Vom Trinken mit Russen

Die besten Partys hat unsere Autorin in russischer Gesellschaft erlebt. Nun denkt sie an ausschweifende Abende in Sankt Petersburger Bars – und hofft auf die Russinnen und Russen, die ein offenes und modernes Land wollen.

Foto: Maurizio Di Iorio

Eines meiner liebsten Hobbys ist es ja, mit Menschen zu feiern, die ich nie zuvor gesehen habe, und am besten finde ich es, wenn wir nicht mal dieselbe Muttersprache haben und alles halt irgendwie auf Englisch oder Französisch oder von mir aus auf Klingonisch geklärt werden muss, womit das Stichwort »Klingonisch« die Richtung dieser Partys auch direkt vorgibt: Kommt, wir lassen es krachen. Gerade in dieser Disziplin hab ich die besten Momente mit Russinnen und Russen erlebt. Früher war ich im Rahmen der Frankfurter Buchmesse hin und wieder zu Gast bei einem sehr schicken Dinner mit wichtiger Sitzordnung, super-elegant in einem Luxushotel, und klar war das alles schon nett, aber den Saal nebenan hatten jedes Jahr zur selben Zeit die russischen Verlage gemietet. Ich weiß nicht mehr, wann genau ich anfing, mich da reinzuschmuggeln, ich erinnere mich aber daran, wie mein Ohr heimlich an der Wand klebte, während ich versuchte, ein ernsthaftes Gespräch mit einem Kritiker zu führen, und nur dachte: Alter, was MACHEN die?!?

Und dann war ich halt irgendwann mal auf dem Weg zur Toi­lette, und die Tür zum russischen Saal stand offen, und ich sah nur Gläser durch die Luft fliegen und auch Beine, und zwar die von Männern. Sie tanzten, als wären sie verrückt geworden. Der Rest ist jetzt zu privat.

Die Ausschweifungen, die ich in Sankt Petersburger Bars erlebt habe, waren etwas stiller, aber dafür nicht weniger intensiv. Nirgends sonst saß ich jemals so dicht gedrängt, so Mensch an Mensch am Tresen, und nirgends sonst wurde so kompromisslos geraucht zum Schnaps. Und in einer Tour wurde ich gefragt, meistens von jungen Barmännern mit bunten Haaren und im Gaultier-Look: »What do you think about Putin?« Ich wollte damals nicht unhöflich sein und eierte unschön rum, so wie mein Land das ja auch viel zu lange tat. Aber der Russe dann immer so: »Come on, he’s a fucking asshole.«

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Mein Herz, mein Gefühl, meine Gedanken sind in erster Linie bei den Menschen in Kiew, in Charkiw, in Mariupol, bei all diesen tapferen Ukrainern und Ukrainerinnen, die mit ihrem Durchhaltewillen, ihrer Kraft, ihren Körpern und ihren Molotowcocktails nicht nur ukrainische Städte und Dörfer verteidigen, sondern auch unsere.

Aber ich denke in letzter Zeit fast genauso oft an die bunten Menschen, die ich damals in Frankfurt im Raum nebenan und in den Bars von Sankt Petersburg getroffen habe. An die Russinnen und Russen, die eine offene und moderne Gesellschaft wollten und immer noch wollen.

Sie müssen für ihren Kampf nicht ansatzweise das einsetzen, was die Menschen in der Ukraine gezwungen sind einzusetzen, aber sie gehen doch ein hohes Risiko ein, wenn sie gegen Putins Mordbrenner-Regime aufstehen. Weil ich mir dieses Risiko, diese Angst gar nicht vorstellen kann, wage ich nicht, die russische Bevölkerung um irgendwas zu bitten, aber ich wünsche mir, dass sie in Massen auf die Straße geht. In solch unglaublichen Mengen, dass selbst Putins Gefängnisse zu klein werden. Ich bete dafür, dass die Menschen in Russland den Tyrannen an seiner lächerlichen Frisur packen und ihn nach Den Haag schleifen, an den Ort, der dazu errichtet wurde, beleidigten, verunsicherten und von falscher Maskulinität zerfressenen Monstern den Prozess zu machen. Oder sie jagen ihn gleich zum Teufel, ab in die Hölle, mögen ihn dort sowohl der Blitz beim Scheißen treffen als auch der Zorn aller Mütter.