In den meisten Hotelzimmern befindet sich die Minibar unterhalb des Fernsehers. Diese Kombination hat ihre Logik. Denn die beiden Kästen übernehmen eine vergleichbare Aufgabe: Beide liefern dem Fremden einen vertrauten Bestand – das eine Mal an Bildern, das andere Mal an Getränken. Nach der Ankunft in einem Business-Hotel in Ankara, Asunción oder Kuala Lumpur die Nachrichten ansehen und aus der Minibar eine Coca-Cola nehmen: Das ist für den weltweit operierenden Geschäftsreisenden der kurze Moment der Orientierung in einer unbekannten Stadt.Die Verführungskraft jeder Minibar hat zuallererst mit ihrem Sortiment zu tun, mit der besonderen Form der Flaschen, deren Größe sich umgekehrt proportional zu ihrem Preis verhält. Es gibt Getränkehersteller, die eigens für die Minibar konzipierte Flaschentypen entwickeln. Jeder Hotelgast kennt den schönen Anblick der wohlgeordneten Produkte, deren Marken ihm zwar bekannt, deren Aufmachungen ihm aber neu sind. Man nimmt den überteuerten Preis in Kauf, nicht zuletzt um die immer ein wenig biedere Geste zu vermeiden, mit einer im Geschäft gekauften Literflasche Mineralwasser durchs Hotel zu gehen. Das größte Versprechen der Minibar besteht aber darin, dass sie eine der ganz wenigen Einrichtungen ist, die dem Kunden unbegrenzten Kredit gewähren, die Konsum gestatten, ohne dass man die Rechnung an Ort und Stelle begleichen müsste. Die Kreditwürdigkeit des Hotelgastes wurde bereits unten an der Rezeption überprüft; im Zimmer wird ihm Vertrauen geschenkt. Daher erweckt das Sortiment immer auch die Illusion von freier Verfügbarkeit. Die Minibar regt zu dem an, was im Wirtschaftsjargon »Impulskauf« heißt. Sie setzt auf einen spontanen Reiz: dass der Gast spätabends, beim Fernsehen im Bett, sich eine Tüte Nüsse holt, eine Flasche Bier und dann noch eine. Bestärkt wird dieser Impuls von dem Restglauben, dass das Erworbene vielleicht doch nicht auf der Zimmerrechnung auftauchen könnte oder dass man sich beim Auschecken dazu entscheiden würde, auf die obligatorische Frage – »Haben Sie noch etwas aus der Minibar gehabt?« – nicht die Wahrheit zu sagen.All diese Überlegungen jedoch sind durch die jüngste Minibar-Technologie obsolet geworden. Denn die neuen Modelle sind nichts als ein einziger Versuch, jede Art von Vertrauen in optimierte Kontrolle umzuwandeln. Vor einigen Jahren ging die Anzahl von Minibar-Bestellungen stark zurück, weil sich der Betrieb für die Hotelketten nicht mehr lohnte; die Überprüfung des Bestands in den Zimmern kostete zu viel Personal, die nicht korrekt abgerechneten Produkte zu viel Geld. Die Wende brachte vor drei, vier Jahren die Entwicklung von elektronisch überwachten Geräten namens »E-Fridge« oder »Smartcube«, die in den größeren Hotels mittlerweile Standard sind. In diesen Minibars sorgen Sensoren unter den Flaschen dafür, dass der aktuelle Bestand in den Zimmern auf dem Hotelcomputer jederzeit abrufbar ist, wodurch das Auffüllen nur noch einen Bruchteil der Zeit in Anspruch nimmt. Zudem ist die Möglichkeit des Betrugs ausgeschlossen: Jedem Gast, der eine herausgenommene Flasche nicht nach dreißig Sekunden zurückstellt, wird das Produkt in Rechnung gestellt. Heimliches Entwenden oder Wiederauffüllen ist nicht mehr möglich. Wenn man den Pressemeldun-gen der letzten Zeit glauben darf, verändert sich die Funktion der Minibar gerade erheblich. Nicht mehr allein gekühlte Getränke und Snacks hält sie bereit, sondern, wie es in Hotels der Ritz-Carlton-Gruppe schon üblich ist, eine Anzahl anderer, auf den Zimmergast abgestimmter Produkte: für allein reisende Frauen Lippenstift, Nagellackentferner, Strumpfhosen; für Männer etwa schwarze Socken. Vierzig Jahre nachdem die deutsche Firma Siegas ihre ersten Minibars an Hotels verkaufte, werden sie nicht mehr als einfacher Kühlschrank für den Schluck Bier vor dem Schlafengehen angesehen. Eher scheint sich Rem Koolhaas’ bekannte These, dass der Shopping-Gedanke mittlerweile in alle möglichen Räume eingesickert ist, auch im Hotelzimmer zu bewahrheiten. Die Minibar ist auf dem Weg, ein elektronisch regulierter Kleinstsupermarkt zu werden.