Die Hochzeit als Hölle

Unser Leser weiß, dass er auf der Hochzeit eines guten Freundes auf dessen Vater treffen wird – der als Scheidungsanwalt seine Mutter schlecht vertreten hat. Doch kann er deswegen absagen?

Hochzeiten sind für alle Beteiligten sowieso die Hölle, findet unsere Autorin. Aber absagen, wenn ein guter Freund das Ja-Wort gibt? Das ist gar nicht so leicht.

Illustration: Serge Bloch

»Im Herbst heiratet ein guter Schulfreund von mir. Leider war dessen Vater der erste Scheidungsanwalt meiner Mutter und hat sie regelrecht abgezockt. Nun habe ich meinem Freund mitgeteilt, dass ich lieber nicht auf seine Hochzeit komme. Seinen Vater kann ich nicht ignorieren, es gäbe definitiv eine Aussprache. Aber die Trauung ist nicht der richtige Ort dafür. Leider versteht mein Freund dies nicht. Was tun?« anonym

Unter uns, Hochzeiten sind doch für alle, außer dem betreffenden Paar, die Hölle. Halt, ich korri­giere mich: für alle. Sie sind wahnsinnig teuer, seit neuerdings alle in Umbrien hei­raten oder an der Côte d’Azur, wo zu ­Reise- und Hotelkosten ja noch der an­schließende Kurzurlaub in der Gegend kommt, damit sich der Aufwand irgendwie lohnt, man kann wahnsinnig Pech haben mit dem Tischnachbarn (»Hallo, ich bin der Cousin der Braut zweiten Grades, also der Sohn von der Cousine der Mutter aus erster Ehe, und ich möchte dir auf der Stelle unsere weitverzweigten Familienverhältnisse im Detail erklären«), bis die erste Rede endlich vorbei ist, die nur witzig finden kann, wer mit dem Bräutigam in der Grundschule war (helfen würde zusätzlich, dass man den Bräutigam mag), ist man schon betrunken, weil man vor lauter Hunger und Verzweiflung dem Wein zuspricht, den unauffällige Kellner laufend nachgeschenkt haben müssen, wie einem am nächsten Morgen klar wird, wenn man sich nach dem Aufwachen die große internationale Frage stellt, wie man eigentlich in dieses Hotelzimmer kam, gefolgt von der Erkenntnis, dass dies nicht allzu lange her sein kann, weil die Sonne schon schien, als man zu I’m a survivor barfuß auf dem Tresen der Bar tanzte, gefolgt von der panischen Suche nach Beweisfotos auf Instagram.

Eine Freundin meinte neulich, sie gehe viel lieber auf Beerdigungen als auf Hochzeiten, und irgendwie wusste ich sofort, was sie meint. Weniger Druck, auf Fotos irre fröhlich auszusehen. Weniger nur mittellustige Pointen in Reden. Weniger Chance, Pech mit dem DJ zu haben. Wenn ich Sie wäre, ich würde nicht hingehen. Aber ich bin nicht Sie, und deshalb würde ich vielleicht vorher die Aussprache mit dem Vater suchen und danach entscheiden. Vielleicht wären damit ja alle Probleme auf einmal gelöst?