»Das ist mehr als Essen, das ist ein Orgasmus«

Wenn die großen französischen Modehäuser derzeit etwas zu feiern haben, beauftragen sie meist einen Caterer aus London, der einen sehr französischen Namen trägt: Bertie de Rougemont. Warum gerade ihn?

SZ-Magazin: Als Sie zu Beginn des Jahres mit Ihrer Firma Cellar Society aus London zur Fashion Week nach Paris kamen, posteten Sie auf Instagram ein Foto des Eiffelturms, dazu das Hashtag #britsabroad, das sonst von Partytouristen und Fußball-Hooligans verwendet wird – als sei es eine Invasion …
Bertie de Rougemont: So was Ähnliches war es auch, zumindest eine feindliche Übernahme. Wir haben anlässlich der Couture Show das gesamte Catering für den Dior Ball gemacht, ein verrücktes, überbordendes Fest im Museé Rodin. Das war das erste Mal, dass ein französisches Modehaus auf französischem Boden einen nicht französischen Gastronomen beauftragt hat. Paris war angepisst. Und ich war so high vor lauter Serotonin wie nie zuvor: Ich wurde in Paris geboren, ging dort zur Schule, bis ich acht war. Endlich konnte ich meine britische und französische Seite vereinen. Und kürzlich rief Dior dann wieder an.

Worum ging es diesmal?

Um die Couture Party im Louvre, für 2500 Leute. Jetzt war man in Paris so richtig angepisst! Am nächsten Tag haben wir gleich noch die Haute Fourrure Show von Fendi im Théâtre des Champs-Elysées bewirtet.

Warum sind denn plötzlich Briten für die Verköstigung der Pariser Modeszene zuständig?
Das fragen sich die Köche und Caterer in Paris auch. Die halten sich ja für die Krone der Schöpfung. Seit Jahrhunderten glaubt man in Paris, in Sachen Küche, Design und Luxus sei man unschlagbar, und dann kommen irgendwelche Angelsachsen – und es sind nicht mal Barbaren, sondern sie bringen etwas ganz Kostbares mit.

Sie reden von Ihrem Essen?
Es geht nicht nur ums Essen. Wir haben in den fast zwanzig Jahren, seitdem ich Cellar Society gegründet habe, ja schon für fast alle Modemarken gearbeitet, und es hat sich herumgesprochen, dass es nicht nur fantastisch schmeckt, wenn wir kommen, sondern dass wir jeder Party etwas ganz Besonderes verleihen. Bisher fand das meiste in London statt. Dieses Jahr hat – konträr zum Brexit sozusagen – unsere internationale Expansion begonnen, Paris, Rom, Mailand. Das schwache Pfund hilft. Aber auch die Tatsache, dass wir besser sind als die anderen. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis wir das überhaupt selbst verstanden haben.

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Und was machen Sie besser?
Wir liefern nicht einfach Speisen, Getränke und Personal. Wir werden komplett zu der Modemarke, für die wir arbeiten. Wir saugen alles auf: die neue Kollektion, die Historie, das Gefühl, das Image, jedes fucking Detail.

Ein Beispiel?
Hermès eröffnete einen Laden in der Sloane Street. Danach wollten sie mit uns eine exklusive Feier veranstalten. Ein paar Hundert Meter weiter fanden wir ein leer stehendes Haus. Das haben wir für einen Monat übernommen, gemeinsam mit dem Londoner Designstudio James Plumb. Wir haben überlegt: Wofür steht Hermès? Für Beständigkeit! Handwerk! Das Pferd! Was fressen Pferde? Heu! Räuchern mit Heu gibt einen wunderbaren, dunklen Geschmack. Wir dachten an Käse, an rauchigen, rohen. An Bergkäse! Beaufort! Alles, was wir servieren würden, müsste etwas Unberührtes, Erdiges, Natürliches haben. Wir strichen das ganze Haus schwarz, von oben bis unten. Auf riesigen Feuerstellen im Haus wurde Rote Bete gekocht. Von der Decke hingen grobe Steine aus Himalajasalz, das heruntergeschabt wurde, um die Heuasche zu würzen. Und auf einem großen Holztisch lag dieser gigantische Beaufort, 65 Kilo, daneben das beste Sauerteigbrot. Die Gäste säbelten sich die Stücke vom Käse selbst ab. Dazu gab es dunkle Weine. Es war ganz anders als sonstige Fashionstore-Eröffnungen. Es gab keinen Champagner. Aber es schmeckte, es roch, es sah nach Hermès aus.

