»Habent sua fata libelli – Bücher haben ihre Schicksale« lautet ein bekanntes Sprichwort. Und daneben, möchte ich hinzufügen, auch ihre Charaktere, Eigenheiten und Besonderheiten. Sparbücher etwa kann man durch inhaltliches Auslesen in ihrem Wert empfindlich beeinträchtigen. Notizbücher verändern sich ebenfalls mit Gebrauch, mal positiv, mal negativ; ebenso Skizzenbücher, je nachdem, wer sich darin betä-tigt hat. Und über ein Fotoalbum, gefüllt mit Bildern etwa von Wolfgang Tillmans, würde ich mich zu Weihnachten mehr freuen als über ein leeres, originalverpacktes.
Die meisten anderen Bücher hingegen verändern sich durch einmaliges Lesen in der Sache kaum – vorausgesetzt, man nagt nicht nebenher an Hähnchenschenkeln. Ob sie dabei als Präsent ideell an Wert verlieren, hängt von der Betrachtungsweise ab: Stellt man beim Schenken auf das Opfer des Schenkenden ab, auf seinen Aufwand oder das Aussondern aus seinem Besitz, kann man tatsächlich eine Beeinträchtigung postulieren, wenn der Inhalt vorher noch einverleibt wird. Meiner Ansicht nach sollte sich das Geschenk jedoch – außer in Sonderfällen wie dem selbst Gemachten, vom Munde Abgesparten oder aus dem Herz Geschnittenen – an dem orientieren, was beim Beschenkten ankommt, und das bleibt gleich. Anders liegt es natürlich, wenn Sie wissen, dass der oder die Beschenkte ein besonderes Verhältnis zu Büchern hat, es genießt, wenn sie noch unberührt sind, beim Blättern knistern, nach Druckerschwärze riechen, oder es einfach nur so lieber mag, wenn sie ungelesen sind. Zwar würde ich ihm, wenn er mich fragt, sagen, er soll sich über das Geschenk so freuen, wie es kommt, und nicht auch noch Ansprüche stellen. Aber von Ihrer Warte aus gilt, möglichst so zu schenken, wie der Beschenkte es will. Ihn soll es ja schließlich erfreuen und Sie nur als Spiegel seiner oder ihrer Freude.
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Marc Herold (Illustration)