir wissen, wie man den Löffel hält. Dann wurde mir klar, wie gut Ihre Frage hierher passt. Nicht weil ich mich plötzlich für Benimmregeln interessiere, sondern weil sie sehr schön zeigt, worum es eigentlich geht.
Natürlich könnte man nun nach einer passenden Etiketteregel suchen oder
notfalls eine neue aufstellen. Etwa, dass man sich am Ende jedes Gesprächs auch im öffentlichen Raum mit »Auf Wiedersehen« oder »Guten Tag« zu verabschieden hat. Nur beginnen dann die Definitionsprobleme. Handelt es sich bei der Frage »Haben Sie Feuer?« zusammen mit der Antwort »Ja« schon um ein Gespräch in diesem Sinne? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? Eine Mindestanzahl von Worten? Eine bestimmte Zeitspanne? Ein bedeutsamer Inhalt? Wäre das entscheidend, dürfte man nach so mancher mehrstündigen Plauderei grußlos das Weite suchen. Spätestens hier wird klar, warum ich kein Freund von Instant-Verhaltensanweisungen bin. Etiketteregeln sind die Dosenravioli des
Zwischenmenschlichen. Sie machen satt, sind aber kein richtiges Essen. Wozu dient denn eine Verabschiedung? Um das Band, das sich während eines Kontakts gebildet hat, wieder aufzulösen, bevor man sich trennt. Und damit hat man die Antwort auf Ihre Frage: Wenn sich kein Band gebildet hat, braucht man sich auch nicht zu verabschieden; hat sich eines gebildet, sollte man es auf eine Art lösen, die diesem Band entspricht.
Das kann einmal so etwas wie »Tschüss« oder »Servus« sein, manchmal wird ein kurzes Nicken oder Lächeln reichen, hier und da auch etwas Formaleres angebracht sein. Und in vielen Fällen halte ich Ihr »Na denn, schönen Tag noch« für ein ganz passables Fertiggericht.
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