Weißt du noch, damals?

Der geschiedene Mann, mit dem man schon lange nichts mehr zu hat, meldet sich am Hochzeitstag jedes Jahr per SMS. Ist das übergriffig, oder doch irgendwie nett?

Illustration: Serge Bloch

»Vor mehr als zehn Jahren wurde meine erste Ehe geschieden. Wir sind beide wieder glücklich verheiratet. ­Dennoch bekomme ich jedes Jahr von meinem geschiedenen Mann, mit dem ich weder ein ausgesprochen gutes noch schlechtes Verhältnis habe, eine weitgehend inhaltsfreie SMS zu unserem Hochzeitstag. Möglicherweise wäre mir das Datum gar nicht mehr präsent, so aber beschleicht mich schon im Vorfeld ein mulmiges Gefühl, und ich empfinde die Nachricht als überflüssig bzw. -griffig. Ich möchte diese Nachrichten nicht mehr erhalten, andererseits aber auch nicht verletzend sein. Wie soll ich mich verhalten?« Stefanie O., Kolbermoor

Wollen Sie ihn wirklich nicht einfach bitten, diese superlangweilige Jahrestags-Erinnerei, auf die bei ihm Verlass ist wie bei so einer nervigen Kuckucksuhr, zu lassen, weil es vollkommen bedeutungsleer ist, an ein Ereignis zu erinnern, das man im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte per Unterschrift eigenhändig wieder aufgelöst hat, und wenn schon Jubiläen gedenken, warum dann nicht auch noch eine jährliche SMS zum Jahrestag der Scheidung, dadurch wäre wenigstens etwas Humor in der ­Sache. Kann schon verstehen, dass Sie genervt sind. Ein Ex-Freund von mir, von dem ich an genau 364 Tagen im Jahr nichts höre, schreibt mir pünktlich an jedem Geburtstag »Alles Gute zum Geburtstag« – wie so eine schwerhörige Großtante, die einen kaum kennt. Ein anderer meldet sich auch am Geburtstag nicht. Beides ­finde ich gleichermaßen eine Frechheit.

Aber. Und nun komme ich zu dem Teil meiner Antwort, zu dem Sie es sich gerne ein bisschen gemütlich machen können. Lehnen Sie sich an, stellen Sie sich im Hintergrund irgendein Mozart-Adagio vor, öffnen Sie Ihr Herz. Auch Ihr Ex-Mann wird unter der Trennung gelitten haben. Vielleicht hat er ein latent schlechtes Gewissen, wenn er an Sie denkt. Vielleicht hat er es geschafft, dieses innerlich zu Rührung umzuformen, in eine leise Wehmut à la »Es war eine große Liebe, aber wir waren einfach noch nicht reif.« (»Wir«.) Wenn Sie Ihr Ego einen Augenblick aus dem Bild kicken könnten, ist es dann nicht in Wahrheit auch ganz rührend, dass er Jahr für Jahr so zuverlässig daran denkt? Es war bestimmt ein schöner Tag in Ihrer beider Leben. Und wenn man es genau nimmt, gibt es doch Schlimmeres, als wenn jemand, den man einmal sehr geliebt hat, all das, was man sich zusammen gewünscht hatte, nicht vergisst. Auch wenn es dann anders gekommen ist, war es ja trotzdem wahr.