Langsam kommen sie wieder, die Männer aus den Schlagzeilen der #MeToo-Ära: jene Prominenten, denen Frauen vor etwa einem Jahr sexuellen Missbrauch und Belästigung vorwarfen, und die daraufhin erstmal aus Scham oder wegen PR in der Versenkung verschwanden. Vor allem der Komiker Louis C.K., der ein Idol war, weil er vielen (darunter auch mir) so nahe kam mit seinen handwerklich so perfekten und inhaltlich so neuen, schonungslosen, offenen Witzen. Ich war sicher, er und die anderen würden nie wieder auftauchen. Aber #MeToo hat mich viel gelehrt, nicht zuletzt über meine Naivität.
Diese Woche ist Louis C.K. zum ersten Mal wieder aufgetreten, keine 300 Tage, nachdem die »New York Times« im November 2017 berichtet hatte, C.K. habe im Laufe seiner super-erfolgreichen Karriere vor fünf Kolleginnen gegen ihren Willen masturbiert. Louis C.K. gab das mehr oder weniger zu, entschuldigte sich mehr oder weniger, und gelobte, er werde von nun an zuhören, und zwar »für eine lange Zeit«.
Das hat er also kein Jahr lang ausgehalten: einfach nur zuzuhören. Diese Woche hatte er einen kurzen, unangekündigten Auftritt im »Comedy Cellar», vor etwas über 100 Besuchern. Ein großer Teil des Publikums soll stürmisch applaudiert haben, aber einige Frauen in der ersten Reihe saßen wohl mit versteinerten Mienen da. Sein 15-Minuten-Programm war »typischer Louis-C.K.-Kram«, sagt eine Besucherin: nichts Aktuelles und nichts, was mit seinen Übergriffen und seiner Abwesenheit zu tun gehabt hätte.
Die Reaktionen darauf verliefen weitgehend entlang der alten Konfliktlinien: Frauen, die etwa anmerkten, die Schauspielerin Winona Ryder sei wegen ihrer Ladendiebstähle fünfzehn Jahre nicht engagiert worden – und Louis C.K. bräuchte kein Jahr, um nach sexueller Belästigung zurückzukommen. Männer, die sagten, er habe sich doch entschuldigt, ob man ihn denn »300 Jahre in den Gulag« sperren sollte, und überhaupt: Irgendwann müsse ja auch mal gut sein, und jeder verdiene eine zweite Chance.
Das denke ich auch. Aber nicht Louis C.K.. Jedenfalls: nicht so.
Es geht und ging hier nicht um Louis C.K.s Sexualität, wie es überhaupt bei #MeToo nicht um Sex, sondern um Macht ging
Vor einigen Jahren schlug Louis C.K. dank YouTube und Netflix auch in Deutschland ein wie ein Meteor in einen Matratzenladen kurz vor der Zwangsräumung. Wer sich erst das Netflix-Special von Dieter Nuhr ansah und dann eins von Louis C.K., musste das Gefühl haben, nach langer Zeit in einem ungelüfteten Raum endlich wieder draußen im Wind zu stehen. Ich weiß noch, wie berührt ich war: Hier machte also ein Daddy in meinem Alter derbe Witze über seine Kinder, seine Unzulänglichkeiten als Ehemann und Vater, seine Scheidung, seine Sexualität, über seine Privilegien als Weißer in den USA, er machte zornige Scherze über Schwulen- und Lesbenhass und darüber, wie mies Männer Frauen behandeln. Hier stellte sich einer seinen Dämonen und half mir, mir darüber klarer zu werden, was das heute bedeutet: ein weißer, heterosexueller Mann mittleren Alters zu sein, mit all den Vorurteilen und Privilegien und dem Willen, es besser zu machen. YouTube und Netflix sind immer noch voll davon, man kann das immer noch gucken, es wäre im Prinzip immer noch gut. Wenn C.K. nicht zur gleichen Zeit fünf weniger bekannte, in ihrer Laufbahn weniger fortgeschrittene Kolleginnen in eine absolut unmögliche, völlig verantwortungslose Zwangslage gebracht hätte.
