»Diese Frau hat sich 40 Jahre lang geplagt«

Stefan Schmiedl arbeitet als Schönheitschirurg in München. Der Fall seines Lebens handelt von einer Frau, die sich im hohen Alter den Bauch straffen ließ.

»Schön ist, wenn sich der Patient wohlfühlt«, sagt Stefan Schmiedl. Die Haut seiner Patientin hing wie eine Schürze zwölf Zentimeter weit herunter und baumelte über dem Schambereich. Damit hat sie sich 40 Jahre lang unwohl gefühlt.

Illustration: Lina Müller

SZ-Magazin: Weshalb sind Sie Schönheitschirurg geworden, Herr Schmiedl?
Dr. Stefan Schmiedl (48): Noch vor dem Studium habe ich bei einem Kieferchirurgen hospitiert. Als er einmal bei einem Patienten Hautkrebs an der Lippe entfernte, dachte ich mir sofort, dass ich so etwas auch machen möchte. Mir gefiel, dass man sichtbar eine Wunde heilt und einen Körper wiederherstellt. Ein plastischer Chirurg macht etwas wieder ganz, was kaputt, zerstört, zerfressen ist. Oder was nicht schön ist.

Was bedeutet Schönheit für Sie?
Ich finde diesen Begriff komisch. Bei dem Wort »Schönheit« hat man das Bild der perfekten, aus Marmor gemeißelten Statue im Kopf. Aber das ist ja nicht unbedingt schön. Forscher fanden heraus, dass Menschen komplett symmetrische Gesichter sogar als unschön wahrnehmen. Es braucht immer einen Bruch und Individualität. Aus professioneller Sicht würde ich sagen, schön ist, wenn sich der Patient wohlfühlt.

Sollte sich ein Mensch nicht auch trotz eines Makels wohlfühlen können?
Zu sagen, man müsse sich so annehmen, wie man ist, ist ein sehr deutscher, sauertöpfischer Ansatz. So nach dem protestantischen Motto: »Du musst dein Los ertragen«. Da reden sich immer die leicht, die die Normen erfüllen. Ich trage dazu bei, dass sich Menschen in der Gesellschaft wieder wohl und akzeptiert fühlen. Natürlich geht es bei so einer Operation nicht ums Überleben, sondern darum Lebensqualität wiederherzustellen. Und deshalb hat mich dieser eine Fall einer 72-Jährigen so bewegt.

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»Seit 40 Jahren hat sie ihren Bauch niemanden mehr gezeigt«

Erzählen Sie davon.
Vor ein paar Jahren brachte eine Tochter ihre Mama hierher, weil sie nicht mehr mitansehen konnte, wie sie sich plagt. Die Mutter hatte einen ganz schlimmen Schwangerschaftsbauch. Da hing die Haut wie eine Schürze zwölf Zentimeter weit runter und baumelte über dem Schambereich. Das passiert, wenn sich die Bauchdecke in der Schwangerschaft überdehnt und danach ausgeleiert ist. Das Besondere in dem Fall war, dass die Mutter 72 und die Tochter 40 Jahre alt war. Normalerweise sind Patientinnen, die mit so etwas zu mir kommen, Ende 30, haben zwei, drei Kinder und sagen: »Ich halte es nicht mehr aus, dass ich immer noch ständig gefragt werde, ob ich schon wieder schwanger bin«. Das ist die klassische Klientel. Aber diese Frau hat sich 40 Jahre lang geplagt. Und nach der OP veränderte sich ihr Leben komplett.

Inwiefern hat sie sich geplagt?
Seit 40 Jahren hat sie ihren Bauch niemandem mehr gezeigt. Auch ihrem Mann nicht, weil sie sich so schämte. Dabei war sie sonst nicht dick. Sie war eine große, elegante, eloquente Frau, die wesentlich jünger und agiler aussah als Anfang 70. Sie kam zu mir in Bluse, einem dunkelblauen Rock, Pumps, eingedrehtes, aschblondes Haar. Das war eine Frau, die etwas dargestellt hat. Sie hätte auch Bankberaterin sein können, war aber Hausfrau. Und ihr Mann war ein hoher Beamter, sie hatten eine Tochter, ein Einfamilienhaus in München. Solide obere Mittelschicht würde ich sagen – schon ein bisschen was Besseres, aber auch nicht überkandidelt. Aber als es dann um ihren Bauch ging, wurde sie plötzlich ganz still. Sie schämte sich so für dieses Ding, das nicht zu ihr gehörte, was auch nicht zu ihr passte. Jahrelang trug sie nur weite Sackkleider. Zum Baden ging sie gar nicht mehr und wenn, dann nur im Badeanzug. Und auch in ihrer Ehe war es, was ich so rausgehört habe, schwierig.

