»Ohne Oktoberfest leuchtet München weniger«

Nun ist es gewiss: Wegen der Corona-Pandemie fällt das Münchner Oktoberfest in diesem Jahr aus. Wir haben prominente und passionierte Wiesn-Gänger gefragt, was ihnen am meisten fehlen wird – von Schauspielerin Senta Berger bis Alt-Bürgermeister Christian Ude.

    Luise Kinseher, Senta Berger, Christian Ude

    Luise Kinseher, Kabarettistin und Mama Bavaria:

    Luise Kinseher

    Foto: STL/imago images

    »Beim Gedanken, das Oktoberfest fällt heuer aus, kommt mir als erstes ein riesiges schwarzes Loch in den Sinn, das tausende bunte Trachtenhüte, opulente Wiesnzelt-Dekorationen, prachtvolle Brauereigespanne und 500.000 Grillhendl samt meiner ganzen Lebensfreude auf einmal verschlingt, und übrig bleibt das große Nichts. Kurzzeitig kommt da Panik auf! Aber wird uns das Oktoberfest wirklich so sehr fehlen? Vielleicht freuen wir uns am ersten Wiesnsamstag einfach nur, dass unser Stammitaliener nebenan die Krise überlebt hat und wieder geöffnet ist? Wir lassen uns endlich die langersehnte Pizza bei ihm schmecken und bestellen einfach noch eine zweite Flasche Chianti? Danach machen wir noch einen Waldspaziergang auf der Theresienwiese, weil ohne Oktoberfest plötzlich die Natur den kahlen Platz unterhalb der Bavaria überwuchert hat, von Baumwipfel zu Baumwipfel schwingen sich grüne Schimpansen, und hinter einem Busch lauert ein Leopard mit einem Bananenhut. Wo das große NICHTS ist, blüht zumeist die Phantasie. Also – so schlimm wird es schon nicht werden!«

    O'zapft is!

    Hier finden Sie schönsten Wiesn-Geschichten aus dem SZ-Magazin.

    Christian Ude, Münchner Oberbürgermeister von 1993 bis 2014:

    Christian Ude

    Foto: Sven Hoppe/dpa/Picture-Alliance

    »Kann und darf man die Wiesn 2020 vermissen, obwohl sie in Corona-Zeiten das kleine Ischgl mit seinen possierlichen Après-Ski-Events als Virenschleuder hunderttausendfach und weltweit übertrumpfen würde? Natürlich nicht. Deshalb empfehle ich, eine Zeitmaschine zu besteigen, und sich nostalgisch an die Kindheit, an die Klänge der Krinoline, das Grauen beim Schichtl, die zackigen Kurven der Wilden Maus, und das Überleben auf dem Teufelsrad zu erinnern – und an die Entdeckung,  dass einem von einer Mass genauso schlecht wird wie von einem Steckerlfisch mit Zuckerwatte und türkischem Honig, dass der Bierkonsum aber höheres Ansehen genießt.
    Münchner Grantler werden schmerzlich vermissen, dass sie nicht mehr von Dreikönig bis zum Anstich nörgeln können, dass die Wiesn nicht mehr so schön sei und dass sie deshalb diesmal nicht rausgehen werden; nein, jetzt müssen sie nörgeln, dass man ihnen das einzige genommen hat, was ihnen überhaupt noch geblieben ist in dieser tristen Zeit...«

    Heribert Prantl, Autor

    Heribert Prantl

    Foto: Jürgen Bauer

    »Das Bierzelt fehlt mir nicht. Mir fehlt der Steckerlfisch, mir fehlt das Lebkuchenherz, mir fehlen die gebrannten Mandeln. Mir fehlt das Riesenrad und die Leichtigkeit des Münchner Seins am Abend, wenn die Wiesn sich schlafen legt. Ohne Oktoberfest schmeckt München anders. Und es leuchtet weniger.«

    Die Ruhe vor dem Rausch

    Best-Of-Wiesn-Geschichten: Stets im Rampenlicht und doch komplett unbekannt: das uralte Anstich-Fass, mit dem der Oberbürgermeister jedes Jahr das Oktoberfest eröffnet. Das Porträt eines hölzernen Heiligtums