Und wie schmeckt Dior?
Am Anfang habe ich nie einen Geschmack im Kopf, auch keinen Look. Nur ein Gefühl. Für Dior wollte ich im Louvre etwas machen, das in der Eleganz der 1930er-Jahre zu Hause ist. Das war die Zeit, in der die Leute am geschmackvollsten gekleidet waren. Die Zeit, die dem Abend gehörte.

Was wollte denn Dior?
Sie wollten es vor allem sehr schnell. Fünf Wochen vor der Party haben sie sich gemeldet. Ein Abend im Garten des Musée des Arts Décoratifs, in dem zeitgleich eine Ausstellung über Christian Dior startete. In der Mode muss es immer sofort gehen, aber fünf Wochen sind extrem. Zwei Wochen gehen allein für die Budgetverhandlungen drauf. Dann berate ich mich mit meinen drei Küchenchefs und ein paar meiner 15 Event-Planer. Das war nun ein Auftrag, bei dem es weniger darum ging, neue kulinarische Dinge zu kreieren. Unter uns: Man kennt in Paris unsere Auswahl an Canapés ja ohnehin noch nicht. Es ging darum, einen perfekten Sommerabend zu garantieren. Und bei Dior ist sowieso gleich klar: keine Abenteuer!

Bar im Grünen: Für die Dior-Modenschau im Januar wurde der Garten im Pariser Musée Rodin zu einer surrealen Märchenwelt. Mittendrin: Essen und Getränke von Bertie de Rougemont.

Warum?
Alles muss in einer französischen Tradition stehen. Risotto kann es nur geben, wenn es mit Trüffeln aus dem Périgord gemacht wird. Bei ehrwürdigen Häusern ist kein Platz für Humor. Wir arbeiten ja manchmal auch mit bärtigen Barkeepern, die überall tätowiert sind, bei H&M oder Diesel muss jedes Mal etwas Neues passieren. Aber bei Dior sind Leute eingeladen, die schon überall waren, alles kennen. Die sind sensibel. Schnell enttäuscht. Aber auch schnell begeistert, wenn man ohne Aufsehen etwas Spektakuläres schafft.

Und wie macht man das?
Ich wollte, dass alles nach Understatement aussieht und trotzdem irre perfekt. Runde Silbertabletts. Darauf weiße Leinentücher, die alles aufsaugen, aber an der Bar sofort ausgetauscht werden. Zack. Es sieht immer frisch aus. Keine Patina. Alles poliert. Die Kellner sahen sich sehr ähnlich, gleich groß, gleich akkurat, alles straff, gebügelt, die Krawatten stets nachgerichtet, kein Schmuck, nichts Individuelles.

Eine schwarz-weiße Armee?
Mitternachtsblau und Weiß. Dazu eine gestrickte Seidenkrawatte, schwarze Hosen, schwarze, leicht spitze Schuhe. Wir nennen das die »Französische-Kellner-Uniform«. Der Witz war: Die brachte ein Truck aus London nach Paris!

Was wurde noch transportiert?
Alles, unsere ganze Küche, angefangen beim Spülbecken! Die Party begann um 18 Uhr, die Lastwagen fuhren um zwei Uhr nachts los. 150 von uns stiegen morgens in den Zug nach Paris, dreißig Köche, Stylisten, die Kellner, allesamt Models oder Schauspieler, von uns gecastet. Wir mieteten Hotelzimmer und nahe des Gare du Nord Büros zur Vorbereitung.

Was ist Ihre Rolle am Abend?
Alles muss so organisiert sein, dass ich nicht da sein muss. So kann ich mich auf die Emotion konzentrieren. Spürt jeder Kellner, welche Geschichte wir erzählen? Stimmen alle Kleinigkeiten? Die Zusammensetzung der Gläser auf dem Tablett? Wir hatten völlig verschiedene Gläser mitgebracht, dicke, dünne, kristallene, goldverzierte. So sah es aus, als stammten die aus einer antiken Sammlung im Louvre.

Was kam in die Gläser?
Vor allem Gin Tonic, im Weinglas. Mit meinem Liebling, Monkey 47 aus dem Schwarzwald. Der schmeckt weniger nach Gin als nach Gummibärchen, das macht ihn so gut zum Mischen, ein Spritzer Bitter, ein paar Orangenschalen, bumm! Und das Wichtigste bei einem guten Gin Tonic ist das Eis. Es darf kein Scheiß-Eis sein.

