Überhangsjacke

Auf dem Roten Teppich sieht man derzeit ein interessantes Modephänomen: Frauen ziehen ihren Blazer oder Mantel nicht an, sondern hängen ihn locker über die Schultern. Ist das »Coat Slinging« Ausdruck eines neuen Feminismus? 

Blake Lively, Melania Trump und Julianne Moore tragen's locker.

Fotos: AFP/Reuters/Getty Images

Beliebte Filmszene aus den Achtzigern: Die Frau fröstelt, der Mann legt der viel zu dünn Angezogenen heldenhaft sein Jackett oder seinen Mantel über die zarten Schultern. Meistens legt er seinen Arm gleich mit dazu, weil es so noch ein bisschen mehr wärmt und beschützt. Außerdem rutscht die Überhangsjacke ja sonst ständig runter, wovon nun wirklich niemand etwas hat, außer einer ordentlichen Erkältung.

Womöglich ist das, was sich da draußen seit einer Weile beobachten lässt, also ein weiteres Zeichen für einen neuen Feminismus: Frauen legen sich jetzt einfach selbst Jacken und Mäntel um die Schulter. Sie brauchen keinen Mann mehr dafür und schon gar nicht dessen Tweedjackett oder den alten Dufflecoat, der nun wirklich null zu dem Seidenkleid darunter passt. Sie nehmen ihren eigenen Blazer, um ihn nicht anzuziehen.

Einen Fachbegriff dafür gibt es natürlich längst. »Coat Slinging« heißt das Modephänomen, sich nur etwas über die Schultern zu werfen, statt der Armlänge nach hineinzuschlüpfen. Blake Lively setzte auf Diorkleid und Diorjacke kürzlich noch einen militarygrünen Gabardinemantel oben drauf, Julianne Moore hängt häufig schwarze Blazer über und Melania Trump, die den Afrika-Trip vergangene Woche demonstrativ allein schulterte, griff ebenfalls zu diesem Stilmittel. Sichtlich befreit? Oder was genau ist hier die Aussage?

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Zunächst einmal muss man dieses Nicht-Tragen tragen können. Wärmer als das halbe Cape von Sankt Martin ist diese Variante nämlich nicht, vorne und an den Seiten zieht es ordentlich rein. »Coat Slinger« sind also meistens Menschen, die nicht wirklich lange draußen rumlaufen, sondern immer nur auf dem Sprung von einem warmen Ort zum nächsten sind. Vogue-Redakteurinnen zwischen Limousine und Modenschau, Schauspielerinnen zwischen Photocall und Filmpremiere, Kardashians zwischen – na, was die halt so machen.

Warum das Umhängen so beliebt ist: Man kann sowohl seinen tollen Mantel/Blazer präsentieren (und sich zumindest augenscheinlich den klimatischen Bedingungen anpassen), ohne das sorgsam ausgewählte Kleid oder die Bluse darunter vollkommen zu verdecken. Man zeigt gewissermaßen zwei Layer mit nur einem Auftritt. Außerdem macht so ein Aufsatz breite Schultern und verschluckt gleichzeitig die Taille, was eine gut kaschierte Trapez-Statur ergibt.

Nur bewegen kann man sich dummerweise nicht. Freunde umarmen, Bier trinken, herzhaft lachen und den Kopf in den Nacken werfen – fällt alles aus. Sonst wird aus »Coat Slinging« ziemlisch schnell »Coat Sliding«. Also stehen die Frauen leicht verkrampft da und halten mit den Fingerspitzen das Revers fest. Vornehm soll das rüberkommen, über jede Knopfleiste erhaben. Womöglich werden die meisten trotzdem denken, dass da jemand einfach zu blöd ist, das Ärmelloch zu finden.

Wird auch getragen von: Anna Wintour, Meghan Markle, Victoria Beckham
Wird nie getragen mit: Rucksack oder Schultertasche
Typischer Instagram-Kommentar: »Heute wieder locker drauf?«