    Senta Berger, Schauspielerin:

    Senta Berger

    Foto: Horst Galuscheke/imago images

    »Die alte Achterbahn, die kleine gemütliche rumpelige knatternde, in deren kleine Wagen ich nach Herzenslust schreien kann – wie damals an unserem Polterabend auf der Wiesn vor vielen Jahren. Der bayrisch-blaue Himmel an einem späten Septembervormittag im Biergarten vor dem Schottenhamelzelt, wo wir vor vielen, vielen Jahren – siehe oben – gepoltert haben, die Sonne brennt noch ganz schön, es muss Föhn sein. Mir schmeckt das Bier und die Schweinsstelze, obwohl ich doch auf dem Weg zur Vegetarierin bin. Wir beobachten mit Rührung die vielen jungen Mädchen, die wiesn-mäßig aufgebrezelt auf ihr Handy starren … und endlich von sehr feschen Lederhosen erlöst werden. Alles wie immer … nur in diesem Jahr nicht …?«  

    Friedrich Ani, Schriftsteller:

    Friedrich Ani

    Foto: Anna Weise/SZ Photo

    »Die Wiesn mag ich am meisten, wenn ich nicht hinmuss, zu viele Menschen auf zu engem Raum. Aber mir vorzustellen, dass sie heuer nicht da ist, mag ich noch viel weniger. Weil: Ich gehe jedes Jahr doch hin! Ein einziges Mal, mit meinem Dichterfreund Albert Ostermaier. Verwandte von ihm betreiben eine Entenbraterei, ein übersichtliches Zelt ohne Blasmusik, voller unglaublich freundlicher Menschen und einem Essen zum Niederknien. Da sitze ich dann, nicht in Tracht, wie alle anderen, sondern in meinem üblichen jeansigen Giesinger Ausgehgewand, erhebe die erste Mass, gefolgt von vier weiteren und bin selig. Der kommende September wird eine einzige große Vermissung sein.«

    Elmar Wepper, Schauspieler

    »Als nostalgischem Mitsiebziger erfüllt es mich mit Wehmut mittags auf ein Hendl und eine süffige Maß in der milden Septembersonne verzichten zu müssen.«

    Die Geschichten hinter den größten Wiesn-Hits

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    Helmut Huber, Anzapf-Trainer der Oberbürgermeister:

    Helmut Huber

    Foto: Tobias Hase/dpa/Picture-Alliance

    »Keine Wiesn! Wie sagt man in Bayern: »Schad is, dass wahr is.« Ich war die vergangenen 35 Jahre jedes Mal auf dem Oktoberfest, immer in der Anzapf-Box, am ersten Tag. Georg Kronawitter war der erste Oberbürgermeister, den ich im Anzapfen trainiert habe. Erst am leeren Fass, da geht's leichter. Dann am vollen Fass, und zwar gleich am Hirschn, einem 200-Liter-Fass. Denn ein Reherl, ein Fass mit 50 Litern Fassungsvermögen, kann verrücken, wenn du den Wechsel da kräftig hinein haust. Als ich mit Dieter Reiter im Training fertig war, hat er mich gefragt: »Derf I Du sagn?« Da habe ich geantwortet: »Das bestimmen Sie – oder Du!« Den Augenblick in der Anzapf-Box, das »O'zapft is!«, den werde ich vermissen. Aber: Nächstes Jahr werde ich 80. Wenn die Wiesn dann stattfindet, und wenn der Herrgott will – ich stehe bereit!«

    Michael Well, Musiker:

    Michael Well

    Foto: Stephan Rumpf/SZ Photo

    »Mir persönlich wird die grenzenlose Nähe der Menschen fehlen - und natürlich die spannende Live-Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks. Zwei Verwandte von mir arbeiten sonst immer auf dem Oktoberfest, darum möchte ich noch sagen: Was mir abgehen würde als Bedienung auf der Wiesn, sind zehn Riesen.«

