Folge 16: Klimakiller Krise

Die Automobilhersteller haben von der Europäischen Union mehr Zeit bekommen, umweltfreundlichere Autos herzustellen. Verstehen muss man das aber nicht.

Die Auto-Lobby atmet auf: Ihr Lamentieren darüber, dass die Klimaauflagen doch viel zu streng seien und viel zu viel Kosten verursachten und die Branche doch viel zu wenig Zeit hätte, sich darauf einzustellen, hatte Erfolg. Gestern Abend wurde beschlossen, dass die Emissionsgrenze von 120 Gramm CO2 pro Kilometer für Neuwagen statt 2012 erst 2015 kommt. 2015: 18 Jahre nach dem Kioto-Protokoll, 23 Jahre nach der Klimarahmenkonvention von Rio de Janeiro. Nein, die deutsche Autoindustrie hatte wirklich keine Zeit, darüber nachzudenken, wie sie ihre Abgase reduzieren könnte.
Außerdem war sie ja damit beschäftigt, immer noch größere, noch schnellere und noch mehr Benzin schluckende CO2-Premiumprotze zu bauen.

Aber halt: In der Krise ist alles anders. In der Krise müssen wir den gebeutelten Automobilherstellern helfen, mit Milliardenpaketen, mit Steuererleichterungen, vielleicht auch bald mit Spendenaktionen? Konnte schließlich keiner wissen, dass sich bei steigenden Benzinpreisen und wachsendem ökologischem Bewusstsein ihre klimaschädlichen Spritsäufer irgendwann nicht mehr verkaufen. Oder doch? In Schweden wurden gerade Hilfen für Volvo und Saab (beide im Besitz amerikanischer Konzerne) gefordert, beide Marken sind nicht gerade bekannt für benzinsparende Modelle. Der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt konterte kühl: „Viele Autofirmen stellen die falsche Art Autos her. Wenn einer meint, der Staat solle das richten, dann meine ich, dass er sich irrt.“ Genauso gelassen hätte man auch bleiben können, als es jetzt um die Emissionen ging. Die Richtwerte waren längst klar, wenn Autofirmen also meinten, sich weiterhin nicht darum scheren zu müssen, hätte man entspannt sagen können: So? Aha. Selbst schuld.

Aber: In der Krise ist alles anders. Da sind Arbeitsplätze erst mal wichtiger, in der Krise hören wir lieber ein bisschen auf, das Klima zu schützen. Ab wie vielen Arbeitsplätzen ist uns die Umwelt eigentlich vollkommen egal? Reichen 500.000? Oder müssen dazu Unternehmen ganz dicht machen, sagen wir: 16 Zulieferer und eine große Marke? Und: Dürfen die ersten Opfer der Klimakatastrophe dann eigentlich damit rechnen, in den Hallen von Audi, BMW und Mercedes Asyl und Suppe zu bekommen?

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Auf neue Umweltrichtlinien hat die deutsche Industrie schon immer geschimpft. Aber weil Deutschland in vielen Bereichen der Umweltgesetzgebung Vorreiter war, ist Deutschland jetzt in vielen Bereichen der Umwelttechnologie Weltmarktführer. Diese Branchen sind, nebenbei bemerkt, von der Krise kaum betroffen. So kann es gehen. Auch hier sprechen wir von Arbeitsplätzen.

Das wäre die Chance, davon reden Ban Ki-Moon, UN-Generalsekretär, und Achim Steiner, Direktor des UN-Umweltprogramms, wenn sie vom „Green New Deal“ sprechen. Darüber sollten die deutschen Premium-Autohersteller nachdenken, auch in der Krise, gerade in der Krise. Stattdessen spielen sie weiterhin auf Zeit. Manche ihrer Strategen sagen hinter vorgehaltener Hand, dass der Höhepunkt der Sorge um die Umwelt, sie sagen: der Peak der Umwelthysterie, 2012 hoffentlich erreicht sei. Dann würde das Interesse an Umweltthemen abflauen, und sie könnten – nach einigen ärgerlichen Zugeständnissen – weitermachen wie bisher. Und sie hätten noch drei Jahre Zeit, auch die 120 Gramm-CO2-Grenze aufzuweichen.