Wird Ron Sexsmith je eine andere Rolle spielen als die des ewigen Geheimtipps? Zu wünschen wäre es ihm, denn die zwölf Alben, die Singer-Songwriter seit Anfang der Neunziger veröffentlicht hat, beinhalten alle exzellentes Songwriting und bittersüße Melodien, vorgetragen von einem Außenseiter, der sich mittels seiner Lieder neu erfindet – die hohe Schule des Pop. Elvis Costello war schon früh ein Fan von Sexsmith, inzwischen loben auch Paul McCartney, Elton John und Ray Davies die Songs des Kanadiers. Ich finde es vor allem bemerkenswert, dass er weiterhin die Kunst kultiviert, in seinen Liedern Geschichten zu erzählen, und habe unter anderem darüber mit ihm gesprochen, anlässlich der Veröffenltichung seines neuen Albums Long Player Late Bloomer (Cooking Vinyl).
Ron Sexsmith, fällt es Ihnen nach all den Jahren im Geschäft immer noch leicht, neue Songs zu schreiben?
Ich fand es eigentlich immer schwierig.
Dafür sind sie aber ziemlich produktiv.
Die Musik ging mir immer recht leicht von der Hand. Texte zu schreiben, finde ich schon schwieriger. Aber ich habe immer noch genug Ideen. Immer wenn ich denke, jetzt fällt mir nichts mehr ein, bekomme ich wieder ein Bündel Ideen. Die meisten Songs für mein nächstes Album sind bereits fertig.
Nutzen sie das Songschreiben, um mit persönlichen Problemen fertig zu werden?
Songs eignen sich ganz gut dafür. In den Liedern kann ich Rache für alles nehmen, was mich ärgert. Ich habe zwar auch viele gut gelaunte Songs und viele Liebeslieder geschrieben, aber auf diesem Album geht es oft um Enttäuschungen; das ist der rote Faden, der Songs wie »No Help At All« oder »Get In Line« verbindet. Dabei ist die Musik eher flott und unbekümmert, wie ein Gegenmittel zu den Texten. Auch Humor ist eine gute Verpackung für traurige Gefühle. Ich bin kein besonders emotionaler Typ – außer in meinen Liedern.
Schreiben Sie viele Songs, die sich auf konkrete Ereignisse beziehen?
Manchmal geht es mir um ein generelles Gefühl, das ich vielleicht selbst gar nicht so genau benennen kann. Oft beschäftigen mich aber tatsächlich spezifische Ereignisse so sehr, dass ich darüber einen Song schreiben möchte. Das ist leichter als die andere Variante, dann muss man sich nur noch überlegen, in welche Form man es bringen will.
Gibt es dafür ein Beispiel auf dem neuen Album?
Der Song »Michael And His Dad« handelt von der Zeit, als ich nach Toronto gezogen bin. Mein Sohn war damals zwei. Wir hatten kein Geld und haben in einer Kellerwohnung gelebt. Ich habe ihn mitgenommen, wenn ich losgegangen bin, um Arbeit zu suchen. Ich habe die Namen der Personen geändert, aber meine Erfahrungen liegen dem Song zugrunde.
»Wenn mal jemand wie Michael Bublé einen Song von dir aufnimmt, kommt natürlich Geld herein, aber zuerst holt sich der Verlag das, was er vorgestreckt hat. Alles in allem bin ich immer noch im Minus«
»Michael And His Dad« ist ein Song mit verschiedenen Charakteren, in dem eine Geschichte erzählt wird. Ich habe das Gefühl, dass solche Lieder ein bisschen aus der Mode gekommen sind. Wie sehen Sie das?
Das ist ein Zeichen unserer Zeit. Ich glaube, viele Künstler sind heute zu selbstverliebt, um story songs zu schreiben. Da geht es dann nur um ein sehr kleines Themengebiet – durch die Clubs ziehen, tanzen, was auch immer. Um story songs zu schreiben, braucht man ein anderes Hirnareal. Man muss einen Spannungsbogen entwickeln und die Charaktere lebendig machen, damit die Hörer dabei bleiben.
