Goodbye, Lenin

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Marta Gornicka, die ein Jahr lang den schwindenden kommunistischen Stil aus polnischen Wohnzimmern und Vorgärten dokumentierte.

Name: Marta Gornicka
Geboren: 1986 in Warschau
Ausbildung: MA in Modefotografie an der Universität der Künste in London; Meisterkurs bei Arno Fischer an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin
Homepage: www.martagornicka.pl

SZ-Magazin: Frau Gornicka, Sie sind selbst gebürtige Polin. Erinnern Sie einige Ihrer Aufnahmen an Ihre eigene Kindheit?
Marta Gornicka:
Ich erinnere mich an so vieles: Die bunten Plastiküberwürfe auf den Tischen, Betten, die so altmodisch aussahen, dass man nicht die geringste Lust hatte, darin zu schlafen. Oder an die Waschbecken neben den grünen Fliesen, die es auch in meiner Schule gab.

Warum haben Sie den Entschluss gefasst, ein Projekt über den vereinheitlichten Lebensstil des kommunistischen Polens zu machen?
Für meine damalige Masterarbeit bin ich nach sechs Jahren Abwesenheit zurück nach Polen gegangen und mir fiel auf, wie sehr sich das Land verändert hatte. Die meisten Gebäude waren renoviert, die alten Einrichtungsgegenstände kamen auf den Müll. Wie sollten meine Kinder irgendwann nachvollziehen können, was ich Ihnen über meine Kindheit erzählen würde? Es gab nicht einmal Fotos. Deshalb wollte ich mich auf die fotografische Suche nach dem alten Polen machen. Hinzu kam, dass ich mich viel mit den dokumentarischen Arbeiten von August Sander beschäftigt habe.

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Wo und in welchem Zeitraum wurden die Aufnahmen gemacht?
Mein Projekt dauerte genau ein Jahr und erstreckte sich über alle vier Jahreszeiten. Ich habe versucht ganz Polen abzudecken. Von Danzig bis Szklarska Poreba, also von der Küste bis in die Berge und von Ost nach West. Insgesamt war ich in 20 verschiedenen Städten.

War es schwierig noch Teile des alten Polens zu finden?
Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwer es war. Anfangs dachte ich, ich müsste auf den Dörfern suchen, doch durch die Subventionen der EU sind die fast alle erneuert worden. Mit der Zeit wurde mir klar, dass Hochhaussiedlungen in Klein- und Großstädten das beste Material bringen würden. Auch Hotels oder Kurorte mit privaten Ferienhäusern habe ich öfter besucht. Sie glauben nicht, wo ich schon übernachtet habe.

Zum Beispiel?
In Polen gibt es noch Arbeiterhotels. Lohnarbeiter reisen aus den Dörfern an, mieten sich zu viert einen Raum und wohnen dann in Städten mit viel Schwerindustrie - wie Stettin. Ich war dort auch ein paar Nächte und habe durch meine Kamera Zugang zu ihnen gefunden. Für jemanden aus akademischen Kreisen ist das wirklich eine einschneidende Erfahrung.

Wie haben die Menschen auf Sie und Ihr Projekt reagiert?

In den Wohnsiedlungen habe ich besonders ältere Polen angesprochen. Ich habe mich nicht so hübsch angezogen, damit ich die Leute nicht abschrecke. Die Menschen, die ihren Haushalt nicht verändert haben, schämen sich dafür. Sie haben mir zwar erlaubt in ihren Räumen zu fotografieren, ich durfte aber nie ein Porträt von ihnen im eigenen Wohnzimmer machen. Auf dem Markt wollte ich das Foto eines Händlers machen. Doch weil es ihm peinlich war, dass er die Äpfel mit einer alten Kinderwaage anstatt einer Digitalwaage abwog, bat er mich nicht zu fotografieren. Polen will um jeden Preis westlich sein.

Sie kommen aus der Modefotografie - finden Sie den monotonen Stil von damals ästhetisch?
Mittlerweile ja. Die Menschen haben versucht im einheitlichen Grau etwas Schönes und Individuelles zu finden. In jeder Wohnung, die ich besucht habe, gab es mindestens ein skuriles Einzelstück: ein knallbunte Lampe oder eine wild gemusterte Decke. Hauptsache, man grenzt sich von den Nachbarn ab.

Sie haben die Arbeit im Rahmen der Meisterklasse von Arno Fischer, einem der bekanntesten Fotografen der DDR, begonnen. Im September diesen Jahres verstarb er. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
Ich habe mit meiner analogen Kamera den ganzen Sommer durchgearbeitet, um ihm im Herbst unbedingt Resultate zeigen zu können. Leider kam es nicht mehr dazu. Die Arbeit mit ihm war fast spirituell. Es ging nicht so sehr um das Konzept, nicht darum, ob ein Bild wertvoll oder technisch einwandtfrei war, sondern um das, was es dem Betrachter vermittelte. Er begutachtete die Bilder sehr emotional - so etwas habe ich noch bei keinem meiner Lehrer erlebt.

Gibt es eine Aufnahme, die Ihnen besonders gut gefällt?
Der Hirsch. Er stand in einem Hinterhof in der Neustadt von Warschau. Einfach so. Ich habe ihn in allen Jahreszeiten besucht. Arno Fischer gefiel die Winteraufnahme besser, mir die im Sommer - einmal habe ich meinem Lehrer dann doch wiedersprochen.