    Viktoria Ostler, seit 2016 das »Münchner Kindl«:

    Viktoria Ostler

    Foto: STL/imago images

    »Mir wird am meisten die Freude der Menschen fehlen, die lachenden Gesichter und die unglaubliche Stimmung. Die Vorfreude, wenn ein paar Tage vorher jeder seine Tracht herauskramt, wenn die Trachtenvereine und Musikkapellen alles für den Umzug herrichten und es keiner mehr erwarten kann. Einfach das Gefühl, wenn in ganz München die 5. Jahreszeit anbricht und sich jeder schon auf die zwei Wochen freut. Das wird mir unglaublich fehlen, ich kann es mir noch gar nicht vorstellen.«

    Foto-Tagebuch einer Wiesn-Kellnerin

    Best-Of-Wiesn-Geschichten: Kellnerin Sonja Herpich hat sich jeden Tag vor und nach der Wiesn fotografiert – und verrät im Interview, wie sie zwei Wochen Wahnsinn überstanden hat und welche Besucher am meisten nerven.

    Jan Weiler, Autor:

    Jan Weiler

    Foto: Future Image/imago images

    »Enorm fehlen wird mir die identitätsstiftende Erfahrung der Wiesn-Grippe. Herrlich. Dieses verschniefte, vergrippte und elende Gefühl drei Tage nach dem Besuch im Festzelt gehört doch einfach dazu. Dass nun Corona uns alle um diesen Virusspaß bringt, finde ich eigentlich eine Sauerei.«

    Ayzit Bostan, Designerin:

    Ayzit Bostan

    Foto: Fabian Frinzel

    »Am meisten werde ich das erste frisch gezapfte Bier mit Breze und Obatzda in der frühen Abendsonne vermissen. Danach Wilde Maus fahren und hoffen, dass ich endlich einen der Mitarbeiter überzeuge, mir den Wilde-Maus-Sweater zu verkaufen.« 

    O'zapft is!

    Hier finden Sie schönsten Wiesn-Geschichten aus dem SZ-Magazin.

    Christoph Deumling, Moderator Bayerischer Rundfunk:

    Christoph Deumling

    Foto: Manfred Segerer/imago images

    »Was mir fehlen wird: Das Leuchten in den Augen meiner Kinder, wenn wir sonst immer verkünden: Heut’gemma aufd Wiesn! Und die Vorfreude meines Sohnes, es in der Achterbahn so richtig krachen zu lassen. Und die »Fahrt« mit dem Toboggan. Und natürlich die Schweißperlen auf der Stirn des Oberbürgermeisters kurz vorm Anzapfen aus nächster Nähe zu sehen!«

    Udo Wachtveitl, Tatort-Kommissar:

    Udo Wachtveitl

    Foto: Tinkeres/imago images

    »Mein erster Wiesnbesuch ist mir bis heute unvergesslich. Leider kann ich mich nicht daran erinnern. Aber ich muss dort gewesen sein, denn als Kind hat mich die Frage beschäftigt, warum die Wiesn Wiesn heißt. Das fragt man sich auch als Kind nur, wenn man den Unterschied zwischen einer Wiese – Gras, Blumen, summende Insekten – und der Wiesn – Bier, Skooter, brummende Schädel – wahrzunehmen die Möglichkeit hatte. Vielleicht lag ja unter den Bierzelten eine richtige Wiese verborgen, so wie angeblich unter dem Pflaster der Strand liegen soll. Heute bin ich schlauer und weiß, auch den Rest des Jahres ist ist die Theresienwiese genauso wenig eine Wiese wie zur Wiesnzeit, eine humusfreie Sand- und Kiesebene ist‘s, durchzogen von Asphaltraster. Aber vielleicht wird ja jetzt eine daraus, wenn einmal fast zwei Jahre eine Ruh‘ ist. Für den Tourismus wär‘s schlecht, für den Glauben der Kinder an die Zuverlässigkeit von Wortbedeutungen wär‘s gut, gerade in Zeiten von fake news. Mmmmh … ich enthalte mich.«