Es geht und ging hier nicht um Louis C.K.s Sexualität, wie es überhaupt bei #MeToo nicht um Sex, sondern um Macht ging. Es geht und ging darum, dass er diese Macht im Umfeld seines Arbeitsplatzes missbraucht hat: Impliziert war immer, dass wer noch mit ihm arbeiten wollte, ihn lieber gewähren ließ. Und, nebenbei bemerkt, denn auch dies ist wieder Thema in vielen Kommentaren: Es stand und steht auch immer noch nicht zur Debatte, warum die Kolleginnen sich nicht gewehrt oder warum sie nicht einfach gegangen sind. Wer als Mann solche Fragen stellt, könnte sich selbst eine andere stellen, nämlich die, ob er jemals wirklich zugehört hat, wenn eine Frau (oder ein Mann) ihm von Belästigung oder Missbrauch erzählt hat.
Dana Schwartz schreibt in »Entertainment Weekly«, dass Louis C.K. auf die unpassendste und gleichzeitig logische Art wiedergekommen sei: »Die Fähigkeit, einfach so in einem Comedy Club auftreten zu können, ist ein Privileg, das nur die berühmtesten Protagonisten der Szene genießen. Louis C.K. schickt sich an, in die Comedy-Welt mit Hilfe der gleichen Machtstruktur zurückzukehren, die ihm so lange erlaubt hat, Frauen zu missbrauchen.«
Und es ist nicht nur das. Louis C.K. hat mit seinen Übergriffen sein bisheriges Werk bis zur Unbrauchbarkeit beschädigt. In diesem Werk gab es unter anderem auch Witze über aggressives, elendes Masturbieren. Ich lachte über den gebrochenen Selbsthass, das offene Sprechen über Abgründe der männlichen Sexualität. Seit November 2017 weiß ich: Er hat die Machtstrukturen, über die er sich auf der Bühne lustig gemacht hat, hinter der Bühne schamlos und für andere zerstörerisch ausgenutzt. Wann, wie und warum sollte ich je wieder über »typisches Louis-C.K.-Zeug« lachen?
Und: Warum sollte ich es überhaupt wollen? Warum wollen so viele seiner Anhänger um jeden Preis an ihm festhalten? Es gibt sehr viele andere US-Komikerinnen und -Komiker, die genauso gut oder besser sind (Beth Stelling, Jessica Williams, Phoebe Robinson, John Mulvaney, Bill Burr, Morgan Murphy und und und).
Vor allem: Die Kunstform Comedy hat sich radikal verändert in dem knappen Jahr, in dem Louis C.K. weg war, um zuzuhören. Wem er in der Zeit offenbar nicht zugehört hat, war die australische Komikerin Hannah Gadsby, die mit dem erschütternden Programm »Nanette» (Netflix) sowas wie einen Gegenentwurf zu Louis C.K.s Arbeit erschaffen hat, aber dies nur als Nebeneffekt eines an sich fantastischen Kunstwerks. »Nanette« ist die Comedy der Gegenseite: nicht mehr die Mächtigen und die Missbrauchenden haben das Wort, sondern eine Missbrauchte, die sich weigert, sich ohnmächtig zu fühlen, die sich weigert, den Regeln der Kunstform weiter zu gehorchen. Louis C.K. stammt aus der Zeit, als die beste Comedy davon handelte, dass man Witze über alles machen kann, solange man unerschrocken und handwerklich brillant ist. Dank Hannah Gadsby handelt Comedy inzwischen davon, dass die Zeit der Witze vorbei ist. Und nicht nur dank ihr: James Acaster und Maria Bamford (die von Louis C.K. einige Male in seiner TV-Serie gefeatured wurde) sind andere Stars der Stunde, die die traditionellen Formen und Inhalte der Stand-up-Comedy zerschlagen und aus den Bruchstücken Neues, Aufregendes zusammensetzen.
Vielleicht gelingt es Louis C.K. eines Tages, seine eigenen Übergriffe zum Thema einer Comedy zu machen, die den Opfern nützt und den Tätern weh tut. Das wäre dann seine einzige denkbare zweite Chance. So, wie er sich jetzt mit dem »typischen Kram« zurückmogelt, kann ich mir nicht vorstellen, dass er überhaupt in der Lage wäre, sie zu nutzen.