SZ-Magazin: Mit welchen Erwartungen sind Sie Flugbegleiterin geworden?
Daniela Gollob (38): Nach einem Auslandsjahr im Anschluss an die Schule hatte ich noch keine Lust zu studieren. Da kam die Stellenanzeige, die mir meine Mutter aus der Zeitung ausgeschnitten hatte, gerade recht. Bis dahin hatte ich noch nicht viel von der Welt gesehen.
Wie ging es los?
Mein Kurs bei einer großen deutschen Airline begann am 16. September 2001 – fünf Tage nach den Anschlägen auf die beiden Türme des World Trade Center in New York.
Gefühlsmäßig nicht gerade der beste Zeitpunkt zum Fliegen. Wie war damals die Stimmung – bei Ihnen und in der Branche?
Niemand wusste, was passieren würde, alle waren sehr besorgt. Es sind auf einen Schlag sehr viel weniger Menschen geflogen, dementsprechend weniger Maschinen waren in der Luft. New York flog man eigentlich täglich an, nach 9/11 nur noch etwa zwei Mal die Woche. Dadurch hatten wir längere Aufenthalte am Zielort. Und es dauerte nicht lange, bis das Passagieraufkommen wieder anstieg.
Welcher Fall ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Das ist leider ein verstorbener Hund an Bord. Auf dem Flug New York – München saß in der letzten Reihe eine Dame mit ihrem Yorkshire Terrier mit rosa Schleifchen. Sie hatte ihn in einer Tragetasche für Hunde transportiert. Die Frau wurde mehrmals drauf hingewiesen, dass sie das Türchen in der Tragetasche schließen muss, hat sich aber nicht an die Anweisung gehalten, weil sie das ängstliche Hündchen die ganze Zeit streicheln wollte. Die Dame schlief ein und der Hund machte sich selbständig, was keiner von uns Flugbegleitern mitbekommen hat. Die Nachtruhe wird dafür genutzt, die leeren Trolleys in die Mitte, und die vollen Trolleys nach hinten zu bringen. Diese Trolleys sind wahnsinnig schwer und zwei Meter lang. In der Zwischenzeit muss der Hund nach hinten gelaufen sein. Er hat in den Ecken geschnuppert und – was soll ich sagen, der Trolley wird da mit einer großen Wucht reingestoßen.
Was passierte dann?
Wir weckten Frau und die Kabinenchefin übernahm die Kommunikation. Sie war außer sich, wir mussten einen Arzt ausrufen, der sich dann um die Frau gekümmert hat. Der Flugbegleiterin, die den Trolley reingefahren hat, tat es natürlich wahnsinnig leid. Das war wirklich schlimm. Sowohl für die Flugbegleiter als auch für die Frau, die sehr an ihrem Hund hing. Dieser Fall hat gezeigt, dass es kein Zuviel an Aufmerksamkeit und Empathie gibt.
Ist es das, was Sie in diesem Beruf gelernt haben?
Ja, aus dem Job habe ich vor allem Menschenkenntnis mitgenommen. Wir wurden zwar geschult, mit Konflikten umzugehen, aber die Praxis schult einen dann wirklich. An Bord sind 150 bis 400 Menschen, bis zu zwölf Stunden auf engem Raum. Sehr rücksichtsvolle, intelligente Menschen streiten plötzlich um die Armlehne. Aber da stecken oft andere Bedürfnisse dahinter. Man lernt, Menschen anzuschauen, und Ängste, Beschwerden oder Probleme zu erkennen, bevor sie eskalieren. Und darum geht es doch in vielen Jobs: zu erfassen, was das eigentliche Problem ist.
Was ist Ihrer Meinung nach die beste Strategie in Krisensituationen?
Zuhören. Meiner Erfahrung nach ist alles halb so schlimm, wenn sich jemand in Ruhe aussprechen kann.
Was macht eine gute Flugbegleiterin aus?
