»Schock deine Eltern, lies ein Buch«, hieß eine berühmte Kampagne der deutschen Bibliotheken in den Neunziger Jahren, die Jugendliche zum Lesen animieren sollte. Die Neuauflage könnte jetzt lauten: »Schock deine Follower, lies ein Buch«, jedenfalls wurden die Modelschwestern und Super-Influencer Bella und Gigi Hadid in den letzten Wochen häufiger mit Buch unter dem Arm gesehen. Ein Objekt, das die Szene nicht ganz so oft in der Heavy-Rotation hat wie, sagen wir, Smartphones, Lip Balm und Kaffeebecher, und deshalb sofort für Gesprächsstoff sorgte.
Die Vogue fragte: »Würdet ihr dem Bella- und Gigi-Hadid- Buchclub beitreten?«, die New York Post schrieb: »Die Hadids machen Bücher zum neuen heißen Accessoire 2019« und resümierte, die Hadids seien eben mehr als nur hübsche Gesichter, sie könnten – haltet die Smartphones fest – offensichtlich auch lesen. Klar, das war natürlich ein bisschen gemein. Das Klischee der hirnlosen Models ist ungefähr so dumm und alt wie das, dass die EU nur dafür gebraucht wird, den Krümmungsgrad von Salatgurken zu reglementieren.
Andererseits: Welche Lesart haben sich die Schwestern denn vorgestellt mit ihrer sicher nicht zufällig parallel stattfindenden Aktion, statt Handtaschen neuerdings Bücher mit sich herumzutragen, die nicht wie bei anderen Leseratten im Rucksack verborgen sind oder auf dem Nachtisch liegen, sondern demonstrativ in der Hand gehalten werden? Bella Hadid schirmte sich mit ihrem Stephen-King-Roman am Flughafen Charles de Gaulle auch schon mal das Gesicht vor den Fotografen ab. Vergisst man ja manchmal, wofür Bücher so alles gut sind. Und dann postete sie auf Instagram noch gleich ein hübsches Stillleben aus dem Flugzeug: Der rote Bucheinband neben der Louis-Vuitton-Murakami Tasche mit ähnlich roten Kirschen. Zufälle gibt‘s, die gibt‘s gar nicht!
Trotzdem ist es an sich natürlich lobenswert, den zusammengerechnet 70 Millionen Hadid-Followern mal, Achtung, ganz neue Seiten von sich zu zeigen. Wenn Influencer wirklich Einfluss auf das Konsumverhalten haben, wäre das jedenfalls für den darbenden amerikanischen Buchmarkt die ideale Werbeaktion gewesen. Freiexemplare sämtlicher US-Magazine und Zeitungen sind wahrscheinlich längst unterwegs, damit sich die reichweitenstarken Schwestern diese demnächst mal unter den Arm klemmen.
Und wer weiß, wenn die Follower den Trend dann nachmachen und Bücher kaufen – vielleicht gucken sie ja sogar mal rein in diese altmodischen Dinger und fangen an zu lesen. Das ist nämlich noch ungeklärt beim neuen Hadid-Buchclub: Noch bleibt es bei der Pose, beim Lesen hat man die beiden noch nie gesehen.
Und, nur mal so: Wenn sich Bella Hadid offensichtlich nicht trennen kann von Stephen Kings letztem Buch The Outsider – warum hat sie es noch nicht ausgelesen? Die Mailänder Fashion Week, wo sie mit dem Schmöker zum ersten Mal gesehen wurde, liegt vier Wochen zurück. 560 Seiten King, klar, harter Stoff, aber theoretisch machbar. Vielleicht an der Zeit, das Modell des Handbuchs etwas öfter zu wechseln. So wie bei Handtaschen.
Typischer Instagram-Kommentar: »Ist das der neue Print der Saison?«
Passender Song: »Read my mind« (The Killers)
Wird auch getragen von: Pfarrern, College-Studenten, Männern im öffentlichen Nahverkehr