Die Gewissensfrage

Wenn der Freund wenig Geld hat und trotz Warnung bei einer gemeinsamen Autofahrt geblitzt wird – sollte man trotzdem den Strafzettel für ihn bezahlen?

»Mein Freund hat sehr wenig Geld, ich dagegen verdiene gut, deshalb übernehme ich den Großteil unserer gemeinsamen Kosten. Nun habe ich ihn vor einigen Wochen auf eine Feier begleitet, zu der er eingeladen war. Auf dem Rückweg fuhr er mein Auto. Da er zu schnell fuhr, sagte ich noch: ›Wenn wir jetzt geblitzt werden, zahlst du das!‹ Keine zwei Minuten später passierte es. Da der Wagen auf mich gemeldet ist, bekam ich das Knöllchen zugeschickt. Soll ich ihn die Strafe zahlen lassen oder die 30 Euro selbst übernehmen?« Tatjana K., Berlin

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Wo anfangen? Wenn wie hier eine Vielzahl von Aspekten im Raum steht, ist es wichtig, sich am Beginn der Überlegungen den Ausgangspunkt klarzumachen. Und bei nüchterner Betrachtung kann der hier nur sein, dass primär Ihr Freund derjenige ist, der das Bußgeld zu zahlen hat. Er war der Fahrer, der zu schnell gefahren ist. Der Sinn eines Bußgelds ist es gerade, denjenigen, der eine Verkehrsregel überschritten hat, wegen dieser Überschreitung zu belasten.

Dafür, dass Sie die 30 Euro übernehmen, müsste es also Gründe geben. Der erste könnte sein, dass Sie gemeinsam etwas unternommen haben und er als Fahrer das Risiko trägt, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen. In solchen Fällen – speziell wenn es etwa beiden recht wäre, schneller nach Hause zu kommen – könnte man zumindest an eine Aufteilung des Bußgeldes denken. Nur passt das hier nicht, denn Sie haben durch Ihre Warnung vor dem zu schnellen Fahren das Ihrige zur Vermeidung des Knöllchens beigetragen.

Der nächste Grund könnte sein, dass Sie auch sonst gemeinsame Kosten übernehmen, weil Sie mehr verdienen. In gewissem Sinne kann man ein Bußgeld für den Fahrer auf einer gemeinsamen Rückfahrt auch als »gemeinsame Kosten« ansehen. Allerdings greift auch hier die Überlegung, dass Sie sich durch Ihre Warnung erkennbar von der Geschwindigkeitsübertretung distanziert haben, es sich also nicht mehr um gemeinsame Kosten handelt.

Das wäre zu trennen von der Überlegung, dass Sie Ihren Freund gewissermaßen »erziehen« wollen und deshalb – abweichend von sonstigen Gepflogenheiten in Ihrer Beziehung – das Ticket nicht bezahlen. Wäre das Ihr Beweggrund, würden Sie eine Machtposition, nämlich dass Sie mehr Geld haben, ausnutzen, um ihm Ihren Willen aufzuzwingen, und das hielte ich für bedenklich.

Bleibt am Schluss noch einfach die Zuneigung. Ich persönlich finde es schön, wenn man in einer Beziehung nicht nach Recht und Unrecht fragt, sondern einfach danach strebt, dem Partner »um seiner selbst willen«, wie Aristoteles es nennt, etwas Gutes zu tun. Das könnte tatsächlich ein Grund sein, die 30 Euro zu bezahlen. Allerdings nur, solange nicht die Gefahr besteht, dass es zu einer umgekehrten Schieflage kommt und Sie ausgenutzt werden. Ob das bei Ihnen der Fall sein kann, müssen jedoch Sie wissen.

Literatur zu diesem Thema:

Aristoteles, Nikomachische Ethik, 8. Buch 4. 1156 b 6-11.

Dass auch die Beziehung zwischen Mann und Frau unter diese Definition fällt findet sich ebenfalls im 8. Buch Kapitel 14 1162 a16ff. Gute Übersetzungen gibt es von Olof Gigon bei dtv, München 1991 und Ursula Wolf im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 2006

Illustration: Marc Herold