Der größte Widerspruch? Die Mode selbst

Widerspruch bedeutete in der Mode bisher, dass sich These und Antithese in Wellenbewegungen ablösten. Die Zeiten sind vorbei: Jetzt entsteht die Spannung gerade daraus, dass alles jederzeit neben-, in- und übereinander existieren darf. Damit ist die Mode ganz bei sich selbst angekommen.

Peeptoes aus Spitze mit goldenem Absatz, von Christian Louboutin
Der größte Widerspruch ist natürlich die Mode selbst. Sie muss so tun, als ob sie neu wäre, und das inzwischen nicht mal mehr nur alle halbe Jahre wieder. Dank Pre-Cruise und diversen Extrakollektionen verwischen sich die Saisons im 21. Jahrhundert inzwischen derart, dass man froh sein kann, überhaupt so etwas wie eine Richtung erkennen zu können. Als Medium, dem die Selbstreferenz gewissermaßen als roter Faden eingewoben ist, leidet die Mode unter einem Innovationszwang, der nur dialektisch zu bewältigen ist.

Dabei hat das Auf und Ab aus These und Antithese genau besehen viele Vorteile: Erstens ist das, wogegen man sich in der letzen Saison entschieden hat, so schnell vergessen, dass es morgen schon wieder aktuell sein könnte. Zweitens ist nur in der Figur der Welle das Versprechen von Dauer und Halt einzulösen, nach dem sich die Mode als Paradox so sehnt: die Tatsache, dass hinter all der Hysterie, mit der sie die Oberfläche feiert, doch mehr lauert als nur das Nichts – ein flüchtiger Hauch von Schönheit vor Einbruch der Dunkelheit. Wie in jeder künstlerischen Disziplin gelingt es auch in der Mode den Meistern allein, das Prinzip, nach dem das Wesen ihrer Kunst gestrickt ist, auch zum Gegenstand und Thema ihres Schaffens zu erheben. Marc Jacobs verwebt den Widerspruch himself in seine neue Kollektion für Louis Vuitton: Wir sehen mit Juwelen besetzte Satinleggings, also veredelte Achtzigerjahre, die auf Puffärmel und jede Menge Rüschen treffen, fast hüfthohe Stiefel und Kurzmäntel, wie sie vielleicht zuletzt Laurie Anderson getragen hat, und mittendrin dann Rokoko, ein
Marie-Antoinette-Kleid. Damit steht Jacobs nicht allein: Der Modefotograf Nick Knight verriet unlängst in einem Gespräch, dass der Widerspruch seine größte Inspiration ist und wie er ihn in seinem Held Gareth Pugh verwirklicht sieht, der statt einer Modenschau seinem Publikum im März dieses Jahres einfach einen Modefilm zeigte, der gleichzeitig im Internet lief.

Vielleicht ist Mode ja dank der kommunikativen Beschleunigung der Jetztzeit im Stadium der Synchronität angelangt, konsequenter Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit der Stile nebeneinander. Das Ende der Epoche, in der ihr einzelne Menschen wie Helmut Lang oder Tom Ford den Stempel ihres Schaffens aufdrücken konnten, ist damit freilich nicht gekommen. Denn wie geht die Logik noch? Nur der Widerspruch selbst duldet keinen Widerspruch, denn er trägt ihn schon in sich. Das
bewies Marc Jacobs am Ende seiner Schau par excellence: Er winkte, ganz in Schwarz, mit Vollbart, Herrenrock und Springerstiefeln.

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Markus Gaab (Fotos)