Brille günstig, Brille gold, Brille Gucci. Wenn man den Vorschlägen auf Google glaubt, so sind das die beliebtesten Anfragen der Deutschen, wenn man »Brille G« in die Suchmaschine eintippt. Es gibt jedoch derzeit noch einen weiteren Trendbegriff zum Thema – und der hat mit den drei genannten so gar nichts zu tun: »Brille Gandhi«.
Das derzeitige Interesse an »Brille Gandhi« rührt daher, dass ein – mögliches – Exemplar der berühmten Nickelbrille des indischen Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi in England vor wenigen Tagen für sagenhafte 260 000 Pfund (rund 278 000 Euro) versteigert wurde. Und das, obwohl nicht einmal ganz klar ist, ob die Brille wirklich Gandhi gehört hatte – das Relikt war, eingehüllt in einen weißen Briefumschlag und halb heraushängend, in den Briefkasten des Auktionshauses East Bristol Auctions eingeworfen worden, bei Kontaktaufnahme mit dem 80-jährigen Besitzer hatte dieser berichtet, die Brille sei einst seinem Onkel von Gandhi in Südafrika geschenkt worden sein – falls sie nichts wert sei, solle man sie wegschmeißen.
Nun, Wert liegt ganz offensichtlich im – oder auf dem – Auge des Betrachters. Für den Auktionsgewinner, einen amerikanischen Sammler, betrug dieser eine Viertelmillion, für Gandhi selbst (wenn er sie denn jemals trug) bedeute seine Brille wohl vor allem klare Sicht: ein eigentlich unbezahlbares Gut. Der monetäre Wert dürfte dem uneitlen Gandhi dagegen recht egal gewesen sein, für seine Gesamterscheinung und Wiedererkennung war dieser jedoch immens. Die Brille wurde zu seinem »modischen« Markenzeichen – auch, oder gerade weil, er sonst wenig trug.
Lennon war stark kurzsichtig, während der meisten Zeit seiner Beatles-Jahre aber zu eitel, Brille zu tragen
Gandhi befindet sich bester Gesellschaft. Karl Lagerfeld, Elton John, Heino, Anastasia, der Dalai Lama oder die Blues Brothers – sie alle sind oder waren prominente BrillenträgerInnen, die man oft mit einem ganz bestimmten Modell verbindet. Ghandis präferierte Form, die schmucklose, kreisrunde Metallbrille, passte perfekt zum minimalistischen Lebensstil des Pazifisten und fand auch später noch zahlreiche Anhänger in Kreisen, die sich politischen Ideen und ihren Visionen einer besseren Welt verschrieben.
Inmitten der 68er-Bewegung wurde die runde Nickelbrille dank Trägern wie Rainer Langhans oder Fritz Teufel zum Symbol einer sozialistischen Weltansicht – die diese allerdings mit weniger friedlichen Mitteln als ihr Brillen-Vorbild umzusetzen versuchten. Währenddessen veranstaltete der wohl berühmteste Träger der Nickelbrille, John Lennon, zusammen mit Ehefrau Yoko Ono seine »Bed-Ins for Peace« als friedlichen Protest für den Weltfrieden. Lennon war stark kurzsichtig, während seiner Anfangsjahre bei den Beatles aber zu eitel, Brille zu tragen – erst als er 1966 zur Vorbereitung seiner Rolle im Anti-Kriegsfilm »Wie ich den Krieg gewann« eine zugeschickt bekam, freundete er sich damit an und machte sie zu seinem Markenzeichen.
Die eher linke, freiheitsliebende Karriere der Nickelbrille ging auch später weiter, an Trägern wie Ozzy Osbourne, Harry Rowohlt, Peter Lustig, Harry Potter oder Gregor Gysi – spätestens Karl-Theodor zu Guttenberg setzte ihr aber ein Ende. Kurz nach dem Aus von dessen politischer Karriere im Jahr 2011 entwickelte sich auf den Laufstegen außerdem der sogenannte Nerd-Chic (etwa dank Mark Jacobs, Gucci oder Prada), der einst als »Kassengestelle« abgetane Sehhilfen zum Must-have erhob. Die Brillenmode wurde drahtiger, metallischer und runder und deren Trägerinnen endlich auch weiblicher. In den letzten Jahren zeigten sich etwa die Models und Influencer Kendall Jenner und Emily Ratajkowski, Schauspielerin Zendaya oder Sängerin Lena-Meyer-Landrut mit Modellen im Gandhi-Stil.
Auch dank der Verbreitung günstiger, aber designmäßig anspruchsvoller Budget-Brillen-Anbieter wie Warby Parker, Ace & Tate oder Viu erfuhren Brillen per se einen neuen Aufschwung als Modeaccessoire, heute laufen einem ganze Univiertel mit runden Nickelbrillen entgegen. Ob deren TrägerInnen damit irgendeine politische Gesinnung oder friedliche Absicht ausdrücken möchten? Wohl kaum. Aber Gandhi dürfte mit der Demokratisierung seines Lieblingsmodells sicher zufrieden sein.
Wird getragen von: Gandhi, Harry Potter, John Lennon, Peter Lustig, Martin Semmelrogge, Karl-Theodor zu Guttenberg, Kendall Jenner uvm.
Wird getragen mit: Einst: sehr wenig, dann: langem Haar und Kippe, heute: was gerade trendy ist
Einzig wahre Auszeichnung: Die Wahl zum »Brillenträger des Jahres«