Die beste Art der Müllverwertung

Seit die EU Einwegplastik verbietet, suchen viele Hersteller nach Alternativen. Ein in Kolumbien geborener Hamburger ist dabei besonders findig: Er produziert kompostierbare Verpackungen aus Agrarabfällen.

Eduardo Gordillo vor seiner Firma in der Uckermark.

Foto: Maximilian Probst

Das Problem: Die Menschheit produziert etwa 350 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr, und mindestens 10 Prozent davon landen in Gewässern.
Die Lösung: Kompostierbare Verpackungen aus Abfällen.

Neulich habe ich mich wieder geärgert: Am Bahnhof, wo die Reisenden Essen mitnehmen, wird das Kiosk-Essen auf Aluminiumschalen gebettet. Aber: Wer schleppt schon auf Reisen Mehrwegbehälter mit? Und dann denke ich mir – warum hat das denn noch keiner besser gelöst?

Bei Schwedt in der Uckermark wollen sie genau das – und legen gerade letzte Hand an eine 2000 Quadratmeter große Produktionsstätte, die das Problem zumindest teilweise lösen soll. »Wir wollen Einwegplastik weltweit überflüssig machen«, sagt Eduardo Gordillo. »Wir nutzen dazu die Natur.« Ab sofort will der in Kolumbien geborene Unternehmer dort kompostierbare Essverpackungen produzieren, und zwar aus faserreichen Agrarabfällen, die sonst ohnehin niemand verwertet.

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Gordillos Firma Bio-Lutions kauft Weizenstroh, Rapsstroh oder Tomatenstengel von Bauern in der Umgebung oder Hanf von einer nahegelegenen Hanffaser-Fabrik; auch verschiedene Schilfarten eignen sich. »Alles im Radius von 100 bis höchstens 150 Kilometer, damit die Fahrten die Klimabilanz nicht kaputt machen«, erklärt der 54-jährige Gordillo. »Die Agrarabfälle werden gewaschen und geschreddert.« Durch einen patentierten »Nanofizierungs«-Prozess, der die Fasern mechanisch aufspaltet und ohne toxische Chemikalien auskommt, entstehen selbstbindende ultrafeine Fasern, die sich dann zu verschiedenen Behältern formen lassen. »Wir isolieren keine Inhaltsstoffe, sondern transformieren die Abfälle in selbstbindende Fasern«, sagt Gordillo und zeigt via Zoom erst Schüsseln voll Schnipseln aus Weizenhalmen oder Zucchini-Stengel und dann die fertigen Produkte: erdfarbene Blumentöpfe, Schalen und Teller. Nur vier Liter Wasser brauche er pro Kilo Endprodukt. Das ist weniger als bei vielen anderen Plastikalternativen, etwa den Herstellern von Einweggeschirr aus Bagasse, also Zuckerrohrfasern, die ebenfalls ein faserreiches Abfallsprodukt sind und immer häufiger als Plastikersatz zum Einsatz kommen.

Die neue Technologie wurde von der Zelfo Technology GmbH in Schwedt und Gordillos CleanTech-Startup Bio-Lutions entwickelt. Die beiden Firmen bekamen dafür unter anderem im vergangenen Jahr den Brandenburger Innovationspreis in der Kategorie Kunststoffe und Chemie. 

Die Fasern können zu verschiedenen Formen gestanzt oder geformt werden. Sie fühlen sich ähnlich an wie Pappe, vergleichbar mit einem Eierkarton. »Wir fangen mit Schalen für Obst, Gemüse und frisches Fleisch an«, sagt Gordilllo. Schon für dieses Jahr plant er die Produktion von 3000 Tonnen Verpackungen pro Jahr. Bis Herbst will er auch Einwegbesteck und Deckel für Getränkebecher produzieren.

Eine ähnliche Grundidee, nämlich die Verwendung von Agrarabfällen, spornt das deutsche Startup Proservation an, zerbrechliche Ware in komprimierte Getreidehülsen und Spelzen zu verpacken statt in Plastik.

Ruanda, Kenia, Taiwan und einige indische Bundesländer waren die Vorreiter: Sie haben Einwegplastik bereits in vielen Bereichen verboten. Nun macht auch die EU ernst: Plastik-Strohhalme, -Einwegbesteck, und Styroporbehälter sollen der Vergangenheit angehören. Die Menschheit produziert derzeit etwa 350 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr, und mindestens zehn Prozent davon landen in den Gewässern. Das Problem wird also immer drängender.

