Das Wasserflaschen-Rätsel

Praktisch, wiederverwendbar, sogar spülmaschinenfest. Jaja, aber das beantwortet die Frage nicht: Warum schleppen Menschen Trinkflaschen mit sich herum?

Foto: Maurizio Di Iorio

Die Leute sagen, wenn man älter wird, versteht man mehr, aber das stimmt nicht. Ich verstehe immer weniger. Olaf Scholz ein Hoffnungsträger der Sozial­demokratie? Verstehe ich nicht. Verstehen Sie Spaß? gibt es immer noch? Verstehe ich nicht. Bäckereiverkäuferinnen mit Latex-Handschuhen? Verstehe ich nicht. Eine App, die mir dabei helfen soll, weniger Zeit am Handy zu verbringen? Verstehe ich nicht. Am wenigsten verstehe ich, dass heute so viele Menschen mit einer Trinkflasche durchs Leben laufen.

Ich habe keine Studie in Auftrag gegeben, aber ich glaube, es sind vor allem jüngere Menschen, die sie in ihren Hand- oder Stofftaschen in die Uni, ins Büro, in die Fuß­gängerzone, ja sogar zum Aus- und Spazierengehen mitnehmen, um sich gelegentlich ein Schlückchen zu gönnen. Neulich war es dem Spiegel eine Bemerkung wert, dass man die US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez regelmäßig mit wiederauffüllbarer Wasserflasche durch die Flure des Kongresses hetzen sieht.

Es gibt sie mit aufgedrucktem Motivationsspruch (»Sore today, strong tomorrow«), mit integriertem Kristallstein oder Aroma-Ring, der das Wasser nach Limette, Apfel oder Pfirsich schmecken lässt, sogar Modelle zum Umschnallen werden mittlerweile angeboten. Man sieht dann aus wie Reinhold Messner, nur dass man nicht in der Steilwand am Nanga Parbat hängt, sondern im Dienstagmorgenmeeting in der Agentur. Ich habe beobachtet, wie sich Kolleginnen und Kollegen während einer Zwei-Stunden-Konferenz einen halben Liter reinschütten.

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Nur: Warum? Ich habe darüber nachgedacht, finde aber keine Erklärung. So ein Ding ist doch Ballast. Als würde man bei einer Bergtour Die Brüder Karamasow mitschleppen. Gibt es Menschen, die durstiger sind als andere? Oder eine Krankheit, bei der man von heimtückischen Durst­attacken heimgesucht wird? Man muss doch nicht dauernd Flüssigkeit parat haben. Manchmal kommt es mir vor, als würden die Menschen aufrüsten, als wollten sie gewappnet sein, nur wofür? Der Klimawandel schreitet voran, aber doch nicht so rasant, dass man in Zentraleuropa Wasserreserven anlegen muss, wenn man eine Freundin im Park trifft.

Die Menschen, die eine besitzen, sagen, so eine Flasche sei praktisch, wiederverwendbar, sogar spülmaschinenfest. Sie sagen, so eine Flasche sei umweltfreundlich, weil sie vor allem aus nachwachsenden Rohstoffen bestehe. Lauter gute Eigenschaften, und trotzdem ist das so, als würde die Biografie von Heidi Klum aufhören, unnötig zu sein, nur weil sie auf Recycling-Papier gedruckt ist.

Das Ganze muss ein Trend sein. Nachhaltiger Konsum nach dem Motto: Wir kaufen zeitgemäß und trinken uns mit jedem Schluck gesünder. Oder wie ein Kollege mal geschrieben hat: Der Boom sieht aus wie »eine große Umweltbewegung, aber womöglich zeigt er doch nur das reibungslose Funktionieren des Kapitalismus, der neben dem schlechten Gewissen, das er produziert, nun auch noch die Beruhigung desselben anbietet«.

Dazu passt, dass sowohl die Flaschen als auch die Firmen, die sie herstellen, tröstliche Namen tragen: Eine heißt Soulbottle, eine andere Forrest & Love. Aber mein Gott, in meinem Supermarkt gibt es auch einen Pudding, der Seelenwärmer heißt. Auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole: Ich verstehe es einfach nicht.