Wir sitzen alle im gleichen Zug – Reisende und Bahnmitarbeiter. Es war mir bislang jedoch nicht klar, inwieweit dies auch im übertragenen Sinne gilt. So hatte ich immer angenommen, dass Zugbegleiter selbstverständlich über mehr und detailliertere Informationen zum Reiseablauf verfügen als wir Fahrgäste. Doch das ist anscheinend falsch. Denn nachdem ich vergangene Woche unter dem Titel »Das geheimnisvolle Verschwinden der Zugebegleiter« beschrieb, wie unzureichend man als Fahrgast manchmal vom Bahnpersonal informiert wird, meldeten sich mehrere Bahnmitarbeiter bei mir und schilderten ihre Sicht der Dinge.
So schrieb mir ein Zugbegleiter, der im Fernverkehr der DB arbeitet: »Es kommt häufiger vor, dass Sie als Fahrgast über den DB Navigator eher Informationen bekommen, als wir über unsere Diensthandys. Und die sind oft unsere einzige Informationsquelle.« Auch als Sturm Sabine auf Deutschland traf, habe er Dienst gehabt, aber das Bahn interne »Reisenden Informations System« (RIS), habe kaum noch funktioniert. »Ich kann dann keine Auskünfte geben, auch wenn ich es gerne würde.«
Ein Lokführer bestätigt: »Im Störungsfall kann man sich als Eisenbahner überhaupt nicht darauf verlassen, dass ein Zug, nur weil er als pünktlich im RIS steht, auch tatsächlich fahren wird.« Es komme regelmäßig zu Systemausfällen, zusätzlich seien in den vergangenen Monaten immer mehr Bugs, also Programmfehler, aufgetaucht, die dazu geführt hätten, dass Informationen gar nicht oder erst nach Neustarts angezeigt würden. »Die Kollegen Zugbegleiter werden damit völlig im Stich gelassen.« Die Bahn teilt dazu lapidar mit: »Unsere Mitarbeiter beziehen ihre Informationen aus derselben Datenquelle, aus der sich auch die Informationen im DB Navigator und auf bahn.de speisen. Wir arbeiten kontinuierlich daran, die Informationen zu Zug- und Haltdaten über alle Informationskanäle hinweg zu verbessern – sowohl für unsere Kunden als auch für unsere Mitarbeiter.«
»Früher gab es mal Bereitschaftsdienste, die aber aufgrund akuten Personalmangels immer weniger werden«
Auch in anderer Hinsicht sind Bahnmitarbeiter von den gleichen Problemen betroffen wie wir Fahrgäste: Sie kommen mit dem Zug zur Arbeit, und wenn sich wieder mal Verspätungen addieren und Anschlüsse verpasst werden, können sie ihren Job nicht pünktlich antreten. »Wir haben oft Dienste, bei denen auch wir Probleme haben, Anschlüsse zu bekommen«, schreibt der oben zitierte Fernverkehrs-Zugbegleiter. »Dadurch kann es passieren, dass ein Kollege fehlt. Daraus resultiert dann, dass wir nur noch zu zweit für bis zu 900 Fahrgäste zuständig sind.« Denn die Personaldecke ist dünn. »Früher gab es mal Bereitschaftsdienste, die aber aufgrund akuten Personalmangels immer weniger werden.«
Der Lokführer schreibt: »Die Kollegen Zugbegleiter haben keine Infos, erreichen niemanden und wissen außerdem selbst nicht, wie sie nach Hause kommen oder wie ihre Schicht weiter laufen soll. Sie sind Opfer des gleichen Organisationsversagens wie die Fahrgäste.« Viele Zugbegleiter verzichten bei größeren Problemen im Bahnverkehr auf ihren Rundgang, so die DB-Mitarbeiter – eben, weil sie mit der mühseligen Beschaffung von Informationen beschäftig seien oder weil sie ohnehin nichts wüssten. Das kann ich sehr gut nachvollziehen, und vor diesem Hintergrund muss ich in der Tat keinen Zugbegleiter treffen – auf das einzige, was er in diesem Fall tun kann, nämlich die Tickets kontrollieren, kann ich dann auch verzichten.
Die Bahnmitarbeiter, die mir schrieben, zeigten sich allesamt hoch motiviert, ihren Fahrgästen zu helfen und das System zu verbessern. Ein junger Kollege, noch in der Ausbildung, hat mir detailliert geschildert, wie er die Kommunikationswege zwischen Betriebszentrale, Leitstelle und Zugpersonal verbessern würde, damit die Informationen schneller an alle Mitarbeiter und Reisenden übermittelt werden können. Hoffentlich hat er oder einer seiner Kolleginnen und Kollegen damit Erfolg.