Frau Delpy, haben Sie sehr große Angst vor dem Alter?
Julie Delpy: Ich? Nein, wieso?
Sie haben gerade als Regisseurin und Hauptdarstellerin einen Film über eine Gräfin im 17. Jahrhundert gedreht, die völlig besessen ist von der Angst vor dem Alter. Sie lässt Jungfrauen umbringen und wäscht sich mit deren Blut, weil sie glaubt, das könne das Altern aufhalten. Die hat es wirklich gegeben. Daraus wurde später auch die Dracula-Geschichte. Da wird Ihnen jetzt oft die Frage gestellt werden: Ist der Film Ihre Methode, mit der eigenen Angst vor dem Alter umzugehen? Ich habe nicht viel Angst vor dem Alter. Aber mich faszinieren Menschen, die nur mit ihrem Äußeren beschäftigt sind. Das hat so eine tragische Dimension, schließlich ist es immer vergebens. Sich dem Alter nicht stellen zu wollen, das ist so…so großartig aussichtslos. Und was Menschen sich antun, um so lang wie möglich jung auszusehen, hat meistens gruslige Effekte.
Das ist ja gesellschaftlich bedingt. Die Menschen werden immer älter – gleichzeitig gilt Jugend oder Jugendlichkeit als Wert, den es unbedingt zu erhalten gilt. Ja, ein großes Missverständnis, nicht wahr? Die Menschen versuchen mit allen Mitteln, älter zu werden – aber alt sein wollen sie nicht.
Gehen wir ein paar berühmte Namen durch, und Sie sagen mir, wer in Würde altert, wer eher nicht. Okay.
Catherine Deneuve. Altert gut. Klar, sie tut, was sie kann, rein äußerlich. Aber sie ist keine von den alten Puppen, die nicht zugeben wollen, dass sie nun mal 65 sind. Ich sage: würdevoll.
Karl Lagerfeld. Na, der ist so eine Kunstfigur, da ist das Altern ja schon Teil der Inszenierung. Die weißen Haare, der ewige Dandy. Bei ihm hat Alter irgendwie eine völlig andere Bedeutung als bei anderen Menschen. Eher wie ein zusätzliches Element der Show.
Wie würdevoll ist es, als älterer Herr eine Monsterdiät zu machen, nur damit man in Kleidung von Hedi Slimane passt? Das ist natürlich bizarr. Aber bitte, wenn es doch so hervorragend funktioniert. Wollen wir nicht alle schlank sein?
Mick Jagger. Tja. Eher amüsant, oder? Er tut so, als wäre er ein Teenager in seiner Rüpelphase. Aber ich nehme ihm das nicht übel. Ich glaube, »Würde« ist da einfach nicht die passende Kategorie.
Carla Bruni. Uh. Ganz, ganz schwierig. Ich sehe ja, was sie mit ihrem Gesicht angestellt hat. Sie hat das ja alles schon vor langer, langer Zeit machen lassen. Die Nase und so. Ich bin eigentlich eher frappiert von ihrer grandiosen Machtgeilheit.
Haben Sie sie schon mal getroffen? Jaja, wir kennen uns. Sie ist nett, man kann gar nichts gegen sie sagen – abgesehen davon, dass sie Sarkozy geheiratet hat, was natürlich absolut lächerlich ist. Und als Obama Präsident wurde, hat halb Frankreich gewettet, dass sie sich sofort an den ranmachen wird, hihi.
Na ja. Vielleicht liebt sie ihren Mann ja einfach. Klaaaar. Und mit Macht hat das rein gar nichts zu tun. Nun, ich könnte mir vorstellen, sie wird sich später schwertun mit dem Älterwerden.
Julie Delpy. Ach, altert ganz okay, würde ich sagen. Ist etwas runder als früher. Aber ich bin gerade zum ersten Mal Mutter geworden, da darf man zulegen.
Sie sind spät Mutter geworden. Mit 39. Schade? Oder ein Vorteil? Oh, ich bedauere das überhaupt nicht! Es ist exakt richtig so. Früher wäre ich gar nicht bereit dazu gewesen. Aber in den letzten paar Jahren habe ich sowieso fast schon so gelebt, als hätte ich ein Kind: Ich bin um zehn ins Bett gegangen, morgens um sieben wieder raus, kaum mehr ausgegangen. Also lief eigentlich alles ganz natürlich auf diesen nächsten Schritt zu.
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Wenn Sie die ganz junge Julie mit der heutigen Madame Delpy vergleichen – was hat sich am meisten verändert? Ich bin überrascht, wie zufrieden ich heute bin. Mit 19 war ich viel düsterer, depressiver. Da läuft dieses ganze Jugend-Ding, alles quält einen, alles ist so anstrengend, man weiß nicht, wohin es geht.
Man könnte auch sagen: Das ganze Leben liegt offen vor einem. Ist doch schön. Aber man ist als junger Mensch so irrsinnig selbstbezogen – schrecklich!
Sie finden es also gut, dass man nicht jung bleibt. Älter zu werden bedeutet, dass man Erfahrungen sammelt. Und vor allem: dass man Humor entwickelt. Überhaupt die bedeutendste aller Überlebenstechniken, wichtiger als Feuermachen und Fischefangen. Wenn es mir heute aus irgendeinem Grund beschissen geht, schaffe ich es, mich selbst auszulachen. Das federt Schmerz ab.