Hat sie die Operation für ihren Mann gemacht?
Den Mann störte der Bauch gar nicht. Das ist übrigens oft so. Viele meiner Patientinnen lassen etwas machen, wenn die Männer auf Geschäftsreise sind oder sie zwacken das Geld so ab, dass er es nicht mitbekommt, weil sie sagen: »Ich habe kein Bock auf Diskussionen. Der sagt eh, das brauche ich nicht. Ich mache das für mich.« Auch bei der 72-Jährigen wusste der Mann nicht, dass sie kommt. Aber er kam drei Wochen später mit zu einer Nachuntersuchung. Da hatten beide ein Lachen in den Augen und haben gesagt: »Sie wissen gar nicht, wie sich unser Leben geändert hat, wie viel gelöster, befreiter und wie viel schöner es bei uns Zuhause jetzt ist.«

Sie meinen, das Paar hatte dann wieder Sex?
Das haben sie so explizit nicht gesagt und zu der Zeit hätten sie eigentlich auch noch nicht gedurft, weil man nach so einer OP sechs Wochen warten muss, damit die Wunde nicht reißt, aber so, wie die aussahen, glaube ich schon.

Hätte man dem Paar nicht anders helfen können – zum Beispiel mit einer Paartherapie?
Nein – sie hatte ja kein psychisches Problem, sondern ein manifestes körperliches. Egal, was sie angezogen hat, war da etwas, was nicht zu ihr gehörte. Und der Mann hat sie nie dazu gedrängt, aber natürlich war er froh, dass es seiner Frau danach besser ging. Es geht nie gut, wenn man so eine OP für jemand anderen macht. Das bereut man am Ende oft.

»Wenn sich hinterher jemand fragt: »Hat sie vielleicht…?«, dann ist es schon oft zu viel«

Wie oft kommt es vor, Patienten eine OP bereuen?
Eher sehr selten. Ich habe vier Frauen Silikonimplantate, die sie sich bei einem anderen Arzt in die Brust haben setzen lassen, wieder entfernt. Eine kam hier an mit Rastalocken und barfuß, so ganz natürlich. Da passte das Silikon einfach nicht mehr zum Lifestyle. Bei zweien glaube ich, dass sie damit jemanden gefallen wollten – und dann als sich die Beziehung als doch nicht tragfähig erwiesen hat, musste ein Cut her.

Fragen Sie nach, warum sich jemand operieren lassen möchte?
Wir sind nicht im Beichtstuhl oder vor Gericht. Ich finde es wichtig, dass sich ein Patient für seine Wünsche nicht rechtfertigen oder gar schämen muss. Vor einer OP überlegen wir gemeinsam, was möglich ist. Aber tatsächlich mache ich nicht alles. Vor einem halben Jahr war zum Beispiel eine Dame um die 50 mit ihrem Freund da, die sich für eine Brustvergrößerung interessierte. Sie war wahnsinnig schlank, deshalb war ich für ein eher kleineres Implantat. Denn eigentlich sollen andere eine Operation nicht bemerken. Wenn sich hinterher jemand fragt: »Hat sie vielleicht…?«, dann ist es schon oft zu viel. Jedenfalls sagt sie zu dem Mann: »Das ist dir zu klein oder?« Er antwortet: »Schon.« Und zeigt mir auf seinem goldenen Handy ein Bild von einer Frau mit zwei so Fußball großen Brüsten – ein halbes Kilo pro Seite. Das war seine letzte Freundin. Ich fand das furchtbar. Sie sollte diesen Mann so schnell, wie es geht, loswerden. Am Ende ist jeder seine Wege gegangen.

»Meine jüngste Patientin war nicht einmal ein Jahr alt, hatte ein deformiertes Gesicht. Meine älteste war 106 und hatte einen großen Hautkrebs am Hals«

Wie viele Patienten kommen zu Ihnen?
In einer Sprechstunde sind manchmal um die 20 da. Operationen mache ich vielleicht so drei, vier am Tag. Zwei Drittel kommt regelmäßig – für bisschen Botox, bisschen Filler, um so aussehenstechnisch auf einem stabilen Niveau zu bleiben. Meine jüngste Patientin war nicht einmal ein Jahr alt, hatte ein deformiertes Gesicht. Meine älteste war 106 und hatte einen großen Hautkrebs am Hals. Viele meiner Patientinnen haben Brustkrebs überlebt und sagen, dass sie jetzt einmal um sich kümmern möchten.

Warum ist Ihnen unter all diesen Patienten die 72-Jährige so gut in Erinnerung geblieben?
Weil sie so spät im Leben das Ruder herumgerissen hat und dann doch noch glücklich geworden ist. Weil die Geschichte so positiv war und zeigte: Auch Senioren haben ein Life.