Sie haben schon erwähnt, dass Ihre Musik zuerst oft hell und gut gelaunt wirkt, in Wahrheit aber emotional vielschichtiger ist. Gibt es Künstler, von denen Sie diese Methode gelernt haben.
Klar! Zum Beispiel Ray Davies von den Kinks, der hat mich ziemlich beeinflusst. Oder Harry Nilsson, der sprichwörtliche »traurige Clown«. Traurige Songs können Trost spenden, wenn sie richtig gemacht sind. Ich liebe es, wenn Bing Crosby »Pennies From Heaven« singt. Er gibt dir das Gefühl, nicht allein zu sein.
Manchmal kommen Sie mir auch wie ein Crooner in der Tradition von Bing Crosby vor.
Alle meine Lieblingssänger waren auf ihre Art Crooner: Charlie Rich, Harry Nilsson, Paul McCartney. Aber Bing war der Erste, auf ihn geht alles zurück. Er und Louis Armstrong haben die Popmusik aus der Taufe gehoben. Ich liebe seinen lässigen Gesangstil; auch dadurch kann man der Musik Spannung verleihen.
Schön, dass Sie Charlie Rich erwähnen. Ich finde es bemerkenswert, dass ihn stets eine melancholische Aura umgab, sobald er den Mund aufmachte.
Ja, traurige Lieder haben ihn mehr interessiert. Er hat verschiedene Genres ausprobiert, aber seine besten Songs haben diese Traurigkeit in sich. Ich habe gerade erst einen seiner Songs aufgenommen, zusammen mit Jools Holland.
Wirklich? Welchen denn?
Wir haben eine Version von »There Won’t Be Anymore« aufgenommen. Ich weiß noch, wie ich Charlie Rich als Kind im Fernsehen gesehen habe. Er sah so cool aus – und gleichzeitig immer etwas genervt, denn er mochte es nicht, sich anzubiedern. Man kennt ihn als Countrysänger, aber seine wahre Liebe war der Jazz. Wenn man hört, wie er »Mood Indigo« oder »River Stay Away From My Door« singt, merkt man, wie viel ihm diese Musik bedeutet. Es ist ein Segen, dass er zum Ende seines Lebens noch sein letztes Album Pictures & Paintings aufnehmen konnte.
Sie haben schon mit vielen Produzenten gearbeitet. Haben Sie je daran gedacht, mal ein Album selbst zu produzieren?
Die Verantwortung wäre mir zu groß. Darum sollen sich Profis kümmern.
Selbst Bob Dylan produziert seine Alben inzwischen selbst.
Ja, aber ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war! Das letzte Album von ihm, das mir wirklich gefallen hat, war Oh Mercy. Er schreibt immer noch tolle Songs, aber die Art, wie auf seinen letzten Platten der Gesang aufgenommen wurde, gefällt mir nicht. Man kann ihn kaum verstehen.
Sie haben nie einen Hit gehabt, aber immerhin sind einige Ihrer Song von Leuten wie Rod Stewart oder Michael Bublé gecovert worden. Da müssten sie inzwischen recht wohlhabend sein.
Ich wohne immer noch zur Miete. Songwriter wie ich leben von den Vorschüssen unseres Musikverlags. Wenn mal jemand wie Michael Bublé einen Song von dir aufnimmt, kommt natürlich Geld herein, aber zuerst holt sich der Verlag das, was er vorgestreckt hat. Alles in allem bin ich immer noch im Minus. Aber ich will mich nicht beklagen. Je älter ich werde, desto besser läuft es. Kürzlich hat Emmylou Harris einen Song von mir gecovert.
Hoffen Sie immer noch auf den großen Hit?
Na klar. Ich liege deswegen nicht nachts wach, aber ich hoffe trotzdem darauf.
Ihre Erste Band hieß The Uncool. Ich möchte noch loswerden, dass ich das für einen der besten Bandnamen aller Zeiten halte!
Wir haben uns wirklich total uncool gefühlt. Damals gab es in Toronto viele Punkbands, wir waren diese schrägen Kids. Später wurde der Bassist einer dieser Punkbands Mitglied bei uns. Der sah aus wie Keith Richards – danach hat der Name nicht mehr gepasst.