Das führte zu einem Boom beim sogenannten »Bioplastik«; tatsächlich steckt hinter dem ungeschützten Begriff aber oft nur Greenwashing. Mit dem Label »kompostierbar« wird ähnlich viel Schindluder betrieben. Oft sind als kompostierbar beworbene Produkte nur unter industriellen Bedingungen zersetzbar und weil deutsche Recyclinganlagen die dazu nötigen Temperaturen meist nicht erreichen, landet das Zeug dann doch in der Verbrennungsanlage.

Überprüfbar sind diese aber natürlich Aussagen aber erst, wenn die Produkte hier auf dem Markt sind.

Gordillo versichert, seine Produkte seien tatsächlich kompostierbar: »Du kannst sie im Garten verbuddeln. Wir haben das getestet, und in vier Monaten sind sie abgebaut.« Selbst wenn ein Tier einen weggeworfenen Karton isst, sei das – ähnlich wie bei chlorfreiem Papier – nicht schädlich.

Man könne die Behälter aber auch ähnlich wie Papier wiederverwerten, recyceln, in einer Biogasanlage verbrennen oder industriell kompostieren, sagt Gordillo. Überprüfbar sind diese aber natürlich Aussagen aber erst, wenn die Produkte hier auf dem Markt sind. Gordillo wehrt sich mit Verweis auf seine Patente und Betriebsgeheimnisse energisch gegen detaillierte Nachfragen zum Produktionsprozess, und er will auch keine Journalisten in die Produktionsanlage lassen, ohne dass sie eine Verschwiegenheits-Erklärung unterzeichnen, was dann wiederum die journalistische Arbeit unmöglich machen würde.

Gordillo hat eigentlich Architektur und Industriedesign studiert und war zu Beginn seiner Karriere selbst Teil des Problems. Er entwarf Aufsteller aus Kunststoff für Kosmetik oder Schmuck, die meist nach wenigen Monaten wieder im Abfall landeten. Der Liebe wegen zog er nach Hamburg, und die Geburt seiner Tochter ließ ihn auch beruflich umdenken: »Was hinterlasse ich ihr für einen Planeten?«, fragte er sich.

Gordillo hat bereits in Asien Erfahrung gesammelt. 2017 baute er eine ähnliche Fabrik im südindischen Bangalore auf; die Regierung dort kündigte nämlich ein Verbot von Einwegplastik an. Als ich Gordillo damals interviewte, klang er euphorisch. Bis zu 20 000 Tonnen kompostierbare Verpackungen wollte er produzieren. Von den umliegenden Bauern kaufte er Zuckerrohre, Bananenstaudenengel und Kokosschalen als Rohstoffe. »Das ist eine Win-win-Situation«, meinte er, »denn normalerweise sind das Abfälle, für die die Bauern nichts kriegen. Nun haben sie da zusätzliche Einnahmen.«

Heute klingt er ernüchtert: »Man sieht in Indien praktisch keinen Unterschied«, sagt er über die allgegenwärtigen Plastiktüten und Plastikabfälle, die Straßen und Flüsse verschmutzen. »Die Regierung hat das nicht gut umgesetzt.« Seine Schalen konnten sich in Asien am Markt nicht durchsetzen, weil sie etwas teurer waren als das billige Plastik und das werden sie auch in Deutschland sein: »Eine Schale für Gemüse aus Plastik, die hier etwa 5 Cent kostet, kostet bei uns 6 oder 7 Cent.« Er hofft, dass es Deutschland trotzdem ernster ist: »Die EU wird das durchsetzen! Große Ketten suchen nach Alternativen für Verpackungen.«

Gordillo hat bereits eine zweite Finanzierungsrunde gestartet, um Ende 2023 in Schwedt zwischen 16 000 und 20 000 Tonnen zu produzieren. Erste Firmen wie der Lieferdienst Delivery Hero haben bereits in das Projekt investiert.

Dies ist die Geschichte einer zukunftsträchtigen Innovation, die mehrere Aspekte einer echten Lösung aufweist: regional, aus Abfällen hergestellt, kompostierbar.

Zugleich ist es aber auch eine Lektion darin, welche Risiken Unternehmer eingehen und welche Hürden sie nicht immer absehen können. Denn das ist das eigentliche Problem, das auch kein Erfinder lösen kann: Solange wir unsere Mehrwegbehälter zu Hause lassen und die billigste Lösung wählen, gewinnt das Plastik. Obwohl doch der wahre Preis von Plastik viel höher ist.