»Viele Hundebesitzer mussten durch die Ausgangssperre loslassen«

Die Tierfriseurin Petra Spira erklärt, warum es in ihrem Beruf nicht nur darum geht, Hunde und Katzen möglichst hübsch aussehen zu lassen – und warum die Coronakrise die Beziehung vieler Besitzer zu ihren Haustieren verbessert hat.

Illustration: Lina Müller

Petra Spira, 52, ist ausgebildete Tierarzthelferin und selbstständige Tierfriseurin in Münster Sarmsheim bei Bingen.

SZ-Magazin: Warum muss ein Hund oder eine Katze zum Friseur?Petra Spira: Aus gesundheitlichen Gründen. Wenn man das Fell nicht richtig pflegt, kann ein Tier große Probleme bekommen.

Zum Beispiel?
Ich hatte mal einen Pudel hier, dem sein Besitzer den Winter über das Fell hat wachsen lassen, und dabei ist der Penis eingewachsen. Das Urin bahnt sich dann trotzdem seinen Weg durchs Fell und es wird zu einem Nährboden für Bakterien, die in der Harnröhre aufsteigen und einen Harnwegsinfekt verursachen können. Langhaarige Katzen, die nicht regelmäßig gekämmt werden, verfilzen. Es fängt mit kleinen Filzknoten an und kann bis zu unelastischen Filzplatten gehen, die fest auf der Haut sitzen. Dadurch ist die Katze stark in ihrer Bewegung eingeschränkt, als wäre sie in einem Korsett eingeschnürt. Ich schaue außerdem, dass die Haut atmen kann und es keine Ekzeme oder Entzündungen gibt, schneide Krallen, entleere verstopfte Analdrüsen oder mache Futterberatung. Eben alles, was dazugehört, damit es dem Tier gut geht.

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Konnten Sie während der Corona-Ausgangsbeschränkungen weiterarbeiten?
Ja, hier in Rheinland-Pfalz war es, anders als zum Beispiel in Hessen, erlaubt, im Salon zu arbeiten, nur Hausbesuche waren verboten. Ich habe eine Art Schleuse eingerichtet, in die die Tiere zur Übergabe gesetzt wurden. Die Besitzer durften nicht mehr mit reinkommen.

Normalerweise bleiben sie dabei, wenn ihr Tier frisiert wird?
Die meisten, ja. Manche haben sich deswegen auch sehr schwergetan, ihr Tier abzugeben.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein älteres Paar bringt seinen Hund etwa alle zehn Wochen zu mir, einen schwarzen Mischling mit langem, wuscheligem Fell, das man unbedingt pflegen muss. Sie schaffen es nicht, ihn selbst zu kämmen, weil er das nicht zulässt. Sie haben ihn vom Tierschutz und er hat vorher wohl einiges erlebt – er ist sehr ängstlich und außerdem herzkrank. Die Besitzerin sagt von sich selbst, dass sie auch sehr ängstlich ist, und ich finde, da haben sich zwei gesucht und gefunden. Wenn es nicht ums Frisieren geht, passen sie gut zusammen.

Was ist das Problem beim Frisieren?
Dass es ohne Maulkorb nicht geht, weil der Hund irgendwann mal gelernt hat: Wenn er ich knurre, hört der Mensch auf. Macht der Mensch trotzdem weiter, ist der nächste Schritt dann: beißen. Mit Maulkorb sind Hunde oft ruhiger, die ganze Situation entspannt sich. Aber den Maulkorb erstmal anzulegen, war bei ihm jedes Mal eine Tortur, weil er sich auch dagegen schon so sehr gewehrt hat – und er darf sich wegen des kranken Herzens nicht zu sehr aufregen, sonst kollabiert er. Seine Besitzer hatten jedes Mal große Angst um ihn.

Und dann durften sie nicht mehr mit in den Salon. Wie haben Sie das gelöst?
Wir haben erstmal ausgemacht, dass sie vor der Tür versuchen, ihrem Hund den Maulkorb anzulegen – aber es ging mal wieder nicht, die beiden waren sehr zögerlich, haben den Riemen nicht über den Kopf gekriegt, die Stimmung ist gekippt und sie waren ganz verzweifelt. Dann habe ich gesagt: Sie warten jetzt fünf Minuten hier, ich nehme den Hund mit rein und schaue mal, ob ich das alleine schaffe. Und im Salon hat es dann, nach ein bisschen Kampf, schließlich geklappt.

»Viele Hundebesitzer mussten durch die Ausgangssperre loslassen und ich bin sehr dankbar und gerührt, dass sie mir dieses Vertrauen geschenkt haben«

Warum?
Weil die Besitzer einfach zu viel Angst hatten, und das hat sich auf den Hund übertragen. Beim nächsten Mal habe ich ihnen einfach gesagt: Probieren Sie bitte gar nicht erst, den Maulkorb anzulegen, ich nehme den Hund gleich mit und mache es selbst. Und er hat sich überhaupt nicht mehr gewehrt. Es gibt jetzt einfach keinen Stress mehr, alle sind glücklich und viel entspannter. Aber wir hätten das wahrscheinlich nie ausprobiert, wenn Corona uns nicht dazu gezwungen hätte.

Sie und die Besitzer wollen das also beibehalten?
Ja, sie wollen ihren Hund in Zukunft immer abgeben. Bei anderen ist das ähnlich: Einer meiner tierischen Kunden hat mich mal gebissen und sein Besitzer war überzeugt, ohne ihn sei es zu gefährlich. Jetzt war das Tier schon das zweite Mal alleine bei mir und hat die Behandlung respektiert, ohne zu beißen. Auch er wird in Zukunft immer ohne Herrchen kommen. Viele Hundebesitzer mussten durch die Ausgangssperre loslassen und ich bin sehr dankbar und gerührt, dass sie mir dieses Vertrauen geschenkt haben. Das war für uns alle eine tolle, positive Erfahrung.

Waren Sie während der Ausgangssperre manchmal neidisch auf die Tiere, die weiterhin zum Friseur gehen konnten, Sie selbst aber nicht?
Ja, ich habe sehr gelitten. Ich habe eine Kurzhaarfrisur und gehe normalerweise alle fünf Wochen zum Haareschneiden, weil ich da schon recht eitel bin. Irgendwann war es so schlimm, dass ich selbst an mir rumgeschnippelt und mir die Frisur verschnitten habe.

Apropos Frisur: Wünschen sich manche Besitzer ausgefallene Haarschnitte für ihr Tier?
Ja. Eine alte Dame mit einem Pudel hatte oft Fotos dabei, wie die Eltern ihres Hundes ausgehen haben, und sie hat sich auch immer wieder neue Frisuren für ihn ausgedacht. Einmal musste ich ihm die Beine bis zur Fessel kurz schneiden, dann an den Fesseln riesige Bommeln lasen, und die Pfoten wieder kurz. Ich habe es gemacht, weil es den Hund nicht gestört und die Besitzerin es sich so sehr gewünscht hat – aber ich fand es megahässlich!