Wieder die alte Masche

Lange war die Damenstrumpfhose in der Mode verpönt, nun ist sie wieder da. Aber warum sind die Strümpfe im Alltag nie so erotisch wie in Film und Werbung und kneifen eher, statt zu verführen?

Fußfesseln: Naomi Campbell bei der Herbstschau von Alexander McQueen am 12. Oktober in London.

Foto: Getty Images

In der Theorie ist das natürlich eine hocherotische Sache. Dieses langsame Aufrollen am leicht abgewinkelten Bein, bis das hübsche Nichts wie angegossen auf der Haut sitzt. So wie Kim Basinger Ende der Achtziger in den Golden-Lady-Spots, die Männer reihenweise um den Verstand brachte (und heute jede halbwegs woke Frau auf die Barrikaden bringen würde). Beine, die mit 20 DEN plötzlich viel eleganter, glatter sowieso und womöglich sogar sexy erscheinen. (DEN ist übrigens die Maßeinheit, mit der die Garnstärke berechnet wird. Je höher die DEN-Zahl, desto blickdichter eine Strumpfhose.) Vor allem, wenn es sich um Netzstrumpfhosen handelt, obwohl die erotische Assoziationskette von Fischfang zu vergitterten Beinen bis heute nicht so ganz klar ist.

In der Praxis dagegen sind und bleiben Strumpfhosen eine ewige Herausforderung. Die richtige Größe zu finden, fällt den meisten immer noch schwerer, als im Supermarkt eine reife Ananas zu identifizieren. Entweder schneidet sie am Bauch ein oder rollt sich wie eine Luftballonschlauch nach unten. Weder das eine noch das andere fühlt sich irgendwie verführerisch an. Wer für das Etikettendesign der Drogeriemarkt-Ware verantwortlich ist, hat offensichtlich auch nicht das geringste Interesse, diesen Umstand zu ändern. Und warum eigentlich hat man immer, aber wirklich immer, wenn man eine Strumpfhose anziehen will, sich gerade stümperhaft die Fingernägel geschnitten? Laufmaschen sind dann garantiert.

Gelegentlich werden sie sogar politisch instrumentalisiert: Als Meghan Markle kurz nach ihrer Hochzeit mit nudefarbenen Strümpfen auf einem Empfang gesichtet wurde, legte die englischen Presse das sogleich als Unterjochung in Nylon aus – ihre vorbildhafte Schwägerin geht schließlich, egal bei welchem Wetter, so gut wie nie ohne vor die Tür. Kurz darauf wurde Markle mit demonstrativ nackten Beinen zum Kleid gesehen.

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Die Logo-, Pünktchen- oder Netz-Strumpfhose ist quasi das Bein-Tattoo der unbeschriebenen Frau

Doch egal wie elastisch die eigenen Vorlieben – wer ab Herbst nicht nur lange Hosen tragen will, kommt an Strumpfhosen nicht vorbei. Modisch ist das mal mehr, mal weniger angesagt, aber deutet man die Zeichen da draußen und auf dem Laufsteg richtig, steht uns dieses Jahr ein äußerst semi-transparenter Winter bevor.

Die Sängerin Adele zeigt in der aktuellen britischen Vogue nicht nur sehr viel Dekolleté, sondern – das wäre unter all den Balkonen fast untergegangen – auch mehrmals schwarze Nylonstrümpfe, einmal sogar mit Punkten. Die galten bis vor kurzem noch als Inbegriff der Spießigkeit, aber seit Marken wie Chanel, Gucci oder Fendi über und über mit Logos betupfte Strumpfhosen zum Trend erklärten, darf die gepunktete All-Over-Ur-Version auch wieder ans Bein. Die Schauspielerin Tracee Ellis Ross postete kürzlich auf Instagram Fotos von sich mit Tupfen-Tights, Rihanna feierte Pride-Day in halterlosen Strümpfen (noch so eine Herausforderung) mit Regenbogenbündchen, Naomi Campbell trug bei der Show von Alexander McQueen gerade üppig mit Schmuck behangene Strumpfhosen auf dem Laufsteg. Mehr los am Bein war selten.

Das hat einerseits natürlich mit Trends im Allgemeinen und Saumlängen im Besonderen zu tun. Wie viel Nylon zu sehen ist, wenn lange Röcke zu hohen Stiefeln kombiniert werden und Frauen bevorzugt Anzug oder Jeans mit Blazer tragen, kann sich jeder selbst ausrechnen. Jetzt allerdings werden die Röcke wieder kürzer. Und zwar so kurz, dass jede Variante mit verstärktem Gesäßbereich gleich mal aussortiert werden kann. Bei Saint Laurent gab es in der aktuellen Herbstkollektion kaum ein Model, das nicht in halbdurchsichtigen schwarzen Strumpfhosen steckte. Bei Chanels Resort Collection war es ähnlich, bei Fendi lugten weiterhin FF-Tights unter Mänteln hervor. Damit wäre das Ganzkörper-Branding endlich perfekt: Von Logo-Zahnschmuck über Logo-Nagellack bis zur Logo-Tapete am Bein.

Wirklich irritierend wirkt so viel Gedöns am Bein seltsamerweise nicht. Wahrscheinlich haben sich so viele Menschen in den letzten Jahren an den Waden und Oberschenkeln tätowieren lassen, dass sich das Auge bereits daran gewöhnt hat. Auf vielen Beinen, vor allem Männerbeinen, ist ja umgerechnet längst so viel schwarze Tinte verteilt wie in 40 DEN. Die Logo-, Pünktchen- oder Netz-Strumpfhose ist quasi das Bein-Tattoo der unbeschriebenen Frau. Großflächig Tätowierte hingegen müssten zur blickdichten Variante greifen, weil Schrift über Schrift oder Netz über Tribal die reinste Muster-Kakophonie ergibt.

Aber der aufmerksame Leser hat natürlich längst gemerkt: Von 80 DEN war hier nie die Rede. Modisch steht davon nämlich rein gar nichts auf dem Plan für diesen Winter. Bleibt nur Hose tragen. Oder beinhart frieren.

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