Was ist Scheiß-Eis?
Eis mit Luftblasen. Das Eis muss klar sein und ganz dicht. Es darf nicht schnell schmelzen, kein Stückchen im Drink schwimmen. Wir sägen es vor Ort zu. Kostet drei Mal so viel.

Wenn Geld da ist, den Louvre zu mieten, sollte es ja wohl am Eis nicht scheitern?
Manche Kunden schauen uns schon an, als würden wir mit Kanonen auf Spatzen schießen wollen. Aber wenn wir bei einem Event, das zwei oder drei Millionen Euro kostet, danach sagen: Mit 10 000 Euro zusätzlich für besseres Eis hätten die Drinks mehr Eindruck gemacht, erschießen die uns sofort. Davon müssen wir sie vorher überzeugen. Diese Gin Tonics gingen jedenfalls weg wie nix …

Und wurde noch gegessen?
Absolut. Es fing gleich mit einem unserer besten Canapés an: dem »Crystal Clear Langustine Taco«. Die Langusten kommen direkt aus der Pfanne. Die Taco-Schale sieht aus wie ein Stück Plastik und ist aus Papier aus Maisstärke, gerät sie mit Wasser in Kontakt, löst es sich auf.

Klingt nach Essen für Menschen, die nicht essen wollen.
Na ja, klar, wir reden hier von Gästen, die möglichst wenig Gluten, Milchprodukte oder Kohlenhydrate essen wollen. Aber diese Langusten sind noch warm, die sind knackig, das ist mehr als Essen, das ist ein Orgasmus. Allein für das Anrichten der Tacos waren fünf Köche zuständig. Und Kellner, die nichts außer diesen Tacos umhertrugen. Damit sich ein sauberer Rhythmus ergab. Tausend Tacos, zwei Minuten pro Stück, jeder Einzelne musste aussehen, als hätte man Stunden für ihn aufgewendet. Klingt das jetzt dekadent?

Schon.
Aber das ist der Grund, warum wir jetzt in Paris arbeiten. Weil wir an guten Tagen kochen wie ein Sterne-Restaurant, ja. Aber Qualität und Aufwand sind nur das eine, eine Selbstverständlichkeit. Es geht um mehr. Man will eine Chanel-Tasche nicht primär wegen der hochwertigen Produktion, sondern weil sie etwas Größeres ausstrahlt. Wir erzeugen mit unserem Essen und der Art, wie wir es präsentieren, eine Aura wie die Modemarken selbst. Jemand von Cartier sagte sogar kürzlich zu mir: Sie sind ja eine eigene Marke! Das ist natürlich Quatsch. Gut, Anna Wintour verlangt in Europa nur noch nach uns. Miuccia Prada will von uns wissen, was sie auftischen soll. Giorgio Armani will uns persönlich treffen, wenn er uns beauftragt. Michael Kors auch. Aber das ist eine kleine, spezielle Gruppe von Leuten, der unser Name etwas sagt. Wir sind keine Marke. Wir verstehen nur andere Marken sehr gut. Wenn wir selbst eine wären, wieso arbeiten wir in diesen hässlichen Gewerbehallen außerhalb Londons in Neasden, in der Nähe von Ikea?

Ja, wieso eigentlich?
Ich habe mich daran gewöhnt, mit Frau Prada zu reden, aber ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, die Verantwortung für vierzig feste Mitarbeiter zu tragen. Was, wenn Frau Prada ihr Essen doch wieder bei jemand anderem bestellt? Wir reden selten mit der Presse. Wir schalten keine Anzeigen in Bordmagazinen. Wir bleiben bescheiden. Meine Schwiegermutter ist Küchenchefin. Meine zwei Töchter helfen aus. Ich habe 1999 in einer Abstellkammer mit der Firma angefangen. Ich hatte nur 157 Pfund!

157 Pfund?
So viel kostete das Regal, in das ich die ersten alten Töpfe gestellt habe. Ich hatte meinen Job in der Musikbranche gekündigt.

Warum?
Weil ich Musik liebe, aber als Musikmanager immer das Gefühl hatte, ein Hochstapler zu sein. Ich war nicht gut. Mein Vater, ein echter Gentleman, ein durch und durch britischer Kerl, der im Krieg gegen die Japaner gekämpft und später eine viel jüngere Deutsche geheiratet hatte und schon 46 Jahre alt war, als ich geboren wurde, war ein Top-Manager beim legendären Musiklabel CBS in Europa. Ich komme aus einer eindrucksvollen Familie, in der man was Anständiges studieren musste. Habe ich getan. Hat mir nicht gefallen. Also ging ich ins Musikgeschäft, nach dem Vorbild meines Vaters. Aber das war ich nicht.

