O wie Obama

Die Wächter der klassischen Medien sind empört: Der mächtigste Mann der Welt steht einem 26-jährigen Blogger Rede und Antwort.

Wo er auftritt, eilt Barack Obama der Ruf voraus, ein Agent des Wandels und des Fortschritts zu sein. Richtig, er ist der erste bedeutende Staatsmann, der das Internet versteht und es zum zentralen Instrument seiner Politik macht. Sein Heer von Helfern und Spendensammlern in Amerikas Provinzen zählt inzwischen zehn bis zwölf Millionen Mitglieder – und sie alle kommunizieren und diskutieren mithilfe von Blogs, Twitter, Facebook. Zeitungen nehmen diese politischen Aktivisten nur zur Hand, um zu verstehen, was die alte Generation über die Ereignisse von gestern denkt – und um die besten Artikel kostenlos auf ihren Websites zu zitieren.

Keine Überraschung also, dass Obama einen Mitarbeiter des einflussreichsten politischen Blogs Huffington Post in das Mediencorps des Weißen Hauses bestellte. Während seiner ersten Pressekonferenz am 9. Februar fragte der Präsident: »Wo sitzt Sam? Sam Stein, Huffington Post?« Es erhob sich ein sehr jung aussehender Mann und stellte mit ruhiger Stimme eine sehr pointierte Frage: Habe Obama vor, wollte Stein wissen, dem Gesetzesentwurf von Senator Patrick Leahy aus Vermont zu folgen? Der hatte eine Untersuchungskommission gefordert, die die Machenschaften der Regierung Bush auf Verfassungsbruch überprüfen soll. Obama wich aus, denn eine klare Antwort hätte entweder seine Anhänger oder seine Gegner gegen ihn aufgebracht. Nichts ist ihm derzeit wichtiger, als die Ruhe im Land zu bewahren. Dann war Michael Fletcher von der einst für ihren Enthüllungsjournalismus bekannten Washington Post an der Reihe. Als wolle er den Bedeutungsverlust der alten Medien verdeutlichen, stellte er eine Frage zum Baseball: »Herr Präsident, was denken Sie über die Steroid-Probleme von Alex Rodriguez?« Einige Publikationen, die keine Frage an Obama richten durften: Wall Street Journal, Newsweek, Time, Chicago Tribune.

Im Paralleluniversum der Blogger kannte die Begeisterung über Obama und Stein keine Grenzen. Die beiden hätten Geschichte geschrieben, eine Revolution gestartet, den Weg in eine bessere Zukunft gewiesen. Dass dieser Präsident die Huffington Post dem Wall Street Journal vorzieht, verzückte selbst konservative Blogs wie den Drudge Report: »Ein Traum wird wahr.« Und die New York Times erkannte: »Obamas Entscheidung stellt einen weiteren Erdrutsch in der sich immer schneller verändernden Medienlandschaft dar.« Stein ging auf Tournee durchs amerikanische Politfernsehen und gab eine glänzende Figur ab: 26 Jahre, von den feinsten Universitäten ausgebildet, mit einiger Erfahrung als Reporter bei New York Daily News und Newsweek. Humor besitzt er außerdem.

Meistgelesen diese Woche:

Arianna Huffington, die Gründerin der HuffPo, kann sich inzwischen leisten, seriöse Journalisten zu bezahlen. Am 9. Mai 2005 öffnete sie die Website als Forum für ihre liberalen Ansichten. Vier Jahre später besuchen monatlich neun Millionen Menschen die Seite und machen die Huffington Post zum Marktführer. Werbeflächen verkaufen sich gut und mit 15 Millionen Dollar Spendeneinnahmen finanziert Huffington demnächst ein Programm für investigativen Journalismus. Sie sagt: »In den klassischen Medien kommt diese Arbeit zu kurz.«

Die sogenannte Blogosphäre irrte allerdings in einem Punkt. Nicht Obama gebührt die Ehre, als erster Präsident einem Blogger eine Frage abzunehmen. Es war George W. Bush, der am 26. Januar 2005 Jeff Gannon von den Talon News (die niemand im Pressecorps kannte) aufrief. Gannon fragte, ob es noch Sinn habe, mit den Demokraten zu reden, weil die ja offensichtlich den Verstand verloren hätten. Bald stellte sich heraus, dass Gannon kein Journalist war, sondern ein republikanischer Aktivist, der eingeschleust wurde, um Bush mit dankbaren Fragen zu beliefern. Sein Geld verdiente Gannon zuvor als Callboy im Soldatenkostüm – tolle Bilder von ihm gab es damals auf hotmilitarystud.com zu sehen.

Gannon und Bush taugten nicht als Symbolfiguren für ein neues Medienzeitalter. Nun arbeiten Sam Stein und Barack Obama an ihrer Stelle – kein Blogger könnte sich glaubwürdigere Idole wünschen als diese beiden.

Lars Jensen, 36, arbeitet seit vielen Jahren in New York als Autor für das »Süddeutsche Zeitung Magazin«, »Stern« und »Weltwoche«.

Illustration: Christoph Niemann