Die Drinks zum Business-Zoom

Was hilft, wenn in Online-Zusammenkünften so ziemlich alles schiefgeht? Der Ehrlichkeit halber muss man sagen: alkoholische Getränke eher nicht.

Foto: Maurizio Di Iorio

Nach einem langen Tag, wenn sich die getane Arbeit schwer und warm um meine Schultern legt, denke ich, ach, dieses eine Zoom-Meeting krieg ich jetzt auch noch hin, male mir ein Gesicht auf, schalte das Ringlicht ein und schiebe mit dem Zeigefinger meine Goldrandbrille zurecht, mit der ich wie eine Literatur-Influencerin aussehe. Ein Freund von mir sagt immer, ich sähe mit der Brille eher wie ein Siebzigerjahre-Pornostar aus, was ich natürlich zurückweise.

Dann schenke ich mir ein Glas Rosé ein, schalte die Kamera an, und von da an geht alles schief. Ich bin mir nicht sicher, woran es liegt, aber nehmen wir doch einfach mal drei verschiedene, für meinen Beruf typische Meeting-Plattform-Ereignisse unter die Lupe: ein Online-Event mit London, ein Storyline-Brainstorming für eine Hörspielserie sowie eine Zusammenkunft der Kulturbranche, etwa den Frühlingsempfang der Literaturhäuser.
Also.

Variante eins: HELLO, LONDON

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Nach vielen kleinen Problemen mit dem verflixten Einwählen bin ich endlich drin, es ist schon eine Kollegin aus Camden da, außerdem meine britische Verlegerin, der Moderator und das Pu­blikum. Ich sage: »Hello, everybody, so lovely to see you«, während der Moderator alle begrüßt. Ich werde rot, mein Make-up hält dem Ringlicht nicht stand, ich nehme einen Schluck Wein. Zuerst ist die Kollegin dran, mit dem von mir zutiefst gehassten Format des Fahrstuhl-Pitches – innerhalb von 90 Sekunden sagen, worum es in dem Buch geht. Als ich dran bin, versage ich komplett. Peinliches Schweigen auf dem virtuellen Podium. Ich trinke mein Glas in ­einem Zug aus und schenke mir nach, ich verstehe die meisten Fragen falsch und rede dazwischen. Am Ende ist die Flasche leer, ich winke verzagt in den Bildschirm.

Variante zwei: SEHT IHR DAS DRAMA, DAS ICH BIN?

Endlich mal die Erste im Meeting, nach und nach kommen die Hörspiel-Redakteurin, die Regisseurin und drei weitere Autorinnen dazu, während ich diese komische Stelle auf meiner Nase checke. »Hey, na«, sagen alle, ich sage »Oh hallo« und nehme einen Schluck Rosé. Wir entwickeln gemeinsam eine echt tolle Geschichte, ich bin aufgeregt und trinke und trinke und trinke, um mich zu beruhigen. Am Ende ist die Flasche leer, und ich habe Tränen in den Augen, weil ich so in der Story bin, dass ich nur noch an diesen einen Moment denken kann, »ihr wisst schon«, sage ich, »damals«, aber keine weiß, was ich meine, weil ich über dem Trinken vergessen habe, es zu erzählen.

Variante drei: WIE ICH DIE ERZÄHLUNG GERETTET HABE

Es ist unübersichtlich. Da sind schätzungsweise 750 Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, es ist ein totales Kacheldurcheinander. Ich fühle mich zu sehr gesehen und nehme einen Schluck Wein. Wir werden in Breakout Rooms zusammengewürfelt, immer fünf Leute, das Gesprächsthema soll sein: Wie erzählen wir im 21. Jahrhundert? Ich nehme einen Schluck Wein und habe eine Idee. »Leute, es geht doch verdammt noch mal darum, einfach am Schmerz entlang zu erzählen. Findet ihr nicht?« Ich erkläre es noch mal, ohne zu bemerken, dass die erste Session längst vorbei ist und ich in den nächsten Raum gewürfelt werde, und in den nächsten und nächsten. Am Ende ist die Flasche leer und eine halbgare These mehr in der Welt. Das Ringlicht ist schon vor langer Zeit umgefallen.