Sie ist immer pünktlich. Und sie kann Menschen lesen. Wieso hält die junge Frau ihren Koffer so fest? Wieso isst der ältere Mann überhaupt nichts? Sie kann fragen: »Haben Sie denn gar keinen Hunger?« Wenn er dann sagt, »mir ist irgendwie übel«, kann man viel schneller reagieren.
Wenn man Bilder vom Beginn des Flugverkehrs sieht, wirken die Begleiterinnen immer so mondän. Heute scheint Fliegen nicht spektakulärer als Busfahren. Wie haben Sie die Veränderung des Berufsbildes erfahren?
Wir haben damals eine sehr gute Ausbildung bekommen. Vom passenden Lippenstift über Wasser-Training, Erste-Hilfe-Kurs bis zum interkulturellen Training. Man hat auf exzellente Englischkenntnisse geachtet. Das Flugaufkommen ist nach der Jahrtausendwende rasant in die Höhe geschossen, es kamen viele neue, günstigere Airlines und man hat größere Maschinen gebaut. Dann ist natürlich der Bedarf an Personal gestiegen und man konnte, ist meine Vermutung, nicht überall die hohen Standards halten.
In den sozialen Netzwerken werden unter dem Hashtag #passengershaming Erfahrungen mit ungehobelten Passagieren geteilt – etwa solche, die sich die Zehennägel an Board schneiden. Wie schafft man es, sich angesichts solchen Benehmens die Aufmerksamkeit für die Passagiere zu bewahren?
Ohje! So etwas habe ich Gott sei Dank nicht erlebt. Wir hatten mal einen »unruly passenger«, also einen Passagier, der gewalttätig wird. Er war mit dem Becher, ruckelte am Sitz und schrie. Die Kollegin trat einen Schritt zurück, drei andere Passagiere hielten ihn fest. Er musste dann mit Handschellen weiterfliegen, die es für solche Situationen an Bord gibt. Es lohnt sich nicht, im Flugzeug aggressiv zu werden, die Polizei wartet sonst schon am Ankunftsort.
Hatten Sie berühmte Passagiere?
Quentin Tarantino, Lenny Kravitz, The Weather Girls, Hans Clarin, den Pumuckl-Sprecher, Boris Becker. Die saßen natürlich alle in der ersten Klasse. Bei den großen Airlines gibt es ein starkes Senioritätsprinzip – in meiner Zeit habe ich es leider nie in die First Class geschafft. Aber ich habe gern in der Economy- und Business Class gearbeitet, das waren immer sehr dankbare Menschen.
Haben Sie sich einmal an Bord verliebt?
Das kam auch vor. Ich war 22 und habe mich in Jason verliebt, einen Surfer aus San Franciso. Sehr zurückhaltend, sehr charmant. Er saß neben einem sehr stämmigen Mann und hat dann ganz nett gefragt, wie lange ich bleibe und ob er mir seine Lieblingsplätze in San Francisco zeigen darf und wo es den besten Pfirsicheistee gibt. Dann haben wir uns am Fisherman’s Warf getroffen und sind mit Rädern nach Victoria gefahren, von wo aus man gut auf die Golden Gate Bridge schauen konnte, das war ein total schöner Tag.
Ist was draus geworden?
Wir hatten dann eine Art Fern-Romanze, ich habe sogar seine Eltern kennengelernt. Irgendwann hatte es sich dann auseinandergelebt. Ich war schon immer sehr politikinteressiert und hatte auch immer eine pro-europäische Haltung. Und Jason war Surfer, der hatte überhaupt keinen Sinn für Politik. Ich glaube, der wusste gar nicht, dass es Europa gibt. Da haben wir uns verloren.
Wie bewegen Sie sich heute fort?
Rückblickend habe ich schon ein schlechtes Gewissen ob meines CO2-Abdrucks. Ich war zuletzt mit meiner Familie auf Kreta und wir haben gesagt: eine Flugreise pro Jahr reicht dann auch. Aber ich will die Zeit nicht missen. Ich habe so viele Länder und Städte besucht, die ich sonst nie gesehen hätte.