Auf Schritt und Tritt

Mit Hightechkameras und Datenbanken lässt sich der Fußball bis ins winzigste Detail analysieren. Aber wollen wir das?

War Rudi Völler ein besserer Stürmer als Miroslav Klose? Über diese Frage könnten Fußballfans Jahre streiten, Dirk Ifsen beantwortet sie in einem Satz: »Unsere Daten zeigen, dass Klose mehr Torschüsse auflegt, seine Pässe häufiger ankommen, er öfter und zielsicherer aufs Tor schießt und mehr Chancen verwertet.« Dirk Ifsen, Vorstand von Opta Sport Daten, hat die deutsche Mannschaft der Europameisterschaft 1988 mit der heutigen Nationalelf verglichen: Nicht nur Klose schneidet besser ab, auch Verteidiger Holger Badstuber gewinnt gegen Vorgänger Jürgen Kohler in jeder Kategorie. Also ist das Nationalteam des Jahres 2012 besser als das von 1988? Ja, sagt die Statistik. Und nein, weil Statistiken nicht alles sagen.

Im Fußball ist ein Streit entbrannt zwischen Traditionalisten und Modernisten, und er wird umso erbitterter, je größer die Datenberge werden, die Firmen wie Opta, MasterCoach, Deltatre oder Impire anhäufen. Impire filmt sämtliche Spiele der Ersten und Zweiten Bundesliga mit zwei Spezialkameras, die unter dem Stadiondach montiert für jeden Spieler etwa die gelaufenen Kilometer oder die maximale Sprintgeschwindigkeit ausrechnen. Zusätzlich werden die Fernsehbilder ausgewertet: Drei Mitarbeiter markieren etwa bei Opta in Unterföhring mit erstaunlich schnellen Mausbewegungen bis zu 2000 Aktionen am Ball pro Partie. Wie sich Franck Ribéry seit 2005 entwickelt hat, kann Dirk Ifsen am Laptop in 180 verschiedenen Parametern vorführen. Oder alle Rückpässe von Philipp Lahm der letzten drei Jahre hintereinandergeschnitten als Video.

Die Grenzen der Datenerhebung sind lange nicht erreicht: Statistiker versuchen sich bei Opta bereits an Wahrscheinlichkeitsberechungen. Finanzstarke Vereine wie Borussia Dortmund überwachen ihre Spieler im Training mit GPS-Sendern und Sensoren, die Atemfrequenz und Puls messen, eingearbeitet in Schuhe oder Kleidung. Noch verbietet es der Fußballverband, diese Ermüdungsdaten in Punktspielen zu erheben, doch im Training wird bereits die B-Jugend digital erfasst.

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Als Mutterland der modernen Spielanalyse gilt England, die Technik benutzt man heute in allen großen Ligen, sogar in China und natürlich bei Länderspielen. Jede Bewegung mit oder ohne Ball wird dokumentiert und archiviert, sogar Erholungszeiten zwischen Sprints. Alles abrufbar in Echtzeit. Trainer Jürgen Klopp zeigt in der Halbzeit kurze Videoanalysen, Real Madrids José Mourinho soll seinen Angreifern Details bis zur Sprunghöhe der gegnerischen Verteidigung nennen. Bundestrainer Jogi Löw arbeitet mit der Sporthochschule Köln zusammen, die für ihn Spieldaten auswertet. Die jungen Nationalspieler sollen versessen sein auf ihre Zahlen, heißt es beim Deutschen Fußball-Bund.

Aber es gibt auch Profis, die unter vier Augen über die totale Videoüberwachung und endlose Statistikvorträge klagen. Trainer wie Markus Babbel oder Thomas Schaaf sagen, dass ihnen Bauchgefühl und Erfahrung wichtiger sind als jede Statistik. Bei der EM 2012 stößt die Analyse der Gegner zudem an Grenzen: Aus den Teilnehmerländern wie Dänemark, Polen oder der Ukraine fehlen Daten. Die Aussagekraft der Zahlenkolonnen ist ohnehin nicht unumstritten: Sportwissenschaftlern zufolge ist bei der Hälfte aller Tore der Zufall im Spiel, wie abprallende Bälle. Man darf auch nicht einfach sagen: Je mehr (Tore, Pässe, Kilometer), desto besser. Was bringen 90 Prozent gewonnene Zweikämpfe, wenn das entscheidende Laufduell zum 0:1 verloren wird?

Keine Datenbank der Welt kennt das Ego eines Arjen Robben oder die Elfmeterangst Bastian Schweinsteigers, beides kann ein Finale entscheiden. Digitale Spielanalysen lassen Teams wie Dortmund, Barcelona oder Spaniens Nationalelf immer perfekter spielen - und immer ähnlicher. Die Mauer-Taktik von Champions-League-Sieger FC Chelsea oder Griechenlands Europameister-Elf von 2004 ist statistisch gesehen ein großer Fehler. Doch all die Videoüberwachung der Fußballer verhindert zum Glück nicht
Momente des Genies oder Wahnsinns, die unvergessliche Spiele brauchen.

Dafür kann moderne Technik dem Hobbykicker endlich die Frage beantworten, ob er nicht doch das Zeug zum Profi hätte: Adidas »F50 adiZero miCoach«-Fußballschuh misst gelaufene Kilometer und Sprints, die Daten sendet er ans iPhone. Die Ergebnisse haben manches Paar Schuhe in den Keller verbannt.

Unter dem Stadiondach montierte Kameras merken sich Spieler anhand der Trikotfrabe oder Statur und messen Laufdistanz und Geschwindigkeit.

Foto: Peter Langenhahn

1988 und 2012: deutsche Nationalspieler im Vergleich

Die beiden Verteidiger Holger Badstuber (Spiele in der EM-Qualifikation 2012) und Jürgen Kohler (EM 1988)
9 Spiele, 0 Fouls (Badstuber)
4 Spiele, 11 Fouls (Kohler)

94 Ballkontakte in 90 Minuten (Badstuber)
39 Ballkontakte in 90 Minuten (Kohler)

Passgenauigkeit: 93 Prozent (Badstuber)
Passgenauigkeit: 80 Prozent (Kohler)

Gewonnene Zweikämpfe: 77 Prozent (Badstuber)
Gewonnene Zweikämpfe: 46 Prozent (Kohler)

Die beiden Stürmer Miro Klose (2012) und Rudi Völler (1988)
10 Torschussvorlagen (Klose)
0 Torschussvorlagen (Völler)

41 Ballkontakte in 90 Minuten (Klose)
29 Ballkontakte in 90 Minuten (Völler)

9 Tore in 6 Spielen (Klose)
2 Tore in 4 Spielen (Völler)

Schussgenauigkeit: 58 Prozent (Klose)
Schussgenauigkeit: 44 Prozent (Völler)

Chancenverwertung: 47 Prozent (Klose)
Chancenverwertung: 22 Prozent (Völler)

Statistik: Opta Sport Daten
Fotos: dpa
Illustration: tracab.com