Die Gewissensfrage

Gehören Blumen, die auf einer öffentlichen Grünanlage gepflückt wurden, in die Vase oder in den Mülleimer ?

»Meine Kinder – sechs, neun und zwölf – haben auf einer öffentlichen Grünfläche Narzissen gepflückt und sie meiner Frau und mir geschenkt. Sie wollten uns eine Freude machen. Wir haben ihnen deutlich erklärt, wem die Blumen gehören und dass sich die Allgemeinheit daran erfreuen soll. Aber was mache ich jetzt mit den Narzissen? Als Diebesgut entsorgen, oder in eine Vase stellen, damit sie wenigstens noch etwas Freude schenken können?« Rolf K., Salzburg

Der Fall ist komplizierter, als er auf den ersten Blick scheint. Um ihn zu vereinfachen, werde ich die Frage ausklammern, ob Sie vielleicht Ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Sieht man davon ab, müssen zwei Teile unterschieden werden: das Pflücken – sprich Stehlen – der Blumen, und die Blumen in der Vase. Und damit korrespondierend das Unrecht der Tat einerseits und Ihre Freude an den Blumen, also Ihr Profitieren von der bereits geschehenen Tat, andererseits.

Die erste Frage ist: Sind die beiden Teile so verknüpft, dass das eine auf das andere abfärbt? Das muss man wohl bejahen. Streng genommen dürfte es sich bei den Blumen sogar um Hehlerware handeln. An ihnen klebt sozusagen das Blut der gerupften Grünfläche.

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Nur folgt daraus, dass man die Blumen wegwerfen muss? Trotz gewisser Bedenken meine ich: nein. Zum einen klebt nicht wirklich Blut an ihnen. Zum anderen muss man über die Bestimmung der Narzissen nachdenken: Diese war, auf der öffentlichen Grünfläche allen Bürgern, die dort vorbeigehen, Freude zu bereiten. Das geht nun nicht mehr. Würde man die Blumen, weil mit dem Unrecht verhaftet, in die Biotonne klopfen, würden sie gewissermaßen sinnlos für das Unrecht, das an ihnen begangen wurde, geopfert werden. Da scheint es tatsächlich sinnvoller, wenn sie – statt allen Passanten – wenigstens ein paar Menschen Freude bereiten.

Allerdings kann es damit nicht sein Bewenden haben. Unrecht und Profit dürfen so nicht stehen bleiben. Als Grundsatz hat zu gelten: Das Unrecht sollte wiedergutgemacht werden, der Profit abgeschöpft. Rückgängig machen lässt es sich nicht, weil man die gepflückten Blumen nicht wieder an den Stümpfen ankleben kann. Deshalb braucht man eine Alternative: Die Kinder könnten zum Beispiel von ihrem Taschengeld Blumenzwiebeln kaufen und sie, falls das die Örtlichkeiten zulassen, am Ort des Verbrechens einsetzen. Das würde Wiedergutmachung, Buße und – ganz wichtig – Erziehung verbinden. Nur müssten Sie dann noch Ihren Profit ausgleichen, vielleicht indem Sie zusätzliche Zwiebeln beisteuern. So wäre dann im Zweifel auch noch die verletzte Aufsichtspflicht mit einbezogen.

Bei dieser Frage danke ich Herrn Dr. Norbert Anwander vom Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin für Diskussion und Hinweise.

Literatur:

Norbert Anwander, World Poverty and Moral Free-Riding: The Obligations of Those Who Profit from Global Injustice, in: Elke Mack / Michael Schramm / Stephan Klasen / Thomas Pogge (Hrsg.), Absolute Poverty and Global Justice, Ashgate Publishing London/Burlington 2009, S. 179-189

Norbert Anwander / Barbara Bleisch, Beitragen und Profitieren, in: Barbara Bleisch / Peter Schaber (Hrsg.), Weltarmut und Ethik, Mentis Verlag Paderborn 2007, S. 171-194

Stefan Gosepath, Verantwortung für die Beseitigung von Übeln, in: Ludger Heidbrink / Alfred Hirsch (Hrsg.), Verantwortung in der Zivilgesellschaft. Zur Konjunktur eines widersprüchlichen Begriffs. Campus Verlag Frankfurt am Main 2006, S. 387-408

Rainer Forst, Verantwortung und (Un-)Gerechtigkeit: Kommentar zu Stefan Gosepath „Verantwortung für die Beseitigung von Übeln“ in: Ludger Heidbrink / Alfred Hirsch (Hrsg.), Verantwortung in der Zivilgesellschaft. Zur Konjunktur eines widersprüchlichen Begriffs. Campus Verlag Frankfurt am Main 2006, S. 409-415

Strafgesetzbuch, StGB § 259 Hehlerei
(1) Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.