Wer waren Sie?
Ein Essens-Nerd. Auch dank meines Vaters. Der hatte die CBS-Europazentrale wegen des guten Essens nach Paris verlegt. Er nahm mich in all diese Sterne-Restaurants in ganz Frankreich mit. Ich erinnere mich an die besten Schnecken. An den Geschmack von Gougères. An meinen ersten Schluck Beaujolais nouveau, den ersten Rotwein, von dem mein Vater dachte, ich könnte ihn verstehen. Ich kann mich an jede einzelne Mahlzeit meines Lebens erinnern, es ist wie eine Manie. Ich bin viel gereist und habe fast alles gegessen. Aber bis 1999 konnte ich mir nicht vorstellen, dass Essen auch ein Beruf sein kann.

Und Mode?
Haute Couture war auch so eine Kindheitserinnerung, aber eine verblasste. Von meiner Mutter wurde – als Frau meines Vaters – in Paris erwartet, ziemlich anspruchsvoll gekleidet sein. Aber am Anfang hatte mein Catering nichts mit Mode zu tun. Wir verkauften Sandwiches in Tottenham, kochten für Firmenfeiern, für größere Agenturpartys, erste Modeketten fragten an, so wurde ich hochgereicht. Die Sprache des Essens beherrschte ich. Die Sprache der Mode musste ich erst lernen.

Und heute beherrschen Sie die?
Wenn Sie meinen, ob meine Hemden besser geschnitten sind als früher: Ja! Aber von der Modeszene bin ich immer noch irritiert bis fasziniert. Ich glaube, warum wir gut zusammenpassen, liegt nicht daran, dass ich so stilsicher bin. Sondern daran, dass ich so geschmackssicher bin. Ich weiß, wo es die besten Soleier Düsseldorfs gibt, eine Sauce Béarnaise kann mich zu Tränen rühren. Frau Prada schätzt wahrscheinlich, dass da jemand beim Thema Essen einen so genauen Kompass hat wie sie beim Thema Eleganz. Aber gerade von den Italienern und Franzosen lerne ich jedes Mal noch was dazu, sogar über das Essen.

Zum Beispiel?
Besuch von Louis Vuitton, ein Testessen für eine Boutique-Eröffnung. Ich wollte sie schon mit der Vorspeise umhauen: Steak zwischen wunderbarem Brot, darauf Ei, schwarze Trüffel. Sie sagten, so etwas Gutes hätten sie schon lange nicht gegessen. Aber vor dem Hauptgang würden sie selbstverständlich niemals Ei servieren. Über so etwas hatte ich noch nie nachgedacht. Es schmeckte einfach geil.

Das Beste, das Sie zuletzt gegessen haben?
Avocado in Mexiko. Aus irgendeinem Garten. Der Geschmack! Die Textur! So cremig. Ich esse hier keine Avocados mehr, Zeitverschwendung.

Die jungen Männer, die für ihn servieren, nennt der Chef gern seine »Cellar Boys«

Warum servieren eigentlich nur Jungs für Sie?
Ich liebe Frauen. Aber ehrlich gesagt: Die hübschesten wollen nicht kellnern. Und jede Frau, auch in Uniform, strahlt immer etwas Einzigartiges aus, etwas Persönliches. Eine Brigade von gut aussehenden Männern dagegen, streng frisiert und gekleidet, strahlt Effizienz aus, Zeitlosigkeit, Kraft. Und ja, das Publikum auf unseren Veranstaltungen sind oft Frauen oder schwule Männer, die mögen das. Um das Klischee komme ich nicht herum.

Viele Jahre kamen Sie auch nicht um die Bezeichnung »Der Hochzeits-Caterer von Kate Moss« herum.

Danke, dass Sie mich daran erinnern. Das klebt wirklich an mir. Als damals die ersten Journalisten anriefen, fühlte ich mich noch geehrt. Toll, die interessieren sich für mein Essen, bin ja auch eitel. Mir dämmerte erst später: Über die Party und die Gäste war überhaupt nichts zu erfahren. Null. Da waren die Reporter so verzweifelt, dass sie sich auf den bescheuerten Caterer stürzten.

Fotos: Mike Reynolds/Max Lacome; Mike Reynolds; Philip Sindon