Wie lernt man das? Indem man schwere Zeiten übersteht. Und ich hatte wirklich elende Zeiten in meinem Leben. Es läuft dann eben doch auf Nietzsche raus: Was dich nicht umbringt, macht dich nur härter.
Was um Gottes willen waren denn das für Zeiten? Ein Beispiel: Während ich das Drehbuch zu Before Sunset schrieb, hat mich mein Agent gefeuert. Er fand, ich verschwende meine Zeit. Also saß ich da in Hollywood, ich hatte seit Ewigkeiten keinen erfolgreichen Film gemacht, kein Mensch wollte mit mir arbeiten, ich hatte keine Kontakte. Sagen wir so: Die Straße, die ich gehe, ist manchmal ziemlich windig. Aber sie bietet die schönere Aussicht.
Schön gesagt. Aber wie ging es dann weiter? Ich habe eisern an dem Drehbuch gearbeitet und es anschließend den Studios angeboten. Und dann wurde es verfilmt. Und als Frau muss man sich in diesem Männerbusiness ziemlich durchbeißen, um wahrgenommen zu werden.
Hätten Sie es als Mann leichter? Klar, als Regisseur auf jeden Fall! Die Leute hören einem Mann am Set eher zu, da entsteht viel schneller Autorität.
Welche Vorteile hat es, Frau zu sein? Die Leute erwarten weniger.
Wieso? Männer erwarten nicht, dass Frauen witzig sein können. Oder dass sie sich durchsetzen können. Wenn es dann aber so ist, gehen die Augenbrauen hoch und die Männer sagen: Ach, sieh mal an, nicht übel, was die draufhat.
Stellt die weltweite Finanzkrise die klassische Rollenverteilung in Frage? Es gibt Leute, die sagen, das Chaos beruhe vor allem auf männlichen Fehlern. Da ist was dran. Ich muss mir nur anschauen, wie mein Lebensgefährte mit Geld umgeht. Sorglos. Ich fühle mich nicht mal richtig wohl, wenn ich was mit einer Kreditkarte zahlen soll. Da kauf ich lieber ein altes Schrottauto, das ich bar zahlen kann. Aber die klassische Idee von männlicher Stärke wandelt sich sehr, ja. Wenn man jetzt durch Paris geht, sieht man Männer an den Ecken hocken und betteln – und man kann erkennen: Das sind Familienväter. Nicht die Clochards, die’s früher schon gab, sondern brave Kerle aus der Vorstadt, die anders nicht mehr über die Runden kommen. Gebrochene Männer.
Macht Ihnen selbst die Krise Angst? Ein bisschen, ja. Aber wenn ich ehrlich bin, gibt es im Augenblick etwas ganz anderes, was mich viel mehr beschäftigt. Meine Mutter ist gerade gestorben. In so einem Moment geht es dann doch um andere Fragen als die Weltwirtschaft, da ist man ganz auf sich selbst und seine Nächsten zurückgeworfen. Ich frage mich, wie kann ich meinem Vater helfen? Es käme mir albern vor, jetzt über meine finanzielle Situation nachzudenken.
Sie haben schon in früheren Interviews gesagt, Sie seien besessen vom Thema Tod. Warum? Weil meine Mutter schon Krebs hatte, als ich geboren wurde. Ich hatte als Kind ständig Angst, sie könnte bald sterben. Der Tod war immer präsent. Und jetzt … ist es einfach passiert. Es ist schrecklich, es so zu sagen, aber das hat etwas Befreiendes. Zugleich war der Tod so permanent da, das hat fast schon wieder Distanz erzeugt. Meine Mutter war krank, wieder gesund, krank, gesund … man gewöhnt sich dran. Irgendwann kann man sogar Scherze darüber machen. Der Tod ist schließlich viel zu gewaltig, als dass man ihm rational begegnen könnte.
Kennen Sie Thomas Bernhard? Das ist ein österreichischer Autor, der… Klar! Der ist auch in Frankreich sehr berühmt.
Von ihm stammt der Satz: Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt. Absolut richtig. Und das spiegelt auch die Ironie des Themas. Lächerlich heißt ja: klein, unwichtig im Vergleich. Es heißt aber eben auch: zum Lachen.
Da sind wir wieder beim Alter. Die Menschen haben Angst davor, weil es immer auch ein Hinweis auf unsere Sterblichkeit ist. Aber die ist so unausweichlich, dass man sie doch nur mit Humor akzeptieren kann! In meinem Film gibt es diese Szene, in der die Gräfin ihren aufgebahrten Mann betrachtet, und mitten in dieser stillen, schweren Minute kriecht aus seiner Nase eine Fliege. Tod und Lächerlichkeit – ganz nah beieinander. Meine Lieblingsszene im Theater, das waren immer die beiden Totengräber in Hamlet, die mit dem Schädel spielen. Da steckt die ganze Wahrheit drin: Du kannst der tollste Hecht sein – aber am Ende wirst auch du aussehen wie dieser Totenkopf.
Shakespeare. Drunter machen Sie es nicht? Passen Sie mal auf, ich lege noch nach! Es gibt eine Zeile in Wie es euch gefällt, die lautet: »Und so von Stund zu Stunde reifen wir / Und so von Stund zu Stunde faulen wir.« Das, ja, genau das ist das Leben.
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