Auf ex

Der Heimatort unseres Autors fiebert jedes Jahr auf den Burschenball hin. Dort wird getanzt, gesungen – und natürlich getrunken. Und zwar auch mal eine ganze Mass auf einmal.

Foto: Maurizio Di Iorio

Da, wo ich herkomme, gibt es einen Burschenverein, und nein, das hat nichts mit einer Burschenschaft zu tun, also der Verein ist schon auch konservativ, aber eher auf eine ländlich-folkloristische als auf eine politisch-reaktionäre Art. Auf seiner Webseite läuft seit Wochen der Countdown zum 140. Jubiläum, gerade steht da: 87 Tage, 6 Stunden, 34 Minuten und 44 Sekunden. Der Verein verfolgt das Ziel, bayerische Bräuche und Geselligkeit in Ehren zu halten, die offensichtlich schon im Jahr 1883 als gefährdet angesehen wurden. Seine Mitglieder tragen gern Tracht, trinken gern Bier, und vielleicht sind manche ein bisschen wehmütig, dass Bayern keinen König mehr hat, weil die Dinge, seitdem sie in Ortschaften namens Berlin und Brüssel entschieden werden, irgendwie kompliziert geworden sind. Ach ja, nur Männer dürfen dem Verein beitreten. Ich erinnere mich nicht, dass sich jemals eine Frau darüber aufgeregt hätte. Ich schätze, die meisten fühlen sich nicht diskriminiert, sondern entlastet.

Jedes Jahr richtet der Verein den weithin berühmten Burschenball aus. In den Tagen davor liegt ein Flirren in der Luft, die Frauen lassen sich die Haare machen, die Männer proben ­die Theatereinlage, alle freuen sich auf eine »Nacht voller un­beschreiblicher Momente«, wie es auf der Webseite heißt. Am Abend wird die Ballkönigin mit einer Kutsche zum Festsaal gefahren, alle ­rufen »Ah!« und »Oh!«, danach wird getanzt und getrunken, um fünf Uhr morgens geht’s ins »Wirtshaus zum Sepp« zum Lüngerl­essen, anschließend ins Elternhaus der Ballkönigin, wo weitergetanzt und weiterge­trunken wird.

Ein jährlich wiederkehrender ­Höhepunkt des Abends ist der Auftritt des Fürsten von Thoren, meistens ist das ein neues Vereinsmitglied, das sich mit einer Mass Bier auf die Bühne stellt und singt: »Ich bin der Fürst von Thoren, zum Saufen auserkoren.« Die anderen Burschen umringen ihn und antworten im Chor: »Er ist der Fürst von Thoren, zum Saufen auserkoren.« Dann kommt wieder der Fürst: »Ihr alle seid erschienen, mich fürstlich zu bedienen.« Und die anderen: »Wir alle sind erschienen, Euch fürstlich zu bedienen.« Und wieder der Fürst: »Der Jäger spannt’s Gefieder, schießt Reh und Hirschlein nieder.« Und die Burschen: »Der Jäger spannt’s Gefieder, schießt Reh und Hirschlein nieder.«

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Natürlich muss er die Mass auf ex trinken, alles andere würde ihn zum Gespött des Abends machen

So geht es eine ­Weile weiter, irgendwann setzt der Fürst das ­gewaltige Glas an und trinkt und trinkt und trinkt, während ihm die anderen immer lauter zusingen: »Ins Horn, ins Horn, ins Burschenhorn, sauf aus, sauf aus, Du Fürst von Thoren!« Natürlich muss er die Mass auf ex trinken, alles andere würde ihn zum Gespött des Abends machen. Am Ende stürzt er den leeren Bierkrug theatralisch um, wischt sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund, dann jubeln erst die Burschen, irgendwann applaudiert der ganze Saal, und alle sind aufgedreht und irgendwie glücklich, dass der Fürst von Thoren es wieder mal geschafft hat.

Von der Stadt aus betrachtet, kann man so einen Brauch natürlich primitiv oder provinziell ­finden, aber da, wo ich herkomme, haben die Menschen Freude ­daran. Im Gegenzug können sie nicht verstehen, wie man für eine mittelmäßig geschnittene Zweizimmerbude 2500 Euro im Monat hinblättern kann, und zwar kalt und ohne Stellplatz. Lieber lassen sie sich von solchen Traditionen durchs Leben tragen. Auf der Webseite ist sogar von einem »Gänsehautmoment« die Rede, und vielleicht ist damit ja gemeint, dass sich die Menschen in so einem Moment mit den anderen Menschen im Saal verbunden fühlen und auch mit denen, die früheren Fürsten von Thoren zugejubelt haben und inzwischen alt oder tot sind. Ich jedenfalls freue mich aufs Jubiläum. Ach ja, in 87 Tagen, 3 Stunden, 2 Minuten und ­12 Sekunden ist es so weit.